Dr. Carl-Friedrich Schleussner
Forschungsgruppenleiter, Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, und Head of Climate Science, Climate Analytics
„Im Jahre 2021 stellt sich nicht mehr die Frage, ob der Klimawandel dazu beigetragen hat. Die Frage ist nur noch, wieviel. Wir wissen, dass es aufgrund der Erwärmung zu einer Zunahme von Starkregen kommt und damit auch leider zu häufigeren, verheerenden Flutereignissen wie tragischerweise jetzt in Westdeutschland, Belgien und Luxemburg. Gleichzeitig nehmen Wetterlagen zu, die zu solchen Extremwetterereignissen führen.“
Dr. Sebastian Sippel
leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Klimaphysik, Institut für Klima und Atmosphäre, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Schweiz
„Es ist nach wie vor sehr schwierig, Einzelereignisse kausal auf den Klimawandel zurückzuführen. Das dürfte auch für den aktuellen Starkregen gelten. Jedoch kann die Attributionsforschung mittlerweile in vielen Fällen aufzeigen – zum Beispiel für viele Hitzeereignisse und Starkregen –, dass die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten solcher Ereignisse, wie auch häufig die Intensität solcher Ereignisse, durch den Klimawandel zunehmen. Das ist auch durch physikalische Gesetzmäßigkeiten und Analysen von Trends in Beobachtungsdaten vielfach belegt. In der Attributionsforschung konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass Starkregenereignisse im Mai und Juni 2016 in Frankreich, die zu Überschwemmungen an der Seine und Loire führten, durch den Klimawandel etwa doppelt so häufig auftreten. Dennoch kann dies nicht für jedes Ereignis gezeigt werden, denn beispielsweise für Starkregen im Mai und Juni 2013 an Elbe und Donau konnte kein signifikanter Einfluss gezeigt werden. Für das aktuelle Ereignis gibt es noch keine solche Studie. Pro ein Grad Celsius Temperaturerhöhung kann die Atmosphäre etwa sieben Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Diese durch Erwärmung zusätzliche Feuchte führt daher in der langfristigen Tendenz zu höheren Niederschlagsmengen, insbesondere bei Starkregen. Es ist daher aufgrund dieser einfachen physikalischen Gesetzmäßigkeit davon auszugehen, dass langfristig in den mittleren Breiten Starkregenereignisse zunehmen, obwohl auch die natürliche Variabilität bei Niederschlagsereignissen sehr groß ist – was unter anderem bei potenzieller Zuordnung zum Klimawandel berücksichtigt werden muss. Diese langfristige Zunahme von Starkregenereignissen ist vielfach in Beobachtungsdaten belegt. Abgesehen von der Zunahme von Starkregenereignissen ist insbesondere eine Zunahme von Hitzewellen zu erwarten.“
Dr. Christian Grams und Dr. Julian Quinting
Arbeitsgruppe Großräumige Dynamik und Vorhersagbarkeit, Institute für Meteorologie und Klimaforschung – Department Troposphärenforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen
„In der Nacht zu Donnerstag, 15. Juli 2021, gingen Regenmengen von mehr als 150 Litern pro Quadratmeter in kurzer Zeit über Teilen von Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Belgien, Luxemburg, und Nordfrankreich nieder. Wettervorhersagemodelle hatten dieses Ereignis seit Tagen angedeutet und bereits drei Tage im Voraus zeichneten sich für die betroffenen Regionen sehr hohe Niederschlagsmengen ab. Entsprechend warnte der Deutsche Wetterdienst frühzeitig vor extremem Niederschlag und Hochwasser. Leider konnte dennoch insbesondere in den westdeutschen Mittelgebirgsregionen eine Flutkatastrophe nicht abgewendet werden und es sind viele Todesopfer und Sachschäden zu beklagen. Besonders betroffen