Dass Gandalf wahrscheinlich in der 2. Ära statt der 3. kam, der Krieg ausbrach und er eigentlich demnach nichts gemacht hat oder die sich eben so eine hardcore Frickel-Geschichte aus dem Fanfiction-Arsch ziehen, um zu erklären, warum Gandalf nichts geleistet hat und das eigentlich bei Tolkien ja quatsch war, dass er das anders gemeint hat, also quasi Tolkien zu retconnen (...), das ist völlig irrelevant? Und du magst die Bücher, ja?
Bestes Beispiel für etwas, dass mir hier schon öfter aufgefallen ist. Auf beiden Seiten stehen sich hier Leute gegenüber (schon schlimm, dass es hier so konfrontativ ist), die behaupten, Ahnung von Tolkien zu haben, aber de facto hier keine korrekten Angaben machen.
Zu Gandalf: In History of Middle Earth, Peoples of Middle Earth - Last Writings gibt es Folgendes zu lesen: "That Olorin, as was possible for one of the Maiar, had already visited Middle-earth and had become acquainted not only with the Sindarin Elves and others deeper in Middle-earth, but also with Men, is likely, but nothing is said of this". Olorin war also sehrwohl schon in Mittelerde bevor er im Dritten Zeitalter als Gandalf kam. Problematisch ist eher die Verwendung des Begriffs "Istari" für diesen Zeitraum.
Nun aber zur ganzen Kanon-Diskussion. Hier gibt es zwei Schwierigkeiten. Von Tolkien selber haben wir vornehmlich Hobbit und Herr der Ringe. Das sind feste Texte, die Tolkien komplett eigenständig in dieser Form so geschrieben hat.
Was das Silmarillion und andere Schriften angeht, sind dies von Christopher Tolkien herausgegebene Fassungen. Oft - und das ist überall nachzulesen - hat Tolkien seine Konzeption ständig wieder verändert, sodass Christopher für ein zusammenhängendes Narrativ des Silmarillion sich ständig für eine Konzeption entscheiden musste. Bsp: Die blauen Zauberer kamen erst im Dritten Zeitalter. Oder: Die Blauen kamen schon im Zweiten und sind in Rhun und Harad daran gescheitert, die Menschen vom Einfluss Saurons zu befreien.
Es gibt also so etwas wie einen "Kanon" streng genommen gar nicht, was natürlich nicht heißt, dass man nicht bestimmte Entscheidungen der Showrunner kritisieren kann.
Zweites Problem und das kann ich als Mediävist wahrscheinlich einfach besser einschätzen als die Meisten: Tolkien war selbst Mediävist und so hat er auch geschrieben. Der Herr der Ringe ist in seiner Rahmenerzählung die Version des Ringkrieges, wie die Hobbits sie notiert haben. Alles, was im Herr der Ringe steht, ist also nur eine Perspektive, die sich aus der Wahrnehmung der Hobbits und deren Interaktion mit den "Großen" ergibt.
Ebenso im für das Zweite Zeitalter entscheidende Silmarillion, vor allem der Abschnitt "Akallabeth". Elendil hat dies verfasst. Wir haben hier also Elendils Perspektive auf die Geschehnisse im Zweiten Zeitalter bzw. Elendil als Geschichtsschreiber. So wie Tolkien also schreibt, bzw. seine Welt aufbaut, ähnelt mittelalterlicher Geschichtsschreibung - und hier ist dann das Problem mit dem "Kanon", ein Begriff den Tolkien ergo wahrschenlich ganz schrecklich fände: mittelalterliche Geschichtsschreibung hat nicht dargestellt, wie etwas wirklich gewesen ist, sondern eine Perspektive auf Ereignisse gelegt, die sich aus der Wahrnehmung und dem kulturellen Hintergrund des Autors ergeben hat.
Ergo: Natürlich kann man nicht alles einfach verändern, es sollte schon Tolkiennastisch sein, was erzählt wird. Aber der Begriff des "Kanon" oder des Kanonischen ist bei Tolkien eigentlich schwierig bis unangebracht!
Zu sauro lege ich allen mal diesen Tweet ans Herz: