Der Presserechtler Thomas Schwenke hält das für "völlig inkonsistent".Der Hamburger Medienrechtler Jörg Nabert sieht in der Entscheidung des Gerichts eine große Gefahr. Danach hänge es vom Geschmacksurteil der jeweiligen Richter ab, ob sie bestimmte Passagen als zulässig einstuften oder nicht. "Damit ist der Zensur Tür und Tor geöffnet", warnt Nabert, der auch DIE ZEIT und ZEIT ONLINE vertritt. Er spricht von einer "Zwitterentscheidung": eigentlich habe das Gericht das Gedicht als Satire gewertet, aber dennoch viele Passagen untersagt. "Da wird es heikel", sagte er.
Nabert hält das Gedicht in Gänze für durch die Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt. Es sei eine bewusste Schmähung Erdoğans, aber die sei ausnahmsweise durch die höheren Rechtsgüter gedeckt. "Wenn ein Präsident auf Demonstranten einschlagen lässt und gegen unliebsame Journalisten vorgeht, dann muss er sich mehr gefallen lassen als andere", so der Anwalt.
Ähnlich sieht das der Kölner Medienanwalt Niklas Haberkamm. Er erinnerte daran, dass Böhmermann mit seinem Gedicht darauf reagiert habe, dass Erdoğan kurz vorher gegen ein harmloses Lied in der NDR-Sendung extra 3 massiv vorgegangen war. Daher müsse er sich bieten lassen, dass er satirisch ebenfalls hart angegangen werde.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien zudem die absurdesten Behauptungen und Übertreibungen am meisten durch das Presserecht geschützt, da sie in sich unglaubwürdig seien. Das Hamburger Gericht habe diesen Grundsatz nun genau umgedreht.