Bryn Greenwood „All the Ugly and Wonderful Things“ (deutscher Titel „All die Finsternis inmitten der Sterne“, ich habe es allerdings im englischen Original gelesen)
Laut den diversen Reviews spaltet der Roman wohl die Leser sehr stark. Ich fand das Buch aber sehr gelungen, trotz der hochgradig kontroversen Thematik. Und zwar handelt es hauptsächlich von einem vernachlässigten Kind eines Meth-kochenden hochkriminellen Vaters und einer manischen Mutter, die zum großen Teil die Routinedinge bei der Kindererziehung einem auf den ersten Blick grobschlächtigen Handlanger überlassen. Und im Laufe des Erwachsenwerdens des Mädchens entwickelt das Mädchen eine weitaus engere Bindung zu ihrem Aufpasser, als zu ihrer teils weitaus gefährlicheren Familie … und die Bindung wird noch viel enger, trotz dass sie noch minderjährig ist. Das klingt auf den ersten Blick wie irgendeine Altherrenfantasie, aber IMO hat die Autorin hier diese schlüpfrigen Klippen gut umschifft (aber das damit natürlich einhergehende Drama nicht ausgelassen) und das ganz trotz der in der Tat eigentlich fragwürdigen Thematik sehr schön erzählt und ist hier ausnahmsweise letztlich sogar positiv besetzt. So etwas wie „Lolita“ ist dies sicherlich nicht. Aber natürlich nicht jedermanns Sache. Schön auch, dass fast jedes Kapitel (ähnlich wie bei ASOIAF) aus dem Gesichtspunkt einer anderen Person geschrieben wurde, sodass durchaus auch die kritischen Einstellungen zur kontroversen Beziehen der beiden Protagonisten zu Wort kommen.
Marquis de Sade „Juliette oder Die Vorteile des Lasters“
Dies dürfte wohl das krasse Gegenteil zu vorgenanntem Buch sein. Denn IMO ist dies ein „Altherrenroman“ schlimmster bzw. extremster Art. Prinzipiell ist das ganze nicht viel anders als die schon einige Posts vorher von mir bewerteten „Die 120 Tage von Sodom“ und natürlich der eigentliche Vorgängerroman „Die Geschichte der Justine oder die Nachteile der Tugend“. Hier wird aber der Lebensweg der zweiten Schwester erzählte, die wie ihre andere Schwester Justine nach dem Tod der Eltern in ein Kloster kam und nun fast mittellos von dort entlassen wurde. Wo Justine noch naiv, hoffnungslos gottgläubig und auf die Moral und die eigene Tugend bedacht von der Gewalt eines Wüstlings in die Gewalt des nächsten Wüstlings kam (gegen Ende dieses zweiten Buches erfährt man auch ihr weiteres Schicksal), wählt statt dessen Juliette den Weg des Lasters. Und im Gegensatz zu ihrer tugendhaften Schwester, die durch ihre Tugend nur Leid erfährt, ist Juliette hier selbst Täterin und lässt sich auf alles ein. Freiwillige Prostitution, sexuelle Exzesse, Morde (insbesondere Lustmorde bevorzugt aber Giftmorde), Intrigen, Versklavung, usw. usf. Je extremer und enthemmter (ohne Rücksicht auf Alter, Stand, Freundschaft oder gar Verwandtschaftsgrad) sie sich verhält, desto mehr Einfluss, Macht und Geld verdient sie. Gefährlich wird es nur dann, wenn sie nicht mit ganzem Herzen Anderen schadet, beim Morden nur in zu kleinem Maßstab denkt oder Gewissensbisse auch nur für einen kurzen Moment zeigt. Bei quasi jeder Station ihres Lebensweges breiten ihre wechselnden Lehrmeister immer wieder erschöpfend ausführlich die gleichen Philosophien und teils ihre ganzen eigenen Lebenswege aus, die bei De Sade eigentlich immer die gleichen sind. Man glaubt, die natürlicher Art zu Leben ist Alles und Jeden sich untertan zu machen und wortwörtlich über Leichen zu gehen und genau daraus sogar Lustgewinn zu ziehen (nur sind dies bei De Sade eben nicht die Antagonisten, sondern genau diese Art zu handeln ist bei ihm positiv besetzt). Als Freunde oder auch nur Partner werden nur genauso denkende Gleichgesinnte geduldet, solange diese keine Schwäche zeigen. Alle anderen sind nur Opfer. Und auch hier bekommt man wieder alle Extreme geboten sexuelle Gewalt, Folter, Mord, Inzest, Nekrophilie, Pädophilie usw.
