Wir entfernen uns immer mehr von meiner ursprünglichen Aussage, aber wie auch immer: natürlich hast du eine Wertigkeit. Du nimmst bestimmte - ungesicherte - Umstände und stellst eine Prognose auf. Weder eine Person mit schweren Vorerkrankungen, noch eine Person können sich ihre Situation aussuchen, werden aber basierend auf diesen Vorerkrankungen kategorisiert. Während sich der Zustand von Person A drastisch verbessern kannst, kann sich der Zustand von Person B plötzlich verschlechtern. Die Prognose gewichtet automatisch eine Person höher als eine andere.
Nein, da ist keine Wertigkeit. Das ist ein Denkfehler Deinerseits, wie bereits eine einfache Analogie verdeutlicht: Zwei Gewinnspiele, Gewinn jeweils ein 50€-Schein. Gewinnchance im ersten Spiel 90%, im zweiten 10%. Du kannst nur an einem teilnehmen. Für welches Spiel entscheidest Du Dich und was sagt Deine Entscheidung über den relativen Wert aus, den beide Geldscheine für Dich haben? Richtig, nichts. Du hast Dich nicht für das Spiel mit der höheren Gewinnchance entschieden, weil Dir der Gewinn dieses 50€-Scheins wichtiger war als der Gewinn des anderen, sondern weil Du ihn leichter bekommst als den anderen.
Du müsstest nun also erklären, warum das legitim ist - trotz des Risikos, eine falsche Entscheidung zu treffen. Und deine zirkulare Logik, dass es moralisch richtig ist, weil wir es für moralisch richtig halten ist hier nicht angebracht.
Ich hatte Dich explizit gefragt, ob Du eine Begründung für den Grundsatz der Gleichwertigkeit menschlichen Lebens brauchst. Diese Frage hast Du ignoriert und mir stattdessen eine andere gestellt. Die habe ich beantwortet. Es steht Dir also nicht zu, mir einen Zirkelschluss zu unterstellen.
Wir können das Beispiel sogar noch ein Stück weiter drehen und weiter ins Detail gehen, um so endlich wieder direkt zu meiner Aussage zu kommen: Wir haben vier Menschen aber nur einen Platz auf der Intensivstation. Eine Person stirbt mit Sicherheit, auch wenn sie behandelt wird. Sie ist geimpft. Eine zweite Person stirbt ebenfalls mit Sicherheit. Sie ist ungeimpft. Eine Person ist jung, fit und eigentlich gesund. Ohne Behandlung stirbt sie wahrscheinlich, mit Behandlung überlebt sie wahrscheinlich. Sie ist geimpft. Die letzte Person ist jung, fit und eigentlich gesund. Ohne Behandlung stirbt sie wahrscheinlich, mit Behandlung überlebt sie wahrscheinlich. Sie ist ungeimpft. Nach meiner Moralvorstellung ist die Entscheidung in dieser Situation völlig klar. Nach deiner ist der Arzt in dieser Situation vor die schwierige Entscheidung gestellt, über Leben und Tod zu entscheiden.
Ja, und mit der Moral „wer zu erst kommt malt zuerst“ wäre auch alles klar. Was sagt dass nun über die Qualität der Moral aus? Und falls es Dir wirklich nicht aufgefallen ist, unklare Situationen lassen sich auch schnell für Dein Verfahren konstruieren. Da müssen nur zwei Geimpfte mit gleicher Prognose auf das einzig freie Intensivbett kommen und Deine Ärzte stehen vor genau dem selben Problem. Zusätzlich stehen sie bei Dir aber auch noch vor dem Problem, dass sie in Erfüllung ihres Auftrags Leben zu erhalten, massiv beeinträchtigt wären, weil sie einen ungeimpften Patienten mit eigentlich guter Behandlungsprognose selbst dann noch zu Gunsten eines Geimpftem sterben lassen müssten, wenn die Überlebenschance des Geimpftem zwar äußerst gering aber noch nicht 0 wäre und damit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beide sterben. Ersteres Problem lässt sich relativ einfach mit einem Losverfahren entschärfen, letzteres nur mit einer besseren Ethik.
Sexuelle Handlungen sind selbstverständlich beeinflussbar und die Menschen leben aufgrund des Selbstverschuldens auch mit den direkten Konsequenzen der Handlungen. Du bringst hier aber Konsequenzen in die Gleichung, die nicht direkt mit der Handlung verknüpft sind. Darum passt der Vergleich mit den Impfskeptikern nicht. Ich habe in diesem Thread bereits mehrfach das Vorgehen kritisiert, dass man Dinge miteinander verknüpft, die nicht nachvollziehbar verknüpft werden können. Wer bspw. eine Krankheit in Kauf nimmt und an dieser Krankheit erkrankt, sollte mit den Konsequenzen der Krankheit leben müssen. Wir haben hier also eine klare Verbindung zwischen Aktion und Konsequenz. Genau die gleiche Situation haben wir bei sexuellen Handlungen. Wer sexuell aktiv ist, muss mit den Konsequenzen dieser sexuellen Handlung leben. Wer Sex hat, nimmt das Risiko in Kauf, Vater/Mutter zu werden und sollte darum die Konsequenzen, ein Kind etwa 18 Jahre durchzufüttern, leben müssen. Die Steinigung als Konsequenz der sexuellen Aktivität ist eine etwas seltsame Analogie, weil die Verbindung zwischen Tat und Konsequenz fehlt.
