Wenn es nur normale Aftershowpartys wären, bei denen Lindemann ein, zwei Groupies abschleppt, kann man das moralisch verwerflich finden, muss man aber nicht. Das vor allem sehr junge Frauen von der Managerin angesprochen werden um eben nicht auf die richtige Aftershowparty zu gehen, wie laut den Opfern vorgegauckelt, sondern in einen Hinterhinteraum gebracht werden, damit Lindemann sich wie in einer Auslage ein Stück Fleisch aussuchen kann, ist was komplett anderes.
Also wenn da Entscheidungen bei vollem Bewusstsein getroffen worden wären, wäre das aus meiner Sicht im Kern unproblematisch. Wenn beide Seiten Gewaltsex wollen und dann bekommen, was sie wollen, so be it.
Stattdessen wurden wohl bewusst Situationen geschaffen, in denen Entscheidungen bzw. wohl eher Nichtentscheidungen und Handlungen bei nicht vollem Bewusstsein passiert sind. Also beispielsweise Nichtablehnung von normalen Sex und erhalten von Gewaltsex. Oder Schlimmeres.
Alkohol, Drogen, Altersunterschiede, Machtefälle zwischen Künstler und Fan, ein Überraschungsmoment, eine erzwungene Erwartungshaltung, sozialer Druck und Gruppenzwang, das setting mit dem abgeschlossenen backstage-Bereich mit Securities vor der Tür, das Abgeben von Handys, die Geheimhaltung drum herum... das alles sind ja nur einige Faktoren, die aus einem "normalen" Groupiekultur, die man ja noch als normalen Teil des Rock'n'Roll-business verstehen kann, eine mindestens sehr fragwürdige Geschichte machen. Dass von Rammstein-Seite erstmal versucht wird, die Diskussionen darüber abzuwürgen und potentielle Opfer einzuschüchtern, ist zwar sicher ein legitimes Rechtsmittel, ob das aber ein gutes Licht auf die Aufklärungsbemühungen wirft ist da erstmal eine andere Frage.
Finde ja auch komisch, dass den potentiellen Opfern bei sowas gerne pauschal unterstellt wird, die machen das ja nur als Geltungssucht oder zum Spass. Die wenigsten macht sich zum Spass rechtlich angreifbar und stellen sich in den Ziellinie von gut vernetzten Giganten in ihrer Industrie mit einer riesigen Fangemeinde, wo naturgemäß auch mal so Sachen wir Doxxing und Morddrohungen die Folge sind, erst recht nicht in der Zahl. Das heißt natürlich nicht, dass die Anschuldigungen stimmen, aber es heißt schon, dass man ihnen angesichts der großen Hemmschwelle, die da vorliegt, eine gewisse grundlegende Glaubwürdigkeit pauschal unterstellen darf.