aus einem spiegel interview mit einem französischen politologen:
S: Sie haben vor Kurzem gesagt, sie hielten diesen Konflikt für gefährlicher als die Kuba- oder die Berlin-Krise. Warum?
Badie: Sowohl Kuba als auch die Blockade Berlins waren statische Krisen, in denen sich die Situation nicht großartig veränderte. Bei diesem Krieg wissen wir nicht, was morgen passieren wird. Was wird in einer Woche sein, was in einem Monat? Putin verhält sich wie ein klassischer Gladiator. Und er ist zynisch. Wir können uns nicht mehr auf Prinzipien beziehen, von denen wir wissen, dass er sie auf jeden Fall respektieren wird. Er hält sich an kein Prinzip mehr, das der internationalen Gemeinschaft zugrunde liegt. Es scheint für ihn keine verbindlichen Werte mehr zu geben, das internationale Recht ist ihm egal. Das bedeutet, er kann sich für alles Mögliche entscheiden. Und das macht diesen Krieg so unabsehbar und gefährlich.
S: Was kann der Westen tun in dieser Lage?
Badie: Wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten daran gewöhnt, wirtschaftliche Sanktionen als neue Waffen einzusetzen und glauben an ihre abschreckende Wirkung. Aber die Frage ist, wie effektiv Sanktionen in diesem Fall sind. Putins Logik ist eine politisch-militärische, Wirtschaftsinteressen sind da erst einmal zweitrangig. Zudem lebt Russland schon lange, seit der Annexion der Krim 2014, mit Sanktionen und hat Mittel gefunden, damit umzugehen. Und dann kommt noch etwas hinzu: Sanktionen haben systemische Effekte in beide Richtungen. Sie betreffen denjenigen, gegen den sie sich richten, aber auch die Wirtschaftssysteme jener, die sie verhängen. Auch darauf setzt Putin. Werden wir zu militärischen Mitteln greifen? Ich glaube eher nicht, die Bereitschaft in den USA und in Europa, in einen Krieg zu ziehen, ist nach den Kriegen in der Sahelzone, in Afghanistan und Vietnam nicht sehr groß.
S: Das heißt, der angeblich so paranoide Putin hat all diese Schwächen des Westens sehr kaltblütig und genau in sein Kalkül miteinbezogen?
Badie: Davon ist auszugehen. Aber wir sollten nicht übertreiben, der Westen ist nicht nur schwach und Putin stark. Putins größte Schwäche, sollte er sich wirklich dazu entschließen, die Ukraine einzunehmen, wird die ukrainische Zivilgesellschaft sein. Sie wird sich gegen ihn wenden. Und das kann sehr destabilisierende Auswirkungen für ihn haben, selbst im eigenen Land. Denn auch die russische Bevölkerung hat keine Lust, in diesen Krieg zu ziehen und Soldaten in Leichensäcken zurückkehren zu sehen. Und das könnte Putin langfristig schwächen.
auf die innenpolitische schwächung, ausgehend von einem unwillen seiner bevölkerung, diesen krieg mitzutragen, hoffe ich auch. vielleicht die einzige, große chance, ihn zur raison zu bringen.