Fahrradbrücke statt Diesel-Fähre – das klingt zeitgemäß: In Bingen reifte auf Bürgerwunsch die Idee, wieder eine Brücke zwischen den Ufern im Mittelrheintal zu bauen. Doch nach mehreren Jahren scheitert alles – am Naturschutz. Was bleibt, ist ein Lehrstück über deutsche Unfähigkeit, sinnvolle Projekte umzusetzen.
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Eine Rad- und Fußgängerbrücke sollte es sein, die größte ihrer Art bislang, ein Fanal der Verkehrswende. Schweitzer suchte Mitstreiter. Sie gründeten den „Arbeitskreis Grüne Welle – Rheinquerung – Hildegardsteg“, benannt nach der Heiligen Hildegard von Bingen. Nun waren es viele Bürger mit einer Vision, sie sammelten
Unterschriften, erst stimmte der Rüdesheimer und dann der Binger Stadtrat für ihre Idee, sogar Ministerpräsidenten signalisierten Unterstützung.
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Entscheidend: Der Stadtrat beschloss explizit, dass die Studie „einen Brückenstandort westlich des Binger Winterhafens“ untersuchen solle. Der Winterhafen ist eine Art lang gezogene künstliche Bucht mit Schiffsanlegern östlich von Bingen. „Östlich des Winterhafens“ ist die Kollision mit Natura-2000-Vorgaben programmiert, westlich nicht unbedingt. Deswegen sollte spezifisch dort geprüft werden.
Absicht oder keine: Als die Studie – 30.000 Euro Steuergeld für 21 Seiten – im Sommer 2023 vorlag, war klar, dass die Gutachter sich überwiegend mit der Ostseite des Winterhafens und den Natura-2000-Vorgaben befasst hatte. Das Studienfazit: Es sei „nicht ernsthaft damit zu rechnen, dass sich das Realisierungsinteresse an der Brücke (…) gegenüber dem europäischen Naturschutzrecht durchsetzt“ – der Todesstoß.
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In einem
Bericht der lokalen „Allgemeinen Zeitung“ nach Bekanntwerden des Gutachtens war für die Frage, ob an der richtigen, westlichen Stelle ausreichend geprüft worden sei, der letzte Absatz reserviert. Dort hieß es, SPD-Stadtrat Till Müller-Heidelberg habe sich den „Juristen-Hieb“ „nicht verkneifen können“, wonach die Kanzlei „vorrangig die falsche Brücken-Stelle geprüft hätte“, und gesagt: „Östlich des Winterhafens war allen das Ergebnis klar.“
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Der Binger Stadtrat indes hat längst ein neues Projekt gefunden. Noch in derselben Sitzung, in der das Gutachten der Radbrücke den Todesstoß versetzt hat, beschlossen die Räte, nun die „Rahmenbedingungen für eine kostenlose Beförderung von Fußgängern und Radfahrern“ mit der Diesel-Fähre klären zu wollen. Antragsteller: die Grünen. „Der Bericht über die Ergebnisse steht bisher aus“, teilten die Grünen auf WELT-Anfrage mit.
Die Subventionskosten dafür habe der Fährbetreiber vor Jahren schon, so der Fahrradbeauftragte der an Bingen grenzenden Verbandsgemeinde Gau-Algesheim, auf 500.000 Euro jährlich beziffert.