Read Dead Revolver
Entwickler: Rockstar San Diego
Publisher: Take 2
Spielbar für: Leute, die alle Western von Gestern kennen/vergöttern (Pflicht); Kopfgeldjäger (Pflicht!)
Unspielbar für: Leute, die Django für ein neumodisches Erfrischungsgetränk halten^^ (Sergio Leone, Franco Nero, häh???)
Nein, der Tiwi ist nicht wirklich ein Fan der alten Italo-Western aus den 60er und 70er Jahren. Ok, Meilensteine dieses Filmgenres habe ich natürlich gesehen, beispielsweise „ Spiel mir das Lied vom Tod“ oder „Zwei glorreiche Halunken“, allerdings schalte ich dann doch regelmäßig um, wenn Clint Eastwood und Co. auf Kabel 1 in ihren Ponchos über den Bildschirm laufen.
Komischerweise wurde das Western-Genre bisher nicht gerade von den Entwicklerstudios bevorzugt für Videospiele verwendet, ein Umstand, der sich aber in letzter Zeit klar geändert hat. Mit Dead Mans Hand erschien erst kürzlich ein mehr als mittelprächtiger First Person-Shooter und jetzt legt Rockstar Games mit Read Dead Revolver einen weiteren Vertreter des staubigen und bleihaltigen Wild West-Genres nach.
Red und sein Weg zur Rachsüchtigkeit
Eine kleine Farm samt Holzhütte, der Himmel zeigt sich düster von Wolken behangen, Wind lässt die Sträucher hin- und herwehen. Ein Vater kehrt von einer erfolgreichen Goldsuche zu seiner Familie zurück, das Gepäck voller Geschenke und den Kopf mit Gedanken von einem sorgenfreien Leben gefüllt. Doch die Wiedersehensfreude geht alsbald in einem Kugelhagel unter ...
Red und sein Vater sehen sich einer Überzahl von Banditen gegenüber, die es auf den neuerlangten Reichtum des Vaters abgesehen haben. Trotz eines einsatzfreudigen Kampfs bis zum (bitteren) Ende sterben Red`s Eltern bei diesem Überfall, die Farm wird in Flammen gesetzt. Mit letzter Kraft gelingt es Red die Pistole seines Vaters aus der Glut aufzunehmen und damit den Anführer der Bande um seinen linken Arm zu erleichtern. Die stechend rote Brandwunde an seiner Hand wird unseren Helden ein Leben lang begleiten und ihm seinen Spitznamen einbringen.
Jahre nach diesem schrecklichen Vorfall durchstreift Red die weiten Ebenen und Städte des Westen als Kopfgeldjäger, auf der Suche nach den Verantwortlichen für den Tod seiner Eltern und erfüllt voller Rache, nimmt er die Spur der Übeltäter auf.
Lernen leicht gemacht
Noch in die Eröffnungssequenz wurde eine Art interaktiver Trainingsabschnitt (oder halt Tutorial) integriert, Red kann hier mit der alten Pistole seines Vaters am Flussbett neben der Ranch erste Schussübungen machen.
Schnell wird mit der linken Schultertaste die Waffe gezogen, der rechte Analogstick dient zum Anvisieren des Zielobjektes, das Fadenkreuz verfärbt sich blutrot, gefeuert wird per rechter Schultertaste – einfach und effektiv. Als erste Ziele dienen eine Schiessbudenfigur sowie einige Flaschen und Kochtöpfe auf dem Zaun ... zum Leidwesen von Red`s Mutter.
Schiesseisentechniken für Fortgeschrittene
Bereits im zweiten (von insgesamt 27) Kapitel(n) wird Red dann mit ausgereifteren Kampftechniken vertraut gemacht. Während er einen harmlosen Händler vor einer Gang von Gesindel beschützt, erlernt der Spieler wie er hinter Objekten in Deckung gehen kann und aus dieser sicheren Position die Gegner aufs Korn nimmt. Diese Technik erleichtert besonders den Kampf gegen weit entfernte Widersacher, die uns mit Gewehren ans Leder wollen.