Allerhöchstens „Sodom“ ist noch extremer (das ist ja quasi so etwas wie ein Katalog sämtlicher menschlicher Abgründe und Perversitäten), „Justine“ und „Juliette“ stehen dem aber kaum nach, wobei diese aber noch etwas mehr Rahmenhandlung haben, als die stakkatoartige Abfolge von Exzessen in „Sodom“. Prinzipiell sind alle 3 Romane aber sehr ähnlich, es ist quasi immer eine Abfolge von Wüstlingen die erschöpfend ausführlich immer wieder die exakt gleiche oben genannten Philosophie erklären, gefolgt von Exzessen mit sexueller Gewalt, Folter und Mord, die „A Serbian Film“ wie ein Kinderfilm erscheinen lassen und selbst für ein Werk das im 1700 Jahrhundert entstanden ist, weitaus extremer und radikaler (allerdings im negativen Sinn) ist, als was selbst heute noch an kontroversen Werken erscheint.
Vernon Sullivan (aka Boris Vian) „I shall spit on your graves“
Dies hat von der Handlung her kaum etwas mit der gleichnamigen Verfilmung zu tun. Wobei dieses Buch wohl als gezielte Provokation gedacht war. Vor einer Weile lief eine Doku zum Autor (leider nicht mehr in der Mediathek), in welcher dies auch ausführlich dargelegt wurde. Wobei das Geschehen um den Roman teils ganz schön absurd war. Vom französischen Autor unter Pseudonym geschrieben, eben genau weil er einen provokanten reißerischen Pulp-Roman zum Rassenkonflikt schreiben wollte und ahnte, dass dies seinem Ruf abträglich sein könnte. Allerdings gab er immer an, dass er nur der Übersetzer des eigentlichen englischen „anonymen“ Autors sei, obwohl es natürlich kein englisches Original gab und der Roman erst einmal statt dessen ins englische übersetzt werden musste.
Das einzige was der Roman mit dem Film gemein hat ist wie schon gesagt der Titel und dass dies im Kern auch eine Rachegeschichte ist. Im Film die blutige Rache einer Frau an ihren Vergewaltigern… wo im Buch der Protagonist im Prinzip selbst zum Vergewaltiger wird. Der Grund für den Rachefeldzug ist hier die Ermordung des Bruders des Protagonisten durch einen rassistischen Lynchmob einer amerikanischen Kleinstadt. Eigentlich ist der Protagonist ebenfalls schwarz… nur sieht dieser eben nicht schwarz, sondern wie ein Weißer aus und erschleicht sich so das Vertrauen der wohlhabenden Jugend einer typischen weißen amerikanische Kleinstadt Mitte der 40er, um diese dann in den Abgrund zu ziehen und dass mit allen Mitteln.
Das ganze ist natürlich bewusst alles etwas platt und reißerisch und die Grundidee eines Schwarzen der aus einer Laune der Natur wie ein Weißer ausschaut natürlich haarsträubend. Und IMO war das ganze auch nicht wirklich so extrem schockierend, um den riesigen Skandal der aus dem Buch entstand zu rechtfertigen. Aber wenn man das Buch wirklich nur als bewusst provokanten reißerischen Noir Roman liest, ist es trotz der unrealistischen Prämisse durchaus unterhaltsam.
Leider hat der Roman dem Autor nachhaltig geschadet (teils harsche Kritik wegen der Gewalt und sogar der Vorwurf der Anstachelung zur Gewalt, weil das Buch an einem Tatort eines Prostituiertenmordes gefunden wurde) und hat in gewisser Weise auch zu seinem Tod geführt. Denn schon als die Verfilmung in Produktion war, hat der Autor sich von dieser vehement distanziert, ist dann aber trotzdem bei der Premiere erschienen und hat sich während dieser erneut maßlos aufgeregt und ist so, weil er ohnehin schon lebenslang herzkrank war, noch im Kino an einem Herzanfall gestorben.