Den aufflammenden antisemitischen Protesten in Berlin haben die Behörden wenig entgegenzusetzen. Dabei werden israelische Fahnen und Transparente mit Davidsternen angezündet. In der Polizei ist der Unmut groß.
Die Reaktion von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) auf die antisemitischen Hassparaden in Berlin war – eigentlich – unmissverständlich: Wer durch das Verbrennen von Fahnen Hass säe, könne dafür nicht den Schutz des Demonstrationsrechts nutzen, sagte Müller. „Die Polizei wird klar jede Straftat verfolgen und Demonstrationen, von denen Straftaten ausgehen, auflösen.“ Das klang nach klarer Kante.
Nur: Tatsache ist auch, dass die Polizei der Hauptstadt den immer wieder aufflammenden antiisraelischen Protesten bislang wenig entgegenzusetzen hat. Auf drei Kundgebungen am Freitag und am Sonntag nahe dem Brandenburger Tor sowie im Bezirk Neukölln hatten insgesamt 3700 Demonstranten ihrer Wut gegen die Jerusalem-Entscheidung von US-Präsident Donald Trump und dem Hass gegen Israel freien Lauf gelassen:
Sie verbrannten israelische Fahnen und Transparente mit Davidsternen, riefen „Tod den Juden“. Die Polizei nahm zehn Randalierer fest.
Aber aufgelöst wurde die Kundgebung nicht. „Das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit ist sehr hochrangig. Es müssen Straftaten erheblichen Ausmaßes geschehen, damit solche Versammlungen aufgelöst werden, es muss also Gefahr für Leib und Leben bestehen“, erklärte Berlins Polizeisprecher Thomas Neuendorf. Selbst das Verbrennen einer Fahne sei nur dann eine Straftat, wenn sie von einer offiziellen Einrichtung stammt. Bei den Demonstrationen galt zwar die Auflage, keine Fahnen zu verbrennen; der Verstoß dagegen gilt aber nur als Ordnungswidrigkeit.
In der Polizei ist der Unmut über die eigene Machtlosigkeit in solchen Situationen groß. „Die markigen Statements der Politiker gegen Antisemitismus helfen uns nicht“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, der WELT. Er forderte eine Verschärfung des Demonstrationsrechts. Die Polizei müsse vorher eingreifen dürfen, wenn die Demonstrationen noch im Planungsstadium sind. „
Wenn die Israel-Feinde erst mit 1000 Leuten auf der Straße sind, können wir ihr Treiben nicht mehr verhindern, ohne dass es zu Straßenschlachten kommt.“
„Nahostkonflikt Thema auf Neuköllner Schulhöfen“
Auch die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) zeigte sich angesichts der Hassausbrüche auf den Straßen ihres Bezirks etwas resigniert.
„Solche Demonstrationen zeigen die Manifestation der Parallelgesellschaft“, sagte Giffey der WELT. „In der über 30.000 Menschen zählenden arabischen Community in Neukölln ist der Nahost-Konflikt permanent präsent. Er wird über Fernsehen und Internet direkt in die Neuköllner Wohnungen übertragen, er ist Thema auf Neuköllner Schulhöfen.“
Die Senatsbeauftragte für bürgerschaftliches Engagement, Sawsan Chebli (SPD), sagte, die Jerusalem-Frage sei für viele Menschen eine hochemotionale. Auch für sie persönlich: „Ich hatte gerade mit meiner Mutter telefoniert, als Trump seine Entscheidung verkündete. Sie hat geweint. Es war, glaube ich, nicht nur die Entscheidung“, sagte Chebli, deren Eltern als Palästinenser im heutigen Israel geboren wurden. „Es kam vieles zusammen. Vielleicht auch die Erinnerung, als Kind mit den Eltern aus der Heimat geflohen zu sein und zwei Jahrzehnte im Lager leben zu müssen.“ Dennoch finde sie es beschämend, wenn auf Berliner Straßen antisemitische Parolen skandiert und Davidsterne verbrannt würden.
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Sawsan Chebli
„Kampf gegen Antisemitismus muss Kampf der Muslime sein“
Fabian Weißbarth, Sprecher des American Jewish Committee in Berlin, forderte eine unmissverständliche Reaktion aus Politik und Zivilgesellschaft. „
Wenn wir jetzt nicht handeln, wird das Ausmaß des Hasses in den nächsten Tagen größer. Doch diejenigen, die auf der Straße Flagge für Israel und Demokratie zeigen wollen, laufen Gefahr, auch Opfer von Übergriffen zu werden, gerade in Stadtteilen wie Neukölln, in dem sich Islamisten, türkische Nationalisten und linke Antiimperialisten zusammentun.“
Und wie reagieren die Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus? Die CDU erwartet eine eindeutige Stellungnahme des Senats. „Es gilt scharf zu verurteilen, wenn jüdische Mitbürger auf Berliner Straßen wieder Angst haben müssen“, sagte CDU-Fraktionschef Florian Graf. Polizei und Veranstalter müssten sicherstellen, dass keine strafbaren Handlungen vollzogen werden. „Andernfalls sollte ein Verbot solcher Veranstaltungen ernsthaft erwogen werden.“
AfD-Fraktionschef Georg Pazderski sagte der WELT, mit dem Zuzug vieler Muslime nach Berlin und der einhergehenden Islamisierung der Gesellschaft sei Antisemitismus „wieder hoffähig geworden“. Er warf vor allem der Linkspartei vor, Antisemitismus „geschickt durch angeblichen Antizionismus“ zu kaschieren. Gerade die Deutschen müssten aufgrund ihrer Geschichte den Anfängen wehren, forderte Pazderski. „Wenn Flaggen verbrannt werden, wenn ,Juden ins Gas‘ gerufen wird, müssen die Täter dingfest gemacht, vor den Richter geführt und hart bestraft werden. Hier ist Nulltoleranz angesagt.“
Der Innenexperte der Linksfraktion, Hakan Tas, regte eine schärfere Prüfung an, ob Kundgebungen wie die in den vergangenen Tagen durch die Demonstrationsfreiheit gedeckt seien. „Wenn bereits im Voraus abzusehen ist, dass eine Demonstration zur Hassparade wird, muss es Wege geben, sie zu verbieten.“