Also unter "Hate" verstehe ich eine Form von Hetze, d.h. ein Hater versucht etwas in den Augen anderer herabzuwürdigen, in unserem Fall ein Spiel. Der Hater versucht also im weitesten Sinne die Meinungsbildung anderer durch eigene Meinungsäußerungen negativ zu beeinflussen. Inwiefern kann man dem Versuch, Meinungsbildung durch Meinungsäußerung zu beeinflussen jedoch Substanz attestieren (substanzvoll Haten), wenn man annimmt, dass Meinungsbildung nur dann Substanz haben kann, wenn sie auf eigener Erfahrung basiert (und damit eben nicht auf der Meinung des Haters)? Imho ist das ein ziemlicher logischer Widerpruch, sofern man Haten im o.g. Sinne versteht.
Ich denke, Meinungsbildung kann auch jenseits eigener Erfahrungswerte Substanz haben. Im Alltag bleibt uns oft nichts anderes übrig als unsere Meinungen anhand von Erfahrungswerten/-berichten anderer zu entwickeln. Dies gilt insbesondere für die Bewertung historischer Ereignisse, die der Selbsterfahrung grundsätzlich entzogen sind. Extrembeispiel um es zu verdeutlichen: Ich kann den Holocaust auch dann fundiert verurteilen, wenn ich ihn selbst nicht miterlebt habe. Bei der Bewertung von Spielen gilt dasselbe Prinzip. Ich kann mir eine Meinung ausschließlich aufgrund meiner eigenen Spielerfahrung bilden. Ich kann mir eine Meinung aber auch durch das lesen von mehreren Erfahrungsberichten/Tests bilden und bin damit am Ende womöglich sogar objektiver, weil ich meine Meinung auf mehrere Messergebnisse stütze und nicht nur auf mein persönliches. Stütze ich meine Bewertung nur auf eigene Spielerfahrung kann ich am Ende auch nicht mehr sagen als: "Für meinen Geschmack ist das Spiel aus dem und dem Grund gut oder schlecht". Ob das schon ausreichende Basis für substanzvolles Haten (oder Hypen) im o.g. Sinne ist, soll jeder selbst beurteilen.
Unfassbar, der erste richtig fundierte, sachlich argumentative Post, den ich von dir bislang gelesen habe.
Ich kann deine Argumentation in Teilen nachvollziehen, allerdings ist dein Extrembeispiel mit dem Holocaust nicht wirklich treffend, da mag es Prov noch so "wundervoll geschrieben" finden.
Der Holocaust ist ein Ereignis, das den Menschen empathisch zutiefst trifft und verursacht mit seinen Bildern, Erfahrungsberichten von Zeitzeugen und Videos Urängste bei uns. Der Holocaust ist (nicht nur) moralisch gesehen eine Sache, die jeder von uns ablehnt. Wollen wir uns mal gar nicht so sehr auf den Holocaust versteifen. Auch den Tschetschenenkrieg und Hexenverbrennungen in Afrika sind ähnliche Kaliber, die den Menschen fassungslos zurücklassen. Über all das kann sich ein geistig gesunder Mensch mit normalem Empathievermögen ein Urteil bilden, weil es falsch, moralisch, menschlich und rechtlich höchst verwerflich ist. Hier gibt es keine gute Seite, hier sollte es keine Fürsprecher geben. Deine Meinung ist eigentlich keine, denn der gesunde Menschenverstand und der Selbsterhaltungstrieb bei Sichtung von menschenverachtenden Material gibt dir vor, diese Dinge zu verabscheuen.
Nun schlagen wir wieder langsam den Bogen zu den Videospielen: Videospiele sind, egal von welchem Hersteller sie sein mögen, nicht grundsätzlich moralisch falsch. Das mag der eine oder andere vielleicht so empfinden, wenn ein Gigant wie Google in den Videospielmarkt drängt oder vor 15 Jahren Microsoft mit Milliardenressourcen in den Konsolenmarkt einmarschierte. Dennoch sind Videospiele nicht (grundsätzlich) moralisch falsch, nicht menschenverachtend und je nach Freigabe natürlich auch nicht rechtlich verwerflich. Es ist also so gut wie ausgeschlossen, dass ich ein Videospiel nur aus dem Grund ablehnen kann, weil es mein Moralempfinden oder mich als Mensch erniedrigt, verabscheut oder meine Selbsterhaltung und die meiner Mitmenschen mutmaßlich beeinträchtigt.
Natürlich kannst du Dinge ablehnen, weil du in der Vergangenheit Erfahrungen gesammelt hast: Du lehnst einen Mercedes bewusst ab, weil du die Marke mit bonzenhaften Fahrern verbindest. Du lehnst einen Fernseher von Samsung unterbewusst ab, weil deine geliebte und leider verstorbene Großmutter immer ein Samsung-Gerät besaß. Du lehnst Strandurlaube halb-wissentlich ab, weil du als Kind während eines Strandurlaubs misshandelt wurdest. All diese Entscheidungen und Nuancen bzgl. der eigenen, inneren Toleranzgrenzen entstehen bewusst oder unbewusst aus dem bisher Erlebten und den Erinnerungen und Gefühle, die man an die Ereignisse hat.
Der Hate gegen Videospiele und Konsolenhersteller ist im Gegensatz all den anderen Beispielen eine extrem bewusste und wohlkalkulierte Sache. User X hatet nicht gegen Spiderman, weil er früher schlechte Erfahrungen mit Spiderman gemacht hat. Er hatet es nicht, weil er den Anzug doof findet oder selbst mal von einem Mann in einem roten Kostüm verprügelt wurde. Er lehnt es nicht aus moralischen oder humanistischen Gründen ab. Er hatet es in einem Online-Nerd-Forum, weil er eine andere Firma präferiert und es vielleicht lustig findet, andere damit zu provozieren. Es hatet ohne Substanz, er hatet ohne echten Background. Das merkt man häufig auch an den Pseudo-Argumenten, die ausgetauscht werden, gestern ganz ausgezeichnet an Bonds Beiträgen zu Sea of Thieves zu sehen. Er basht Dinge, die alle widerlegbar sind, weil er keine eigene Erfahrung damit gemacht hat. Er weiß nicht, wovon er spricht. Die Judenverfolgung kann ich nicht leugnen, die gab es nachweislich, siehe meine Ausführung oben. Diese Erfahrung muss er nicht selbst gemacht haben.
Hätte er sich sinnvoll mit dem Spiel auseinandergesetzt, wäre auch der Hate effektiver, zielführender und vor allem authentischer gewesen. Er hätte die Dinge an dem Spiel haten können, die wirklich problematisch sind - und nicht nur platte Worthülsen lostreten, um möglicherweise einen Glückstreffer zu landen.