The Wolf of Wall Street
Die nun fünfe Zusammenarbeit zwischen Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio darf wohl ohne zu übertreiben als Scorseses verrücktester Film bezeichnet werden. Was für viele der beste Film der Regielegende seit The Aviator, Casino oder vielleicht sogar GoodFellas geworden ist, stellt in meinen Augen den Zuschauer vor die ein oder andere Herausforderung und das zeigt sich in den vergangenen Wochen auch an den vielen unterschiedlichen Reaktionen der Kritiker und Filmfans.
Ich muss ehrlich gestehen, dass ich nun nachdem ich den Film gesehen habe, überhaupt nicht zufrieden mit einigen Kritiken und Berichten von Kinogängern bin. Häufig wurde der Film als schwarze Komödie oder gar Satire auf der einen, und als an Casino und GoodFellas erinnernden Scorsese-Epos auf der anderen Seite bezeichnet.
Dabei hat der Film natürlich einen sehr humorvollen Anstrich und tatsächlich erinnert der Streifen in vielerlei Hinsicht an den ein oder anderen großen Beitrag Scorseses vergangener Tage, aber er bringt sehr viel Eigenständiges mit und genau dem wird wohl zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
The Wolf of Wall Street ist nicht nur die Geschichte von Jordan Belfort, sondern auch der Film von Jordan Belfort. Hier vermischt sich die von Belfort selbst verfasste Buchvorlage mit dem Umstand, dass Martin Scorsese nur sehr ungerne über seine Protagonisten urteilt. Ein Martin Scorsese mag der Filmwelt vieles gegeben haben, aber prätentiös war er dabei nur sehr selten und die Geschichte von Jordan Belfort, hier scheitert sie wohl für sehr viele Zuseher, ist keine Geschichte der Wandlung und der Buße. Heute führt Jordan Belfort ein relativ unspektakuläres Leben als Motivations-Trainer, aber das tut er nicht, weil er irgendwann zur Einsicht kam, sondern weil er aufgegeben hat und zwar erst, als die Lage selbst für ihn aussichtslos erschien, gewehrt hat er sich reichlich. Ich stelle mir keinen Jordan Belfort vor, der bedauert, wenn er seine Stories erzählt, sondern jemand, der sie anekdotisch vorträgt, als wären es wilde Geschichten und schöne Erinnerungen von der guten alten Zeit (da passt es auch sehr gut, dass man vor ein paar Tagen lesen durfte, dass er bisher nur rund 20.000 Dollar der Million, die er für die Filmrechte bekam, an seine Opfer spendete und heute nur noch wenig davon hält, einen Großteil seines Einkommens an eben diese abzugeben) und so präsentiert uns Martin Scorsese auch die erzählerische Off-Stimme von Belfort selbst, die ständig das Geschehen kommentiert.
Und genau mit dieser Einstellung sollte man in meinen Augen eben auch in diesen sehr unterhaltsamen Film gehen, nämlich dass man es hier nicht mit einem geläuterten Verbrecher zu tun hat, sondern maximal mit einem gegen seinen Willen gezähmten Wolf. Auch wenn man sehr viel Zeit verbringt über den absurden dreistündigen Trip zu lachen, sollte man das immer im Hinterkopf behalten: man bekommt hier einen drogensüchtigen Soziopathen und Verbrecher der übelsten Sorte aufgetischt, und keine 0815-Komödie über Sex, Geld und Drogenmissbrauch, die mit einem Happy End abschließt.
Ansonsten bietet der Film so ziemlich genau das, was man erwartet und was die ein oder andere Stelle betrifft, noch ein bisschen mehr, denn an obszönen und wilden Szenen mag es manch Film fehlen, aber The Wolf of Wall Street ist trotz nachträglicher Arbeit im Schneideraum um ein R-Rating zu umgehen (WoWS treibt NC-17 gewiss an seine Grenzen), keiner davon. Manch sich auf den humorvollen Teil des Films konzentrierender Kinogänger wird irgendwann vielleicht von der exzessiven Darstellung von Drogenmissbrauch und Sex gar gelangweilt sein, denn Scorsese prügelt uns immer wieder Szenen dieser Art ein, damit gar kein Zweifel über die Probleme Belforts und seines Umfelds aufkommen.
