Das schwedische Modell ist am Ende
Vorgestern hat sich Regierungschef Stefan Löfven direkt ans Volk gewandt – in einer Rede an die Nation. Eine solche Form der direkten Ansprache ist in Schweden extrem selten. Erst viermal hat es sie in der Geschichte des Landes gegeben. Und der Sozialdemokrat gibt sich als Krisenmanager, der es an Deutlichkeit nicht fehlen lässt
Das, was wir jetzt tun, wird darüber entscheiden, wie viele von uns an Weihnachten noch am Leben sein werden. Das klingt brutal. Aber so hart und brutal ist die Wirklichkeit", sagt Löfven.
Rund 6.500 Menschen sind in Schweden bisher mit oder an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben. Gemessen an der Gesamtzahl der Bevölkerung von rund 10 Millionen Einwohnern sind das deutlich mehr als in den meisten anderen Ländern Europas. Besonders bedrohlich: seit ein paar Tagen steigt die Zahl der Todesfälle wieder. Am vergangenen Mittwoch wurden fast 100 neue Tote gemeldet, am Freitag waren es mehr als 60. Das Virus hat auch die Alten- und Pflegeheime erreicht. In den Krankenhäusern füllen sich die Intensivstationen.
Mit einer 14-Tages-Inzidenz von fast 580 steht Schweden nach Berechnungen der Europäischen Seuchenschutzbehörde ECDC inzwischen schlechter da als Frankreich, Spanien oder Großbritannien. Viele Menschen im Land befürchten die Rückkehr der Zustände vom Frühjahr. Vor allem an den Krankenhäusern wächst die Sorge. Björn Persson, Leiter der Intensivmedizin am Universitätsklinikum Karolinska in Stockholm, sagte der Zeitung
Dagens Nyheter: "Das, was wir im Frühjahr erlebt haben, war wie im Krieg". Und fügt hinzu: "Wir sind nicht bereit für einen neuen Krieg." Trotzdem hat seine Abteilung als erste Maßnahme die erneute Einführung der 12,5-Stunden-Schicht angeordnet.
Erste Schulen geschlossen
Aber jetzt steuert Schweden angesichts der zweiten Welle auch hier entgegen. Denn mittlerweile werden selbst in der Provinz Corona-Fälle an Gymnasien, Grundschulen und Kitas gemeldet. Schwedens Bildungsministerin Anna Ekström hat in der vergangenen Woche die Gymnasien des Landes mehr oder weniger dazu aufgefordert, teilweise oder komplett auf Distanzunterricht umzustellen. Viele Schulen folgen dem Rat. Das sorgt auch für Entlastung beim öffentlichen Nahverkehr. Doch ob das reichen wird? Ekström fügt warnend hinzu: "Wenn notwendig, werden wir auch weitere Maßnahmen ergreifen." Die komplette Schließung der Gymnasien könnte eine solche Maßnahme sein.
Gestern meldete sich auch noch die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften zu Wort – jene Institution, die alljährlich die Nobelpreise für Chemie und Physik verleiht. Ihre Empfehlung ist eindeutig: Es gäbe inzwischen genug experimentelle und epidemiologische Beweise, dass "ein Mundschutz die luftgebundene Übertragung des Virus minimiert", sagte Staffan Normark, Professor für Mikrobiologie und Vorsitzender des Gremiums. Der Druck auf Tegnell nimmt also zu. Er deutet inzwischen einen Kurswechsel an. "Wenn es Situationen gibt, in denen ein Mundschutz helfen kann, dann werden wir das Tragen natürlich empfehlen," erklärte er in der vergangenen Woche. Aber noch sei die Zeit für diese Maßnahme nicht gekommen.
Corona-Maßnahmen in Schweden: Schlechte Erfahrungen mit Impfaktionen | ZEIT ONLINE