Superwichtig im Gameplay erweist sich zudem der Deadeye-Modus, welcher sehr stark an die Bullettime von Max Payne erinnert.
Ist der Deadeye-Balken im Interface aufgeladen, zieht Red ganz normal seine Waffe und per Klick auf den rechten Ministick verlangsamt sich das Spielgeschehen auf Zeitlupentempo, der Spieler markiert bis zu sechs Trefferzonen auf der gegnerischen Spielfigur (oder auf mehreren) und betätigt die Abzugstaste, das Spieltempo wechselt auf Normalgeschwindigkeit und ein wahres Kugelinferno hagelt auf die Widersacher ein – spieltechnisch und optisch sehr eindrucksvoll. Die Deadeye-Balken können durch Schusstreffer jederzeit kontinuierlich für die nächste Schnellfeueraktion gefüllt werden.
Natürlich kann Red auch in alter Western-Tradition den Gegnern mit Händen, Füßen und Gewehrkolben im Nahkampf ordentlich einheizen, was sich besonders bei Munitionsmangel als Notwendigkeit herausstellt!^^
Showdown!
High Noon. Die Sonne steht hoch am Himmel, die Luft flimmert vor Hitze. Ein kleines Westernstädtchen wirkt wie ausgestorben, keine Menschenseele säumt die Strassen. Zwei Revolverhelden stehen sich auf einer Entfernung von 100 Metern regungslos gegenüber, kein Zucken verrät ihre Gedanken, der Blick starr nach vorn gerichtet. Plötzlich schlägt diese Bewegungslosigkeit in zwei blitzschnelle Handgriffe zum Holster um, zwei Kugel fliegen durch die Luft. Das dumpfe Geräusch eines Körpertreffers ist zu hören. Beide Kontrahenten stehen wieder regungslos in der brütenden Hitze ... bis ein Pistolero wie ein Kleidersack zusammenbricht.
Was wären Western ohne derartige Duelle? Richtig, fast nichts.
So wurden diese Zweikämpfe Mann gegen Mann auch in Read Dead Revolver eingebaut und stellen imo das ganz große Highlight des Spiels dar.
Die Kameraperspektive schwenkt in Duellsituationen stylisch in eine tiefere Position rechts neben das Waffenholster und fängt so die knisternde Atmosphäre noch besser auf.
Red zieht seinen Revolver per rechtem Ministick und markiert mit dem Fadenkreuz die Trefferstellen, alles läuft im Deadeye-Modus ab. Da das Spieltempo schnell umschaltet, ist bei diesen Herausforderungen ein enormes Feingefühl und das richtige Timing gefragt. Besonders zum Ende des Spiels hin ziehen die Gegner gern mal schneller als Red – da heißt es Ruhe bewahren, voll konzentrieren und auf den eigenen Daumen vertrauen.
Waffenkunde
Vor jedem Level kann der Spieler Red mit verschiedenen Waffen ausstatten. Dabei unterscheidet RDR drei Waffenklassen: Seitenwaffen wie etwa Revolver, Sechsschüsser, Langwaffen wie den Witwenmacher oder die Schrotflinte und Wurfwaffen (Messer, Dynamit).
Hier spielt eine sinnvolle Kombination eine wichtige Rolle, denn die Schiesseisen unterscheiden sich teilweise sehr stark in den Eigenschaften (Nachladezeit, Reichweite, Zielgenauigkeit und Schaden).
Ein sehr sinnvolles Feature ist die Möglichkeit, die Waffen nicht nur nach den Einsätzen zu reparieren sondern auch (sofern der Geldbeutel mitspielt) zu verbessern, um den Gegnern künftig noch mehr entgegensetzen zu können.
Kein Level wie der andere?
Read Dead Revolver spielt sich in den Third Person-Levels nicht sonderlich anders als ein Max Payne.
Glücklicherweise hat Rockstar San Diego anscheinend einige kreative Köpfe im Team und konnte einen Abwechslungsreichtum in Sachen Missionsdesign ins Spiel zaubern, vor dem sich hauseigene Produkte (wie beispielsweise Manhunt) nur verstecken können.