Und hier weichst du zu Straftaten aus, weil dein grundsätzliches Beispiel wie oben erläutert, nicht funktioniert. Die Straftaten sind eine völlig andere Situation, weil durch die nicht konsensuelle sexuelle Handlung jemand zu Schaden kommt.
Nun ist der Unterschied, ob jemand durch sexuelle Handlungen einer Person zu Schaden kommt oder eher Glücksgefühle erlebt zwar für die moralische Bewertung der sexuellen Handlung bedeutsam. Für die Frage ob die Person eigenverantwortlich handelte und in welchem Maße sie dabei entscheidungsfrei war, ist das allerdings völlig irrelevant. Genau um diese Frage ging es aber.
Zur Erinnerung: Du hattest Eigenverantwortlichkeit für präferenzbasierte sexuelle Handlungen ausgeschlossen. Nichtkonsensuelle sexuelle Handlungen waren da nur das offensichtlichste Gegenbeispiel. Da Du diese Behauptung mittlerweile wieder zurückgezogen hast und nun sogar selbst Gegenbeispiele im Bereich konsensueller sexueller Handlungen anführst, erübrigt sich auch der Exkurs ins Strafrecht. Im Punkt der Eigenverantwortlichkeit des Handelns bleibt mein Iran-Vergleich also bestehen.
Der Einwand, den Du jetzt gegen den Vergleich ins Felde führst, bezieht sich auf die Verantwortbarkeit der Konsequenzen eigenverantwortlichen Handelns: Es sei zwar moralisch legitim die direkten Konsequenzen eigenverantwortlichen Handelns tragen zu müssen, aber nicht notwendigerweise die Konsequenzen, welche andere Entscheidungsträger an diese Handlungen knüpfen, wie zb die Entscheidung Homosexuelle hinrichten zu lassen, da Homosexuelle diese Entscheidung nicht getroffen und damit auch nicht zu verantworten haben. Bei Ungeimpften verhalte sich dies gänzlich anders, denn von diesen würdest Du fordern, dass sie nur die Konsequenzen ihrer eigenen Entscheidung tragen. Das ist jedoch bei genauerer Betrachtung ein Irrtum:
Die Konsequenzen für die sich Ungeimpfte eigenverantwortlich entscheiden, ist ein erhöhtes Risiko* zu tragen sich mit dem Virus zu infizieren, zu erkranken und an den Folgen der Erkrankung zu versterben. Du aber erwartest, dass sie noch ein weiteres Risiko tragen. Und zwar ein erhöhtes Risiko für Leib und Leben, dass ihnen neben dem allgemeinen Risiko triagiert zu werden zusätzlich dadurch entsteht, dass sie im Fall einer Triage gegenüber Geimpften grundsätzlich benachteiligt würden. Und diese Konsequenz resultiert nicht aus ihrer Entscheidung gegen die Impfung, sondern ist direkte Konsequenz Deiner moralischen Entscheidung. Sie ist und bleibt eine Sanktion für moralisch nonkonformes Verhalten, welche die Ungeimpften ebensowenig zu verantworten haben wie die Homosexuellen im Iran ihre Hinrichtung. Und da hilft es dann auch nicht mit irgendwelchem Geschwurbel von „Quasi-Suizidalität“ bei Ungeimpften ein stillschweigendes Einverständnis mit Deiner Sanktion zu suggerieren.
* Sicher erhöht ist das Risiko für Ungeimpfte allerdings nur gegenüber dem Risiko, das
sie mit Impfung tragen würden. Es ist dadurch aber nicht notwendigerweise erhöht gegenüber allen Geimpften. D.h. ein junger, gesunder Ungeimpfter ohne Vorerkrankung könnte zu Recht einwenden, inwieweit er sich denn überhaupt übermäßig riskant gegenüber der eigenen Gesundheit verhält, so dass es gerechtfertigt wäre ihn „quasi-suizidal“ zu nennen.
Du vermischst hier also seltsame Aspekte des Strafrechts, um irgendwie eine absurde Analogie zu finden. Wie bereits angemerkt, ist deine Behauptung vergleichbar mit einem Verbot zu essen. Natürlich könntest du deinen Hunger unterdrücken und mit Infusionen Nahrung zu dir nehmen. Ist es deshalb eine legitime Forderung, traditionelle Nahrungsaufnahme zu verbieten? Selbstverständlich nicht. Gleichzeitig gibt es keinen Grund, warum du bestimmte Formen der Nahrungsaufnahme innerhalb dieser Schranken nicht verbieten kannst. Beispielsweise verbieten wir auch den Kannibalismus.
Dass es eine legitime Forderung sei, die traditionelle Nahrungsaufnahme zu verbieten, war nicht meine Behauptung. Zum Sinn und Zweck des Strafrechtsexkurses, s.o.
Zum Sinn und Zweck von Vergleichen im allgemeinen, hilft vielleicht folgende Analogie: Wer steif und fest behauptet ein Apfel sei deshalb Obst, weil er Kerne hat, den werde ich auch weiter mit Tomaten konfrontieren.