Swordy
L13: Maniac
Integration beruht immer auf Gegenseitigkeit - auf die Anpassung beider Seiten. Das große Problem von Sarrazin und seinen Thesen ist, dass sie zwar aktuelle Probleme ansprechen, aber aufgrund mangelnder oder einseitiger "Fakten"kenntnis Schlüsse produzieren, die so einfach nicht haltbar sind.
Er hat gestern bspw. auf ZEIT-Online im Interview gesagt, dass es ein "Fakt" ist, das Intelligenz zu 50-80% vererbbar ist, was mMn. (und verschiedenen Inhalten aus der Lernpsychologie die ich kenne) totaler Quark ist. Natürlich kann man hier über den Intelligenzbegriff an sich streiten und über dessen Konstruktion und Messung usw. Aber er ist eben kein Wissenschaftler und benützt "Wissen" und "Fakten" die ihm am besten in seine Argumentation passen. Mit Objektivität hat das wenig zu tun.
Davon ab hat er ein negatives Menschenbild, welches davon ausgeht, dass (so erscheint es mir zumindest) nur bestimmte Menschen Lust auf Bildung haben, andere aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds "fauler" oder weniger fleißig sind als andere. Erinnert mich irgendwie an die Arbeitgeber, die denken ihre Arbeiter seien per se faul, bescheißen und klauen und wollen sich um die Arbeit drücken.
Das die Geburtenrate seit der Industrialisierung im 19 Jahrhundert kontinuierlich sinkt, hat viele Ursachen. Niedrigere Kindersterblichkeit, Trennung von Erwerbsarbeit und Familiensphäre, bessere Verhütung, Selbstbestimmung der Frauen über ihr fertiles Verhalten, zunehmende rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau, seit den 1950-60er Jahren zunehmende Bildungspartizipation von Frauen und allgemein gesamtgesellschaftliche Veränderungen in der Struktur unserer Gesellschaft von einer stratifizierten- hin zu einer funktional differenzierten Gesellschaft (Luhmann).
Damit einher geht auch ein großer Individualisierungschub, d.h. viele Gesetze zielen heute viel mehr als früher auf das Individuum ab. Damit sind aber nicht nur (wie Ulrich Beck sagen würde) Risiken verbunden, sondern ganz neue Handlungsspielräume, wie es sie vorher kaum gegeben hat. Dass heißt, dass die Menschen heute viel mehr als früher ihre Biographie selbst gestalten und aufbauen können (natürlich nach wie vor stark in entsprechende Strukturen eingebunden). Eine Frau kann heute sehr viel mehr als früher eigenständig leben, sich für oder gegen eine Familie, Ehe etc. entscheiden, wohingegen für ihre materielle Absicherung eine Ehe sehr wichtig war. Mit einer Ehe war früher i.d.r. aber auch immer die Gründung einer Familie (und damit eben auch die Zeugung von Kindern verbunden).
Wenn diese Abhängigkeiten durch die zunehmende Gleichberechtigung bzw. Gleichstellung weniger werden, neue Gestalltungsmöglichkeiten entstehen, ist es nicht verwunderlich, dass ein gewisser Teil von Männern und Frauen sich gegen die Gründung einer Familie entscheidet.
Das Interesse an Familie ist dabei aber laut verschiedener Studien die ich diesbezüglich gelesen und ausgewertet habe nicht massiv gesunken. Nach wie vor haben viele Menschen (auch junge Menschen) ein Interesse daran, später eine Familie zu gründen. Was sich jedoch geändert hat ist, dass sich das Alter der Familiengründung bzw. der ersten Geburt erhöht hat und dass sich die Planungssicherheit stark veringert hat. Früher war die Arbeitsmarktsituation eine ganz andere, nach wie vor sehen vor allem die Männer ihren Hauptbeitrag in der finanziellen Unterstützung der Familie (auch wenn sich da langsam etwas tut), aber das führt bspw. dazu, dass viele Männer erst dann eine Familie gründen (wollen), wenn sie beruflich etabliert sind. Daneben haben insbesondere hochgebildete Frauen, die ja viel Zeit in ihre Ausbildung investiert haben nach wie vor ein großes Vereinbarkeitsproblem, weil einerseits die Gleichstellung zwischen Mann und Frau noch nicht so weit vorangeschritten ist, dass die Determinanten der Familienarbeit (Finanzielle Versorgung, Pflege und Sorge für Kinder und sonstige haushaltsbezogene Tätigkeiten) geschlechtsneutral sind, d.h. diese Aspekte sind nach wie vor stark ans jeweilige Geschlecht gebunden (und werden nach wie vor stärker von Frauen als von Männern erledigt).