Keine Mission gleicht hier der vorherigen, Eintönigkeit sucht man bei RDR vergebens.
Einmal kämpft sich Red auf einem fahrenden Zug Abteil für Abteil bis zum Schaffner nach vorne und verteidigt diesen vor den Angriffen der Banditen, welche den Zug ausrauben wollen, drei Minuten lang. Dann erkunden wir einen Gebirgspass, der nur so von Kontrahenten wimmelt, nehmen hinter Felsen Deckung, überqueren Brücken und eliminieren im finalen Showdown eine Revolverbraut, die mit einer fiese Peitsche auf uns eindrischt. Später duelliert sich Red mit einem Django-Verschnitt (MG im Koffer) auf einem gespenstigen Friedhof. Wer auf Stealth-Einlagen steht, der schleicht mit dem Indianer Shadow Wolf. Wer gern was trinkt, der prügelt sich auch gern mal ne Runde im Saloon von Brimstone. Und wer gerne reitet, der verteidigt mit Annie Stoakes hoch zu Ross ihre Ranch – alles kein Problem, im Lexikon findet man unter Monotonie definitiv nicht Read Dead Revolver!
Leider gestalten sich die einzelnen Level allerdings ziemlich linear, was zwar nicht wirklich störend ist, alternative Lösungswege sucht man aber vergebens.
In einigen Kapiteln wird Red tatkräftig von Nebencharakteren unterstützt, die man zeitweise auch selbst steuern kann. So befreit man als englischer Kunstschütze eine junge Dame aus den Fängen eines trinkfesten Zirkusdirektors oder befehligt als General Diego eine kleine Armee. All diese Nebencharaktere haben spezielle Spieleigenschaften.
Nach den einzelnen Missionen wird das Vorgehen des Spielers bewertet. Das Kopfgeld, welches Red als Belohnung für die Beseitigung der einzelnen Ganoven (Wanted!) vom ansässigen Sheriff erhält, errechnet sich dabei aus den Komponenten Zielgenauigkeit, erlittener Schaden, Zeit und beste Komboangriffe.
Je nachdem wie gut man den Level bestanden hat (gut, ausgezeichnet), werden neue Level/Charaktere für den Multiplayer-Part, Waffenverbesserungen oder Vergrößerungen der Health-Anzeige freigeschaltet.
Letztlich erhält er Spieler für jeden Treffer im Spiel Geld.
Brimstone
Das Westernstädtchen Brimstone dient als Ausgangspunkt für den Grossteil der Missionen, die sich Red vorort beim Sheriff abholen kann.
Wer Lust hat, der kann auch gemütlich mit den Leuten auf den Strassen plaudern oder dem Waffenladen, Saloon, Krämerladen, Schneider oder der Bank einen Besuch abstatten. Die dort gekauften Utensilien schalten weitestgehend Seiten im Tagebuch frei, wirklichen Nutzen für den Spielablauf hat nur der Waffenladen.
Irgendwie wirkt diese „Oberwelt“ zwar sehr stimmungsvoll, auf der anderen Seite aber auch aufgesetzt, da eine wirkliche Interaktion, die das Spiel vorantreibt oder in eine bestimme Richtung verändert, nicht möglich ist.
Hier hätte man deutlich mehr machen können. Letztlich kommen die einzelnen Missionen zu verbindungslos mit dem Städtchen in Kontakt, da Red offensichtlich vom Sheriff immer ins Nest der Gauner „gebeamt“ wird.
Coole Bossfights, dummes Fussvolk!
Besonders positiv stechen die Bossgegner von RDR hervor – optisch als auch spielerisch.
So fordert uns Sprengstoffexperte Pig Josh im Kampf mit Jack Swift einiges ab, da seine Annäherungsversuche stets sehr explosiv enden. Bad Bessie malträtiert uns mit ihrer Reitpeitsche, andere Endgegner setzen fiese Lassos gegen den Spieler ein. Wer nicht die Bewegungsabläufe der Kontrahenten kennt und entsprechend eine Strategie entwickelt, der hat ein schweren Stand, denn die Bossgegner agieren teilweise sehr clever.
