So! Das Ding ist durch

Wie versprochen teile ich meine Eindrücke zu diesem einzigartigen Spiel. Wo soll man da nur anfangen?
Vordergründig geht es in diesem Spiel darum einen Mordfall aufzuklären und seine Persönlichkeit nach einer Amnesie wiederzuerlangen. Beides geht nur Stück für Stück voran und dabei stehen einem viele Möglichkeiten zur Verfügung. Aber eigentlich ist Disco Elysium für mich mehr ein Spiel darüber mit der Vergangenheit in all ihren Facetten umzugehen und klarzukommen (oder eben nicht). Das betrifft den Protagonisten, der buchstäblich nackt aufwacht, und zwar in allen Facetten seiner Persönlichkeit, Erinnerungen, Habseligkeiten, aber auch Ansichten, die man ihm dann selbst durch seine Handlungen zurückgibt. Aber auch die allermeisten NPCs in Revachol versuchen in einer offensichtlich trostlosen und teils verwahrlosten Gegenwart irgendwie mit früheren Ereignissen klarzukommen. Egal ob wegen ihrer nostalgischen Erinnerung an bessere Zeiten, gefährdeten Geschäftsinteressen oder Erinnerungen an die Jugend, in der man für bestimmte Dinge glühte und jetzt vielleicht Fehler bereut. Dabei klammern sie sich oft an bestimmte politische Vorstellungen. Manchmal versprechen sie sich Besserung dadurch, manchmal geht es auch nur darum den Status Quo einfach zu verändern, weil er nicht funktioniert. Die Zukunft ist auf jeden Fall ziemlich düster, was man auch am Schicksal vieler Kinder in dem Spiel sieht (mit einer Ausnahme vielleicht).
Disco Elysium war wirklich eine einzigartige Erfahrung. Ich war ziemlich schlau, gut im Dialog und investigativ unterwegs und habe körperliche Stärke etwas vernachlässigt. Im Spiel gibt es einige Schlüssfortschritte, die man im Grunde schafft, wenn man seine Skills genug auflevelt, um dann die Würfelproben zu bestehen. Das ermuntert sehr die Welt zu erkunden. Am Ende war ich eher ein Zentralist. Das Spiel belohnt wie ich gelesen habe einen für die vier großen ideologischen Schulen (Kommunismus, Zentrismus, Neoliberalismus, Faschismus) mit genau einer einzigartigen Quest pro Spieldurchgang seit dem Final Cut. Finde das super, weil es einen motiviert das Spiel nochmal zu zocken. Meine Quest war es echt wert und ich werde definitiv nochmal einen Run starten mit einem ganz anderen Charakter - vielleicht einen menschlich richtig miesen und selbstgefälligen Kommunisten. Habe sonst die meisten Nebenquests zwar gefunden, aber einiges nicht gesehen oder geschafft und werde das Spiel bestimmt irgendwann nochmal durchspielen.
Was man dem Spiel auch angemerkt hat ist die Herkunft des Entwicklers (Estland). Als jemand, der sich ja sehr gut mit China und Ideologien allgemein auskennt und auch wissenschaftlich beschäftigt, sieht man schnell die Erfahrungen der postkommunistischen Staaten in der DNA des Spiels. Keine Ideologie kommt so wirklich gut weg, auch wenn der Kommunismus noch am hoffnungsvollsten dargestellt wird. Aber gerade in Staaten Osteuropas (ohne ein Westdeutschland zu haben) prallten nach dem Zerfall der Sowjetunion in kurzer Zeit sehr viele genau der in Disco Eylsium aufeinandergeprallten Ideologien auch aufeinander. Der Kapitalismus kam schnell, manchmal raubtiermäßig, alte Strukturen brachen über Nacht zusammen und viele Menschen sind damit so schnell nicht wirklich gut klargekommen. Und ausländische Strippenzieher sind stets, wenn auch nur indirekt, präsent. Jetzt geht es Estland natürlich viel besser als den meisten anderen osteuropäischen Transformationsgesellschaften, aber ich glaube das Gespür für diese Prozesse war beim Entwickler trotzdem viel größer und das merkt man an so vielen Stellen in dem Spiel. China selbst hat ja auch eine rapide Transformation durchgemacht, allerdings hat man hier den Kapitalismus, staatliche Lenkung und Öffnung nach außen anders austariert und teils andere Erfahrungen gemacht. Dass das Spiel auch in China ein absoluter Hit war, wundert mich jedenfalls nicht.
Planescape Torment und Tides of Numenera muss ich auf jeden Fall auch mal irgendwann zocken, nachdem mir dieses Spiel so zugesagt hat. Ein anderes sehr positives Beispiel für gelungene Einflechtung von politischen Ideologien und Entscheidungen fand ich in letzter Zeit übrigens Wasteland 3. Wer also neues Futter sucht, kann sich das mal anschauen - und hier geht es dann etwas "klassischer" zu und man kriegt auch taktisch gute Kämpfe dazu.