Österreichische Phantomwahlen und der Haken mit dem Kreuz
(der Winter verabschiedet sich langsam und die Tage werden wieder länger)
Frühlingserwachen:
Spät kam der Winter und wie immer erst nach Weihnachten - dafür mit umso mehr Schnee. Jetzt, Anfang März, wenn die letzten Reste der weißen Pracht auf den Straßen Wiens versickeren und erste Anzeichen von Frühling durch die Luft huschen, beginnen die Österreicher über eines der seltsamsten Rituale des Landes nachzudenken. Waren das echt schon wieder 6 Jahre? So oft wird hier drüben in Ostarrichi der Bundespräsident gewählt. Ein Amt aus einer lang vergessenen, grauen Vorzeit, das theoretisch große Machtbefugnisse hat. Jederzeitige Entlasstung von Ministern und Regierung, Oberbefehlshaber des Heeres ( hört ihr Liechtenstein auch schon zittern?) und die Erlaubnis das ganze Jahr über salbungsvolle Sätze in Kameras zu sprechen und dafür auch noch beklatscht zu werden. Natürlich bei gleichzeitig höchsten Beliebtheitswerten - denn wer für nichts verantwortlich ist, außer nett winken und Politiker zur Arbeit rufen, hat keine größeren Probleme. Seltsamerweise denken viele Kreise nun über die Abschaffung dieses Ehrenamtes nach, das man in good ol'Austria, im Gegensatz zur BRD, als Bürger selbst wählen darf - und sich sooo richtig wichtig fühlen.
Seit 2004 wird die Hofburg, die Resisdenz unseres obersten repräsentativen Grinsers, von Heinz Fischer bewohnt. Der Mann, ein Sozialdemokrat (SPÖ) und Agnostiker, konnte damals einen ordentlichen Wahlsieg gegen die Konservativen einfahren und hat den Amt alle damit verbundenen Ehren gemacht: Nett lächeln, nett winken, human sein, zu Weihnachten paar Hühnerdiebe begnadigen und auf Verfassung und Demokratie pochen. Ein Selfrunner wie er im Buche steht halt. Nun nachdem seine erste Amtszeit vorbei ist, hat der ehemalige Nationalratspräsident, mit den hohen, grauen Haaren, Beliebtsheitswerte, die man ansonsten nur in käuflichen Gewerben oder als Oberarzt im Fernsehen einstreichen kann. ( Meistens auch als Außenminister, aber diese ehemals güldene Regel, wird in der Bundesrepublik gerade ad absurdum geführt - es kann eben nicht jeder Wellenreiten..)
Was die zweite Großpartei hier, die bürgerliche Österreichische Volkspartei (ÖVP), nach einem zickigen Hin und Her, dazu veranlasst hat, keinen Kandidaten aufzustellen und sich die Wahl zu sparen, die ja scheinbar eh nur repräsentative Zwecke erfüllt und man ja gegen den amtierenden Fischer ohnehin nur verlieren könnte. Soweit so schlecht.
Wird das Ganze also für die Sozis "a gmahte Wiesn" (einfaches Spiel), wie der Wiener sagen würde? Ja und Nein, denn wir hier in Österreich sind ja seit jeher ein bißchen anders, als die übrigen westlichen Länder. Um das zu verstehen, müssen wir aber etwas ausholen und in eine unappetitliche Brühe greifen:
(der amtierende Bundespräsident Heinz Fischer)
Mediokratie:
So wie in Deutschland die Boulevardzeitung BILD Marktführer ist, wird die österreichische Medienlandschaft, noch viel diktatorischer, von der Kronenzeitung gelenkt. Dieses Blatt, dass 1959 neugegründet wurde und bereits 1938 einer der stärksten Mobilisierer für den Anschluß an das "Reich war", hat allerdings einen weitaus größeren "Schönheitsfehler" als die BILD. Es steht nicht rechtskonservativ/bürgerlich, es steht rechtsnational/extrem-radikal und ist seit Jahrzehnten die Speerspitze gegen die Ideen der Aufklärung, des Humanismus und, leider auch, gegen die Abgrezung zu Rechtsextremismus. Neben täglichen antisemitischen und xenophoben Ausfällen, kann das Blatt auch noch die hiesige politische Szene nach Belieben lenken, da es mit 3 Millionen Lesern fast jeden zweiten Österreicher anspricht. Zum Vergleich: Damit die BILD eine ähnlich starke Wirkung auf ein Land ausüben könnte, müsste sie etwa 31 Millionen Leser haben.
