Russland hatte vor Kriegsbeginn ungefähr 17 Millionen Artilleriegranaten, sowohl seit 1991 als auch ex-sowjetische Bestände. Die durchschnittliche Feuerfrequenz seit Februar liegt etwa bei 30.000 Artilleriegranaten pro Tag, vielleicht bei 50.000 in der Spitze im Sommer. Zusammengerechnet sind das knapp elf Monate nach Kriegsbeginn dann etwa 10 Millionen Artilleriegranaten, die Russland bislang verschossen hat. Die Produktionskapazität der Russen liegt bei lediglich 1,2, vielleicht 1,7 Millionen Artilleriegranaten pro Jahr. Wenn sie ihre Feuerfrequenz aufrechterhalten würden, dann hätten sie noch für 233 Tage solche Munition. Eine Armee kann keinen Krieg führen, wenn in knapp acht Monaten die Munition ausgeht. Das Land steht vor einem Problem: Russland hat nicht damit gerechnet, dass der Krieg so lange dauern würde. Seit dem vergangenen Herbst rationieren sie daher ihre Artilleriemunition. Die russische Rüstungsindustrie hatte schon immer zwei Probleme, auch in der Sowjetunion. Erstens, die Korruption: Ein Großteil der Gelder, die für die Rüstung vorgesehen sind, landet in den Taschen von korrupten Funktionären. Zweitens ist die russische Rüstungsindustrie technologisch unterlegen: Sie kann zwar produzieren, aber nicht besonders modern. Was Russland herstellen kann, sind vor allem Kampfmittel des 20. Jahrhunderts. Für ein riesiges Land mit seinem vermeintlichen Reichtum ist das nicht viel. Das steht in keinem Verhältnis zu dem, was der Westen und seine Verbündeten an die Ukraine liefern können. Die Sanktionen treffen die Rüstungsindustrie nicht so stark, vor allem wenn es um einfache Systeme wie Artilleriegeschosse oder Kampfpanzer geht. Als der großangelegte Angriff im Februar begann, hatten sich viele Beobachter erhofft, dass die westlichen Sanktionen dafür sorgen würden, dass der Munitionsnachschub stockt. Dabei wurde übersehen, dass die gesamte russische Rüstungsindustrie schon seit 2014 sanktioniert ist - nicht nur von den USA. Diese Sanktionen treffen vor allem das russische Exportgeschäft, nicht die Produktion. Keine westliche Firma darf mehr Komponenten liefern, kein russischer Rüstungsproduzent in den Westen exportieren. Alle Umgehungswege sind verboten.