La Haine von Mathieu Kassovitz
Aus aktuellem Anlass nochmal gesehen. Und was soll man sagen? Passender denn je. Ein absolutes Meisterwerk. Kassovitz portraitiert die pariser Vorstadtjugend in den 90ern. Geplagt von Verbrechen, ignoriert von Politikern, belächelt vom städtischen Bildungsbürgertum und getriezt von der Staatsgewalt. Geleitet von blindem Hass.
Die Perspektivlosigkeit entlädt sich in mehreren Tagen andauernden Ausschreitungen als 1993 ein 16-jähriger bei einem Polizeiverhör, angekettet an einen Heizungskörper, mit einem Schuss in die Schläfe getötet wird. Reale Aufnahmen der Straßenkämpfe stimmen uns in den Film ein, der 24 Stunden im Leben dreier Jungendlicher zeigt.
Kassovitz begleitet die drei Freunde Said, Vinz und Hubert durch die Tristesse der Banlieu. Ziellos wirren sie am Tag nach den Unruhen umher. Sie wissen scheinbar nicht wohin, und nicht was sie tun sollen. Perfekt eingefangen in schwarz-weißen Bildern fühlen wir quasi mit unseren drei Protagonisten mit. Mal erzürnt und ungestüm wie Vinz, mal ruhig und nachdenklich wie Hubert, mal locker und mit loser Zunge wie Said. Doch es schwebt immer etwas bedrückendes mit. Etwas was nicht leicht in Worte zu fassen ist. Ein weiteres Unglück scheint sich anzubahnen. Denn "bis hierhin lief es noch ganz gut, bis hierhin lief es noch ganz gut, bis hierhin lief es noch ganz gut." Doch was zählt ist nicht der Fall, sondern die Landung.
Ganz eindeutig beeinflusst von Spike Lee's "Do the right thing" gelingt Kassovitz ein beeindruckendes, weil echtes Gesellschaftsportrait, das kritisiert und verstört. Dabei schwankt der Film in seinem sehr szenisch verlaufendem Ablauf mal heiter, mal lehrreich, mal äußerst metaphorisch. Die Szene in der Kunstgallerie hat mir in ihrem starken Kontrast zwischen Haute-Socialité und Straßen-Charisma einfach nur ein Lächeln auf die Lippen gezaubert. Ich habe mich an meinen Freundeskreis, welcher ebenfalls sehr differenziert ist, erinnert gefühlt.Machos mit großen Klappen inmitten gut situierter Bildungsbürger. Der Toiletten-Monolog des alten Mannes ist wohl eine der größten Szenen die das europäische Kino jemals hervorgebracht hat. So vielschichtig und in ihrer Gelassenheit so emotional. Da blieb selbst den drei Protagonisten die Sprache weg. "Warum hat er uns das erzählt?".
Es fällt sehr schwer mit den drei Jungs zu sympathisieren, sind sie doch einfach nicht zu bändigen. Sie wirken ignorant und scheren sich nicht um Regeln. Sie sind, vorallem Vinz, tickende Zeitbomben. Doch im Grunde fehlt es ihnen nur an einer klaren Richtung, einer leitenden Hand, an die sie sich wenden können.
Es wäre sehr naiv anzunehmen, dass es derartige Probleme nur in Pariser Vorstädten oder New Yorker Ghettos gäbe. London lehrt uns das. Und auch bei uns ist Integration ein längst vergessenes, oder verdrängtes, Hobby geworden. "Es war am Anfang cool, doch dann schwanden schnell die Glücksgefühle, denn neben hohle-Phrasen-dreschen kamen auch die Rütli-Schulen. Die Kids die störten, sie haben nicht ins Konzept gepasst. Wenn du 100 Gramm Integration versprichst, aber nur 15 Gramm
Integration vertickst, fühlen sie sich gelinkt und machen halt in Paris Vorstädte platt."
Großes Kino. "Baise la Police".
10/10