Dieses Vereinbarkeitsproblem führt dazu, dass Frauen - wenn sie beruflich tätig werden wollen - eine Entscheidung zwischen Familie und Beruf fällen müssen. Eine wirklich befriedigende Vereinbarkeit ist auch heute nur schwer umzusetzen und gelingt nur einem kleinen Teil. Aber auch auf Seiten der Männer bestehen nach wie vor große Schwierigkeiten, ihr (z.T. durchaus bestehendes großes) Interesse an einem stärkeren Engagement in familialen Aufgaben umzusetzen, weil die Erwerbsarbeit nach wie vor stark auf eine männliche Berufsbiographie ausgerichtet ist, die Frauen allenfalls eine Zuverdienerrolle ermöglicht, diese aber immer noch als Unterstützerinnen der Männer sieht.
Männer die sich hier einbringen wollen, haben ähnlich wie Frauen ein Vereinbarkeitsproblem (wenn auch anders gelagert). Ich denke es sind solche Aspekte, die dazu führen, dass viele junge Menschen keine Familie gründen bzw. die Familiengründung aufschieben bzw. sich nicht im Stande dazu führen. Von den vielfälltigen hohen Anforderungen an ein idealisiertes Familienbild, dem man glaubt entsprechen zu müssen ("ich muss meinen Kindern ja etwas bieten können" - welches häufig auf materielle Aspekte bezogen ist) ganz zu schweigen, denn dem können die wenigsten entsprechen.
Ich denke dass dies Aspekte sind, die dazu führen, dass es bei den hoch- bzw. höhergebildeten weniger Kinder gibt bzw. bestehende Kinderwünsche nicht umgesetzt werden.
Von großen Problemen unseres Bildungssystems für Leute aus der "Unterschicht". Starken Selektionsmechanismen usw. usf. auch keine Rede. Es ist ja gerade die sog. "Elite" eines Sarrazin, welche bestehende Strukturen immer wieder reproduziert und dafür sorgt, dass sich eben nichts ändert, in dem nach wie vor keine echten Reformen im Bildungsbereich stattfinden, unser Bildungssystem chronisch ungleich, schichtabhängig ist usw.
Bloß wo ist eine solche Auseinandersetzung bei Herrn Sarrazin? Wo werden solche Aspekte angesprochen und reflektiert? Habe ich bisher nirgends gesehen. Stattdessen eine plump-pauschale Schuldzuweisung mit sozialdarwinistischem Anstrich.
Er hat gestern bspw. auf ZEIT-Online im Interview gesagt, dass es ein "Fakt" ist, das Intelligenz zu 50-80% vererbbar ist, was mMn. (und verschiedenen Inhalten aus der Lernpsychologie die ich kenne) totaler Quark ist. Natürlich kann man hier über den Intelligenzbegriff an sich streiten und über dessen Konstruktion und Messung usw. Aber er ist eben kein Wissenschaftler und benützt "Wissen" und "Fakten" die ihm am besten in seine Argumentation passen. Mit Objektivität hat das wenig zu tun.
Davon ab hat er ein negatives Menschenbild, welches davon ausgeht, dass (so erscheint es mir zumindest) nur bestimmte Menschen Lust auf Bildung haben, andere aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds "fauler" oder weniger fleißig sind als andere. Erinnert mich irgendwie an die Arbeitgeber, die denken ihre Arbeiter seien per se faul, bescheißen und klauen und wollen sich um die Arbeit drücken.
Das die Geburtenrate seit der Industrialisierung im 19 Jahrhundert kontinuierlich sinkt, hat viele Ursachen. Niedrigere Kindersterblichkeit, Trennung von Erwerbsarbeit und Familiensphäre, bessere Verhütung, Selbstbestimmung der Frauen über ihr fertiles Verhalten, zunehmende rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau, seit den 1950-60er Jahren zunehmende Bildungspartizipation von Frauen und allgemein gesamtgesellschaftliche Veränderungen in der Struktur unserer Gesellschaft von einer stratifizierten- hin zu einer funktional differenzierten Gesellschaft (Luhmann).
Damit einher geht auch ein großer Individualisierungschub, d.h. viele Gesetze zielen heute viel mehr als früher auf das Individuum ab. Damit sind aber nicht nur (wie Ulrich Beck sagen würde) Risiken verbunden, sondern ganz neue Handlungsspielräume, wie es sie vorher kaum gegeben hat. Dass heißt, dass die Menschen heute viel mehr als früher ihre Biographie selbst gestalten und aufbauen können (natürlich nach wie vor stark in entsprechende Strukturen eingebunden). Eine Frau kann heute sehr viel mehr als früher eigenständig leben, sich für oder gegen eine Familie, Ehe etc. entscheiden, wohingegen für ihre materielle Absicherung eine Ehe sehr wichtig war. Mit einer Ehe war früher i.d.r. aber auch immer die Gründung einer Familie (und damit eben auch die Zeugung von Kindern verbunden).