Leider kann man im Zusammenhang mit der KI von den normalen Gegnern nicht von clever sprechen. Die laufen zeitweise sinnlos in der Gegend rum, gehen nicht richtig in Deckung, greifen aber auch nicht konsequent an und stellen somit oftmals nur Kanonenfutter dar, besonders wenn der Spieler den Deadeye-Modus aktiviert, schade.
Multiplayer-Freuden?
Read Dead Revolver bietet neben dem typischen Death Match-Modus (bis zu 4 Spieler) auch die Möglichkeit sich Mann gegen Mann zu duellieren (High Noon), was für eine kurze Zeit auch Bock macht.
Allerdings kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass RDR ein reines Singleplayer-Spiel ist und bleibt.
Grafik
Read Dead Revolver ist sicherlich kein grafisches Highlight dieser Konsolengeneration.
Die Texturen sehen viel zu schlecht aus, die Animationen wirken nicht sonderlich glücklich (mit Ausnahme der hübsch animierten Ladescreens oder der extra in Szene gesetzten Headshots), seltene Slowdowns sprechen auch nicht gerade für ein optisches Meisterwerk.
Und trotzdem ist die Grafik von RDR irgendwie sehr gelungen. Warum?
Weil der eingesetzte Unschärfe-Effekt, der über diverse Filter erzielt wird und herrlich schmutzig rüberkommt, gnadenlos genial zur Western-Atmosphäre passt. Wenn ein feiner Sandsturm durch Widow`s Patch fegt oder die Hitze über der Prärie schwirrt, dann kann man das förmlich spüren.
Alles wirkt wie in einem gealterten Filmschinken, der nur so von Farbfehler und Streifen „entstellt“ wird – imo sehr nett gemacht.
79%
Sound
Ähnlich wie bei Rockstar`s Vice City kann auch der Soundtrack von RDR voll und ganz überzeugen. Hier wurden die Originalthemen aus den diversen 60er- und 70er-Jahre-Italo-Western integriert und diese unterstreichen gewaltig die 1a-Atmosphäre im Spiel.
Auch die Soundeffekte wissen zu gefallen. Die Waffen klingen realistisch und zugleich individuell, die Züge rattern auf den Bahngleisen daher, die Hufe der Pferde beim Galoppieren klingen wirklichkeitsnah – insgesamt ordentlich.
Nur die Sprachausgabe muss etwas Federn lassen. Das Englisch kommt trocken, teilweise hart und gelungen rüber (Jack Swift mit seinem perfekten Oxford-Englisch oder Annie`s weibliche Stimme), wirkt aber zu „eingesetzt“ in den jeweiligen Spielabschnitt, irgendwie lieblos.
88%
Fazit
RDR bietet dem Spieler eine sehr stimmige Westernwelt, die kein Klischee auslässt und bis ins letzte Detail alle Charaktere, Szenen und Objekte aus den unzähligen Filmen um Django und Co. einfängt.
Die so erzeugte Atmosphäre gefällt uneingeschränkt, die Story entwickelt sich besonders zum Ende hin auch noch sehr ordentlich.
Die Missionsziele sind abwechslungsreich (RDR ist nicht nur ein weiterer Thrid Person-Shooter, eher ein Shooter-Mix), die unterschiedlichen Spielcharaktere sorgen zusätzlich für Kurzweil, genial bleiben wir die Duelle Auge in Auge in Erinnerung.
Audiovisuell besticht RDR durch einen genialen Soundtrack und einen absolut passenden Grafikstil, die Steuerung ist leichtgängig, die Kamera nie am falschen Platz.
Leider hat RDR aber auch einige Aspekte, die den Spielspass drücken.
Zum einen ist die Spieldauer deutlich zu kurz, ich hatte das Abenteuer von Red in knapp 7 Stunden durch. Außerdem nerven die schwache KI der Gegnerhorden und das zu lineare Leveldesign etwas.
Die teilweise veraltete Optik könnte einigen Grafikfreaks zusätzlich ein Dorn im Auge sein.
82%