ist die Eifel, wo beispielsweise der Pegel der Ahr in Altenahr die bisherige Rekordmarke von 3,71 Metern vom Juni 2016 um mehr als 2 Meter übertraf, bis die Messung bei 5,75 Metern ausfiel. Meteorologisch führten verschiedene Faktoren zu den enormen Niederschlagsmengen. Eingebettet in eine stark ausgelenkte Höhenströmung und festgehalten von stationären Hochdruckgebieten über dem Atlantik und Nordosteuropa wurde Tief ‚Bernd‘ in den letzten Tagen nahezu ortsfest über Mitteleuropa. Zunächst steuerte das Tief aus dem Mittelmeerraum sehr feuchte und warme Luft nach Deutschland und löste bereits am Wochenende vielerorts lokalen Starkregen und Hagelunwetter aus. Von Westen wurde gleichzeitig kühlere Atlantikluft herangeführt. Am Mittwoch steuerte Tief ‚Bernd‘ nun die warme Mittelmeerluft von der Nordsee und Osteuropa her zurück nach Süden wo sie über Westdeutschland und Benelux über die kühlere Luftmasse südwärts aufstieg, was zu den extremen Niederschlagsmengen führte. Zusätzlich waren die Böden in Mitteleuropa aufgrund der Niederschläge in den letzten Wochen gesättigt. Das stark gegliederte Gelände der betroffenen Region mit teils tief eingeschnittenen Flusstälern verstärkte weiterhin den Oberflächenabfluss. All diese Faktoren führten zusammengenommen letztlich zur verheerenden Flutkatastrophe von Juli 2021.
Zwangsläufig stellen sich die Fragen, wie ungewöhnlich das Ereignis war, ob es mit dem Klimawandel zu tun hat, und ob man sich in Zukunft verstärkt auf solche Extremereignisse einstellen muss. Von Extremereignissen spricht man, wenn eine Kenngröße, wie zum Beispiel die Niederschlagsmenge, am Rande des Spektrums vergangener Messwerte liegt – zum Beispiel im oberen Prozent der je aufgetretenen Messwerte – oder bisher gemessene Werte sogar überschreitet. Das aktuelle Ereignis lag für viele Kenngrößen außerhalb jeglicher bisheriger Beobachtungen. Die sehr hohen Niederschlagsmengen in kurzer Zeit, das relativ große betroffene Gebiet und die hohen Abflussmengen kleiner und mittlerer Bäche und Flüsse sind extrem. Vergleichbare Wetterlagen betrafen in der Vergangenheit eher das Erzgebirge und die Alpen. Doch sollte das Augenmerk auf dem hohen Wassergehalt der Luftmasse im Kontext der Klimaerwärmung liegen. Der Wassergehalt erreichte Werte, die statistisch gesehen nur alle 40 Jahre zu erwarten sind. Physikalische Gesetze sagen uns, dass wärmere Luftmassen mehr Wasserdampf speichern können – in etwa 7 Prozent mehr pro Grad Celsius Erwärmung. Dieser steht dann für Niederschlag zur Verfügung. Dies verändert die Stärke möglicher Niederschlagsereignisse, so dass auch bisher unbeobachtete Extremniederschläge möglich werden. Dabei können in Zukunft bei entsprechenden meteorologischen Faktoren die kurzfristigen Extremniederschläge auch mehr als 7 Prozent ansteigen.
Daher ist es so, dass wir vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung generell bei uns mit mehr und stärkeren Extremereignissen rechnen müssen. Dies betrifft nicht nur Starkregenereignisse, sondern auch Hitze- und Dürreperioden. Denn wäre die Höhenströmung einige tausend Kilometer nach Westen verschoben, würden wir jetzt eine Hitzewelle erleben wie gerade in Nordosteuropa oder bei uns in den letzten Jahren. Und auch solche Hitzewellen werden vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung extremer als bisher beobachtet. Dass ortsfeste Wettermuster – wie zuletzt häufig beobachtet – durch den Klimawandel verstärkt auftreten, wird von vielen Expert*innen vermutet und ist gegenwärtig Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Forschung.“[...]