Die größere Überraschung ist eher wie sich die Ukraine verteidigt und wie stark einige Russlands Militär wohl überschätzt haben (mich eingeschlossen, das ist ja fast auf Bundeswehrniveau, wenn auch nicht ganz so tief), selbst wenn Russland das noch gewinnen sollte und einige Städte zerbombt sind.
Ich denke, das planerische Bundeswehr-Niveau ist vermutlich höher. Was wir sehen, ist Ergebnis einer absoluten Fehlplanung und Fehleinschätzung. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Putin erwartet hat, der ukrainische Widerstand bricht sehr schnell zusammen, wenn er nur am Anfang direkt massiv vorgeht. Daher wurden ja auch direkt zu Beginn Ziele im ganzen Land mit Raketen angegriffen, sozusagen ein Versuch die "Shock & Awe" Strategie der USA im Irakkrieg 2003 zu wiederholen.
Die Strategie hat militärisch allerdings nicht wirklich (in der Ukraine) funktioniert, umso heftiger dagegen im Westen, der durch dieses Vorgehen so "schockiert" war, das nie geahnte (und von Putin erwartete) Sanktionen in Kraft traten und Waffenlieferungen anliefen, die man bisher kategorisch ausgeschlossen hatte. Quasi ein Eigentor für Russland.
Zweites Problem, die Truppen sind unerfahren, waren wohl teils gar nicht vorbereitet auf den Einsatz, die Moral hält sich in Grenzen und die Ausrüstung (gerade auch Panzerwaffe) ist eher altes, modernisiertes Sowjetniveau. Dazu vermutlich mit viel zu wenig Munition, Treibstoff etc. ausgestattet und es gab wohl keinen wirklichen Plan, wie alles wie abzulaufen hat.
Und letztlich drittes Problem, der Widerstand der ukrainischen Streitkräfte ist viel höher und stärker als erwartet. Putin hat wohl geglaubt, dass wird nochmal á la Krim ablaufen.
Im Grunde ist er in eine ähnliche Falle gelaufen wie anno 1941 die Wehrmacht beim Einmarsch in Russland. Man hat auch damals die falschen Schlüsse aus vorhergehenden Feldzügen / Schlachten gezogen und den Gegner falsch eingeschätzt. Georgien ist geografisch viel kleiner als die Ukraine, da hat der massive Angriff 2008 geklappt. In Syrien hatte man es mit einem unterlegenen Gegner zu tun. Die Krim war ein Überraschungsmoment, mit dem so in dieser Art niemand gerechnet hat. Darauf basierend ging Putin wohl davon aus, dass es mit der Ukraine ähnlich verlaufen wird... schnell und schmerzlos. Nun steht seine Armee drin, steckt fest, hat jeden Tag hohe Verluste, die Ukrainer freuen sich nicht, sondern wehren sich erbittert, es geht Russland wirtschaftlich mit jedem Tag schlechter und es wird langsam klar, dass es so zu keinem guten Ende zu bringen ist. Wäre die Ukraine militärisch noch etwas moderner aufgestellt, gerade auch Luftwaffe, wäre der russische Konvoi vor Kiew längst Schutt und Asche. Das sie nun anfangen wie in Syrien Krankenhäuser und Schulen zu bombardieren zeigt, wie festgefahren die Lage ist und was sie versuchen, um den Widerstand zu brechen.
Mit einer "normalen", strukturierten und auf Zivilisten Rücksicht nehmenden Operation hat das schon längst nichts mehr zu tun.
Natürlich, Russlands Armee hat weiterhin ein vernichtendes Waffenarsenal. Sie könnten die Ukraine in Schutt und Asche bomben, aber das bringt ihnen zum einen ja nichts und zum anderen verspielen sie es sich dann endgültig mit dem Westen. Eine gewaltsame dauerhafte militärische Besatzung der Ukraine kann Russland sich nicht leisten. Dafür fehlt ihnen das Geld und letztlich auch die Manpower.
Jetzt heißt es hoffen und warten. Leider ist Putin nicht mehr wirklich zurechnungsfähig und seine Handlungen irrational, daher kann man aus den vorhandenen Daten und Fakten leider nur bedingt ableiten, was wie als nächstes und weiter passieren wird.