Der Herausgeber dieses Blattes ist, seit über 4 Jahrzehnten, der greise Hans Dichand, der schon im Zweiten Weltkrieg gekämpf hatte. Welchen Kandidaten dieser Mann unterstützt oder nicht, bei welcher Wahl auch immer, entscheidet er nicht nach einem System, sondern nach Belieben und Loyalität. Sollte ein Politiker zuviele Inserate in anderen Zeitungen schalten fällt er in Ungnade. Wie etwa der amtierende Bundeskanzler Werner Faymann ( SPÖ), der seine Wahl (2008) zu einem großen Teil dieser Zeitung verdankt. Sein damaliger, konservativer Gegenkandidat wurde monatelang mit einer Schmähkampagne verunglimpft, die sich von der Schlagzeile, über die Kommentare, Meldungen und natürlich auch auf der Leserbriefseite niedergeschlagen hat. Nachdem soeben genannter Bundeskanzler aber eben die falsche Zeitung mit Werbegeld gefördert hatte, wurde ihm medienwirksam das Vertrauen entzogen und sich auf andere Kandidaten festgelegt.
Eine Auswahl die hier im alpinen Süden, durchaus Probleme verursachen kann. Hans-Peter Martin, eine inzwischen parteifreie Schöpfung der Kronenzeitung, schaffte bei den EU-Wahlen 2004 und 2009, aus dem Stand heraus und ohne Parteiapparat hinter sich, 14% und 18% der abgegebenen Stimmen auf sich zu vereinen. Nur durch tägliche, radikale Gratiswerbung der Kronenzeitung. Hans Dichand ist dadurch vermutlich eine der mächtigsten Personen des Landes, da er die Politiker so ängstlich macht, dass sie ihm beinahe jeden Wunsch erfüllen und sich nach den Schlagzeilen des Kleinformats richten. Wie in Deutschland halt, nur ein ziemlich großes Stück weiter rechts, bis zur Schmerzgrenze.
(die freiheitliche Präsidenschaftskandidatin Barbara Rosenkranz)
Mutterfreuden:
Wodurch wir wieder in die Gegenwart kommen. Eben jener Hans Dichand, Zeitungszar und österreichischer Kaiser von eigenen Gnaden, hat bereits im letzten Jahr angekündigt, einen konservativen Kandidaten gegen Heinz Fischer zu unterstützen. Dooferweise ist ihm dieser nun abhanden gekommen, da die christliche Volkspartei, wie oben erwähnt, doch keine Lust hat Millionen von , ( die in diesem Fall nicht ersetzt werden,) in eine ziemlich sicher verlorene Wahl zu stecken. Dies brachte nun die rechtsradikale Freiheitliche Partei Österreichs auf den Plan selber einen Kandidaten aufzustellen, da man Morgenluft schnupperte. Ohne die
lästige, bürgerliche Volkspartei, könnte man ja in deren Wählerpool wildern und alle Personen aufgreifen, denen der "Sozialist" Fischer zu "links"/passiv/doof/heimatverräterisch! ist. Da es keine anderen, auch nur ansatzweise bekannten, Gegenkandidaten gibt, entsteht das
österreichische Problem ein weiteres Mal.
Denn die Freiheitliche Partei hat, wie sollte es anders sein, einen Provokateur zur Wahl aufgestellt. Oder besser eine Provokateurin. Barbara Rosenkranz, zehnfache Mutter, ( die ihren Kindern gerne altgermanische Namen angedeihen lässt) wird in wenigen Wochen von jeder Plakatwand in Wien lächeln. Mit einem schönen Schriftzug, der wechselweise "heimatverbunden", "treu", "national" und "stolz" verkündet. Aber sowohl die Vorliebe für bizarre Namen, als auch die offen neonazistische Weltanschauung ihres Gatten, sollen der Dame natürlich nicht vorgehalten werden. Es reicht vollkommen, sie selbst sprechen zu lassen, um ihre "Gesinnung" festzustellen. Feminismus? Ein Irrweg! Das NS-Verbotsgesetz? Sollte man abschaffen. Das Zitat: "Es gab keine Gaskammern"? Eine erlaubte Meinungsäußerung. Und so geht es munter weiter.
Die Kronenzeitung hat sich, schon Wochen vor der offiziellen Bekanntgabe der Kandidatur, klar für Rosenkranz ausgesprochen, die der Herausgeber als "mutige Mutter" bezeichnete. Ein erster Paukenschlag, der auf eine weitere, große Kampagne schließen lässt, der Millionen Menschen in diesem Land wochenlang ausgesetzt sein werden. In der die, rechtsaußen stehende, Niederösterreicherin zur Frau "der Mitte" verklärt wird und ihre Kritiker zu "Linksextremisten". Wodurch es zwar ähnlich wie in Deutschland ist - und doch wieder viel weiter rechts. Bezeichnenderweise haben auch verschiedene, regionale Neonazigruppen bereits ihre Zustimmung zur freiheitlichen Kandidatur bekannt gegeben. Man fühlt sich verbunden mit ihren Werten.
