Marvel Masterworks: X-Men (1963) Volume 1
Den Anfang der berühmten Mutantengruppe finde ich recht zäh. Es kommt keine Spannung auf, es werden moralisch fragwürdige Entscheidungen getroffen und vor allem Professor X ist in den ersten Heften ein sehr anstrengender Charakter. Dieser leitet eine geheime Schule für Mutanten, die sich auf den Kampf gegen andere Mutanten zu konzentrieren scheint. Obwohl alle bisherigen Schüler innerhalb der ersten zehn Hefte ihren Abschluss schaffen sieht man während der Schulzeit ausschließlich im Danger Room, eine moderne Trainingsanstalt, wo theoretisch schnell was schiefgehen könnte, wenn die Schüler einen Fehler machen.
Zum Start gibt es mit Cyclops, Beast, Angel und Iceman nur männliche Teenager, doch mit Marvel Girl gesellt sich schnell auch jemand vom anderen Geschlecht hinzu. Wie furchtbar ist bloß ihre Einführung? Professor X in seiner Position als Lehrer stellt sie als junge, attraktive Dame vor. Daraufhin wird sie von den Jungs erstmal sehr aggressiv umworben. Zum Glück hält dieser Zustand nicht lange an. Später gibt es plötzlich einen inneren Monolog vom Professor, dass er die junge Frau liebt. Dieser Gedanke wird dann stehen gelassen und im gesamten Band nie wieder aufgegriffen. Stattdessen vergucken sich Cyclops und Marvel Girl ineinander, doch keiner traut sich, den anderen darauf anzusprechen.
Professor X gefällt mir überhaupt nicht. Er ist ein Kontrollfreak, der in den Köpfen seiner Schüler herumspuken kann. Eine hohe Disziplin wird hier abverlangt, was vielleicht vor 60 Jahren anders angesehen wurde als ich es heute mache. Wenn er plötzlich von allen Schülern verlangt, innerhalb von 10 Sekunden bei ihm zu erscheinen und sonst mit Konsequenzen droht, kommt mir das vollkommen übertrieben vor.
Die Schüler entwickeln etwas Charakter. Cyclops wird der Anführer der Gruppe und nimmt eine entsprechende Rolle samt Gedankenbild ein. Er besitzt seinen bekannten Augenlaser, der kein Laser ist, sondern irgendwie physisch wirkt. Diese Fähigkeit kann er jedoch kaum nutzen, ohne danach ausgepowert zu sein. Beast hat hier noch nicht sein Fell, wie man auf dem Cover sieht. Er hat eher große Füße und setzt diese wie diverse Menschenaffen ein. Angel kann fliegen, bekommt neben einiger guter Kampfszenen jedoch nicht viel Aufmerksamkeit. Iceman ist anfangs noch als Schneeman unterwegs und kämpft tatsächlich zuerst nur mit Schneebällen. Erst im letzten Teil des Bandes verbessert er seine Kräfte und kann sich den typischen Eiskörper verpassen. Bei Marvel Girl steckt schon etwas mehr Charakter in ihrem Textboxen. Hier verfügt sie bisher nur über telekinetische Kräfte (was zuerst noch als Teleportation bezeichnet wurde). Wie bei Cyclops kann sie ihre Kräfte nicht unbegrenzt einsetzen und erschöpft schnell, wenn der Autor es denn so will.
Mit Magneto wird in der ersten Ausgabe sofort ein großer Gegenspieler eingeführt. Er spricht sogar schon von der Überlegenheit des Homo Superiors und das die gewöhnlichen Menschen unterworfen gehören. Diese Motivation wird jedoch schnell vergessen, da er sehr oft vorkommt, seine Evil Mutants an die Seite bekommt und dann nur noch dieser typische Schurke ist, den die Helden eben immer wieder aufhalten. Interessant ist hier nur das Dilemma von Scarlet Witch und Quicksilver (hier noch ohne Verwandschaft zu Magneto), die von Magneto mal in der Vergangenheit gerettet worden sind und nun ihre "Schuld" ableisten wollen, aber nicht der selben Ansicht wie Magneto sind. Leider wird auch diese Konstellation schnell alt, weil es immer wieder gleich durchgekaut wird, ohne das ein wirklicher Fortschritt erkennbar wäre.
Meine Abneigung Professor X gegenüber gegründet sich in sein Umgang mit einigen Schurken. So gibt es im zweiten Heft einen Kriminellen mit Teleportationskräften. Der Professor hält diesen letztendlich damit auf, in dem er sein Gedächtnis und somit seine vollständige Persönlichkeit auslöscht. An anderer Stelle lädt er den Mutanten Blob zu sich ein und als dieser sich weigert, sich den X-Men anzuschließen, befiehlt der Professor seinen X-Men den Angriff auf Blob und will dessen Gedächtnis ebenfalls löschen. Hier wenigstens nur die Erinnerungen an alles, was die X-Men betrifft. Da fragt man sich schon, wer hier tatsächlich der große Schurke ist.
Zum Ende wird mit Lucifer ein Antagonist eingeführt, der wenig bietet, dafür das er so groß aufgebaut wird. So ist der Professor in eigener Mission für einige Hefte abwesend, um Lucifer ausfindig zu machen. Dieser soll dafür verantwörtlich sein, dass der Professor einen Rollstuhl benötigt. Wobei einige Hefte vorher als Grund noch ein Unfall in der Kindheit genannt wurde. Bei Bedarf wird in der Reihe gern was geändert. So hieß Cyclops mit wahrem Namen noch Slim Summers, anstatt Scott Summers. Jedenfalls wird nach einem Dialog Lucifer per Gedankenkraft zum Schlafen gebracht und hinterher darf dieser einfach gehen. Dafür, dass dieser Schurke eine gemeinsame Vergangenheit mit dem Professor haben soll, ist das sehr antiklimaktisch und ein großer Kontrast zur Persönlichkeitsauslöschung eines beliebigen Diebes einige Hefte zuvor.
Optisch kann der Comic sich schon sehen lassen. Nur manchmal gibt es ein paar Farbkleckse, die etwas über das eigentliche Ziel hinaus geschossen sind. Zwei Panels mit einem schielenden Magneto sind leichte Ausreißer nach unten. Sonst ist es okay, doch die Anfänge von Spider-Man erschienen mir im Vergleich zu hier makellos.
Würde ich nicht X-Men durch moderne Interpretationen und Fortführungen kennen, ich würde hier wohl nicht weiterlesen wollen. Viel zu langweilig und beliebig ist mir der Inhalt. Wirklich interessant fand ich Beasts kurze Trennung von den X-Men, das überhaupt nicht zum Charakter passt und oer Holzhammermethode herbeigeführt wird. Doch das dieser daraufhin Karriere im Wrestlingbusiness macht finde ich ungeheuer spannend und hätte gern mehr davon gesehen. In Erinnerung bleibt mir sonst nur das erste Aufeinandertreffen mit den Avengers. Dieses ist zwar unnötig erzwungen, doch es gibt einen ausgeglichenen Schlagabtausch. Nur nicht bei den Frauen. So nimmt die handgroße Wasp die Haare von Marvel Girl und nimmt ihr damit die Sicht, die sich daraufhin beschwert, nichts sehen zu können. Das ist so dämlich, das es wieder lustig ist.