Diese Überlegungen zu den Nebenfolgen des Lockdowns müssen ergänzt werden durch Kriterien, die politische Entscheidungen über die Fortsetzung, Lockerung oder Beendigung der Strategie der sozialen Distanzierung anleiten können. Dafür lassen sich zunächst drei Konstellationen unterscheiden:
I Die Strategie ist insoweit erfolgreich, als eine Überlastung des Gesundheitssystems vermieden werden kann und andere gesundheitliche, wirtschaftliche und politische Schäden nicht überwiegen. Eine solche Situation ist erreicht, wenn die Zahl der Menschen, die eine infektiöse Person ansteckt, statistisch betrachtet dauerhaft unter eins liegt. Wenn und soweit dieser Zustand erreicht wird, ist der schrittweise und epidemiologisch evaluierte Abbau der Restriktionen nicht nur möglich, sondern geboten.
II Die Strategie führt innerhalb eines gesetzten Zeitraums – dessen Länge zu bemessen wäre nach der unsicheren epidemiologischen Prognose, wann die ergriffenen Maßnahmen Wirkung zeigen sollten – nicht zu dem gewünschten Erfolg der Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitssystems, oder es überwiegen andere gesundheitliche, wirtschaftliche und psychosoziale Schäden. In dieser Situation endet die Legitimität der Strategie.
III Es gibt die begründete Hoffnung, dass die Fortsetzung der Strategie über einen definierten Zeitraum dazu führt, dass der bereits eingetretene Zustand der Überlastung des Gesundheitssystems revidiert wird. Auch in einer solchen Situation sind zumindest Lockerungen des Restriktionsregimes angezeigt. Kollidierende Interessen gewinnen zunehmend an Gewicht.
Soweit man diese Interessen überhaupt für einen bestimmten Zeitraum (Konstellation I) als nachrangig einzustufen bereit ist, dürften sie sich jetzt als starke Gründe für die Durchbrechung der Strategie erweisen. Entsprechende Überlegungen gelten für die Berücksichtigung ökonomischer Folgeerwägungen. Die absehbare weltweite Rezession, der massive Rückgang des Bruttoinland-produkts und die damit verbundenen Belastungen der öffentlichen Haushalte lassen sich nämlich mit quantitativen Kennziffern nicht hinreichend erfassen. Sie haben, wie die skizzenhafte Zusammenstellung deutlich gemacht hat, Auswirkungen auf existenzielle Funktionsbedingungen eines Gemeinwesens, dessen sozialstaatliche Solidarität auf wirtschaftliche Leistungsfähigkeit angewiesen ist.