(Kronenzeitungs-Herausgeber Hans Dichand, einer der führenden politischen Köpfe des Landes)
Nationale Amnes(t)ien:
Natürlich stimmt es, dass auch libertäre Kräfte sich gegen das Verbotsgesetz stellen, aber angesichts ihres persönlichen Backgrounds und ihres Umfelds, spürt der geneigte Beobachter, dass es hier eher um Verachtung gegenüber der "Tatsache" des Holocausts geht. Jedes Jahr aufs Neue fällt eine gewisse Anzahl von Politikern des hiesigen rechten Lagers durch rechtsextreme Sager auf, in denen wahlweise Juden und Ausländer beschuldigt und Opfer verunglimpft werden. Von der "guten Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" (Jörg Haider) abwärts, bis hin zur "grausamen Naziverfolgung nach 45" ( Siegfried Kampl), sind alle Schattierung des Revisionismus in der "Ostmark" nach wie vor präsent. Und das ist das Schlimme: Diese Sager und ein Jargon, der an die Rhetorik der NS-Zeit erinnert, werden inzwischen in weiten Kreisen der Bevölkerung als "normal" empfunden. Man ist es gewöhnt und ein Amtsträger muss schon weitaus "Schlimmeres" tun, um das Vertrauen der Menschen zu verlieren.
Diese Ignoranz gegenüber demokratiefeindlichen Strömungen und die Macht der Kronenzeitung, in der solche rechtspopulistischen Ideologien und Personen immer wieder als Helden und Erlöser gefeiert werden, erzeugen ein nationales Klima, in dem Parteien mit einem unklaren Verhältnis zum Nationalsozialismus bis zu 30% der Wählerstimmen erhalten können. Sollte es je eine Schamgrenze gegeben haben, sie wird einfach nicht mehr ausgenutzt und ist inzwischen verpufft. Je härter die Rhetorik, umso mehr Stimmen erhält man und die anderen, seriösen Parteien, können nur ungläubig zuschauen oder sich sogar beteiligen, um auch etwas vom Kuchen abzukriegen.
Eines ist allerdings sicher: Die umtriebige Vielfachmutter, Barbara Rosenkranz, wird dennoch nicht die nächste ( und leider auch nicht die erste) österreichische Bundespräsidentin werden. Zuviele schätzen Heinz Fischers passiven Politstil und für die breite, konservative Öffentlichkeit, ist die Atheistin und Sonnwendfeierin keine Alternative. Dennoch ist es, mit einem stramm nationalistischen Wahlkampfton und der massiven Schützenhilfe der Kronenzeitung, gut möglich, dass mehr als 30% der Wähler sich für sie entscheiden werden. Besonders auf dem Land ist die "bürgerliche" Öffentlichkeit eher gewillt eine revisionistische Nationalistin zu wählen, als einen Sozialisten. Was im Jahr 2010 irgendwie bedenklich stimmt. In unseren anderen, westlichen Nachbarländern, haben sich die rechten und populistischen Strömungen inzwischen viel mehr auf radikale "Islamkritik" und Panikmache vor der EU verlagert. In der kleinen Alpenrepublik, einem der reichsten Länder der Welt, ist man auch mit einem schiefen Geschichtswissen noch gut dabei.
(traditionelle Tiroler Trachten. Hinter dem friedlichen Idyll sind in der Alpenrepublik leider oftmals, revisionistische Idelogien verborgen.)
Die Insel der Seligen:
Unabhängig davon, ob die Kandidatin am Ende 15,20 oder gar 30% der Stimmen erhält, es sollte einen Demokraten irritieren, dass auch 65 Jahre nach Kriegsende solches Gedankengut noch in weiten Bevölkerungsteilen ignoriert oder gar goutiert wird. Wodurch der Phantomwahlkampf, um ein relativ unnötiges Amt, auch noch durch Geister aus der Vergangenheit bereichert wird.
In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts stellten die Mitarbeiter des Gallup-Institutes fest, die damals zum ersten Mal in Österreich waren, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung der Meinung war, die Ziele Hitlers waren schon gut, nur die Mittel falsch.
Sollte man die Person des Führers aus solchen Befragungen ausklammern, würden sich wohl heute immer noch viele
stolze Österreicher für eine Befreiung des Volkskörpers von Juden und Slawen aussprechen.
Ein dunkler Punkt der
nationalen Volksseele, der leider auch durch die strahlende Märzsonne, zwischen Liesing und Floridsdorf, nicht erhellt werden kann. Felix Austria...