Getragen werden diese verrückten Abschnitte des Films von dem oscarnominierten Jonah Hill und natürlich dem Hauptdarsteller und ebenso nominierten Leonardo DiCaprio – da onaniert der eine in Mitten einer Party ohne jedes Schamgefühl und kriecht der andere komplett würdelos unter dem Einfluss von Drogen zu seinem Auto (eine der vielleicht auffälligsten Szenen des Films, so harmlos sie sich auch anhören mag).
Für viele liefert hier DiCaprio seine bisher beste Leistung ab und auch wenn ich dem noch nicht komplett zustimmen will (den Film will ich durchaus noch auf BR in der OV sehen), habe ich zumindest schon jetzt kein Problem damit seine Performance zumindest auf eine Stufe mit den bisher besten von ihm zu stellen. Jonah Hill hat sich seine Nominierung gewiss verdient, aber am Ende ist The Wolf of Wall Street doch eine weitere Bühne von DiCaprio und dem nun vierfach nominierten Schauspieler wird auf ihr auch alles abverlangt. Kaum vorstellbar wie großartig McConaughey, Ejiofor und auch Dern in ihren Filmen sein müssen, liegen sie im aktuellen Oscarrennen noch vor DiCaprio (bzw. im Fall von Dern wohl gleichauf).
Erwähnen will ich dabei nicht nur die natürlich unglaublich attraktive Margot Robbie, die gekonnt Belforts Ehefrau im wahrsten Sinne des Wortes „verkörpert“, sondern den auch etwas wenig beachteten Rob Reiner, der neben Hills Part den wohl witzigsten Charakter übernommen hat und als jähzorniger Vater Belforts „Mad Max“ schon ziemlich zu Beginn des Films zu glänzen weiß.
Über die Regie muss man nicht viele Worte verlieren, denn wir reden hier über einen der größten Filmemacher aller Zeiten und meine persönliche Nummer 1. Wenn Martin Scorsese sich monatelang in den Schneideraum mit Thelma Schoonmaker einsperrt dann kann handwerklich kaum etwas schief gehen und das ein oder andere Setpiece für das Auge hält Scorsese dann gar, fast schon als Nebenschauplatz missbraucht, doch bereit.
Wer eine reine Komödie erwartet, wird am Ende vielleicht enttäuscht sein und wer sich einen modernen Gangster-Movie mit finalem Showdown erwartet ebenso. Wer erwartet, dass er die Moral vom Film selbst präsentiert bekommt, der sollte sich den Film überhaupt erst nicht ansehen, denn die muss man, nachdem man einige Male herzhaft gelacht hat, selbst für sich herausfiltern.
Vielleicht ist genau das die Krux und das Meisterstück des Films: Dass man sich dem mitreißenden Lebensgefühl und dem unglaubwürdigen Rausch des Jordan Belforts auf Grund der Darstellung selbst als Zuseher nur schwer entziehen kann. Und auch wenn viele Dialogzeilen natürlich mit der Intention den Zuschauer zum Lachen zu bringen geschrieben wurden, so erzählt The Wolf of Wall Street uns nicht nur etwas über einen Teil der Kultur Amerikas in den 90er Jahren, sondern auch etwas über unsere eigene, wenn wir über diesen Film im Kino eher lachen, als über einen Gangsterfilm aus den 80ern und in der Öffentlichkeit über die Würdelosigkeit der Drogen- und Sexszenen des Films kontroverser diskutieren, als über Gewaltdarstellungen in anderen Klassikern des Films.
Für mich persönlich (und ich habe die meisten großen Oscaranwärter natürlich noch nicht gesehen) ist es der bisher beste Film des Jahres 2013 den ich sehen konnte und zweifelsfrei auch einer der besten Filme des noch jungen 21. Jahrhunderts. Als Scorsese und DiCaprio-Fan natürlich absolutes Pflichtprogramm und auf Grund der verrückten Geschichte sicherlich auch für manch Liebhaber des Blockbuster-Kinos absolut sehenswert.