Wenn diese Abhängigkeiten durch die zunehmende Gleichberechtigung bzw. Gleichstellung weniger werden, neue Gestalltungsmöglichkeiten entstehen, ist es nicht verwunderlich, dass ein gewisser Teil von Männern und Frauen sich gegen die Gründung einer Familie entscheidet.
Das Interesse an Familie ist dabei aber laut verschiedener Studien die ich diesbezüglich gelesen und ausgewertet habe nicht massiv gesunken. Nach wie vor haben viele Menschen (auch junge Menschen) ein Interesse daran, später eine Familie zu gründen. Was sich jedoch geändert hat ist, dass sich das Alter der Familiengründung bzw. der ersten Geburt erhöht hat und dass sich die Planungssicherheit stark veringert hat. Früher war die Arbeitsmarktsituation eine ganz andere, nach wie vor sehen vor allem die Männer ihren Hauptbeitrag in der finanziellen Unterstützung der Familie (auch wenn sich da langsam etwas tut), aber das führt bspw. dazu, dass viele Männer erst dann eine Familie gründen (wollen), wenn sie beruflich etabliert sind. Daneben haben insbesondere hochgebildete Frauen, die ja viel Zeit in ihre Ausbildung investiert haben nach wie vor ein großes Vereinbarkeitsproblem, weil einerseits die Gleichstellung zwischen Mann und Frau noch nicht so weit vorangeschritten ist, dass die Determinanten der Familienarbeit (Finanzielle Versorgung, Pflege und Sorge für Kinder und sonstige haushaltsbezogene Tätigkeiten) geschlechtsneutral sind, d.h. diese Aspekte sind nach wie vor stark ans jeweilige Geschlecht gebunden (und werden nach wie vor stärker von Frauen als von Männern erledigt).
Dieses Vereinbarkeitsproblem führt dazu, dass Frauen - wenn sie beruflich tätig werden wollen - eine Entscheidung zwischen Familie und Beruf fällen müssen. Eine wirklich befriedigende Vereinbarkeit ist auch heute nur schwer umzusetzen und gelingt nur einem kleinen Teil. Aber auch auf Seiten der Männer bestehen nach wie vor große Schwierigkeiten, ihr (z.T. durchaus bestehendes großes) Interesse an einem stärkeren Engagement in familialen Aufgaben umzusetzen, weil die Erwerbsarbeit nach wie vor stark auf eine männliche Berufsbiographie ausgerichtet ist, die Frauen allenfalls eine Zuverdienerrolle ermöglicht, diese aber immer noch als Unterstützerinnen der Männer sieht.
Männer die sich hier einbringen wollen, haben ähnlich wie Frauen ein Vereinbarkeitsproblem (wenn auch anders gelagert). Ich denke es sind solche Aspekte, die dazu führen, dass viele junge Menschen keine Familie gründen bzw. die Familiengründung aufschieben bzw. sich nicht im Stande dazu führen. Von den vielfälltigen hohen Anforderungen an ein idealisiertes Familienbild, dem man glaubt entsprechen zu müssen ("ich muss meinen Kindern ja etwas bieten können" - welches häufig auf materielle Aspekte bezogen ist) ganz zu schweigen, denn dem können die wenigsten entsprechen.
Ich denke dass dies Aspekte sind, die dazu führen, dass es bei den hoch- bzw. höhergebildeten weniger Kinder gibt bzw. bestehende Kinderwünsche nicht umgesetzt werden.
Von großen Problemen unseres Bildungssystems für Leute aus der "Unterschicht". Starken Selektionsmechanismen usw. usf. auch keine Rede. Es ist ja gerade die sog. "Elite" eines Sarrazin, welche bestehende Strukturen immer wieder reproduziert und dafür sorgt, dass sich eben nichts ändert, in dem nach wie vor keine echten Reformen im Bildungsbereich stattfinden, unser Bildungssystem chronisch ungleich, schichtabhängig ist usw.
Bloß wo ist eine solche Auseinandersetzung bei Herrn Sarrazin? Wo werden solche Aspekte angesprochen und reflektiert? Habe ich bisher nirgends gesehen. Stattdessen eine plump-pauschale Schuldzuweisung mit sozialdarwinistischem Anstrich.