Da saßen sie also wieder, die gut gelaunten Menschen mit einstudiertem Grinsen. Sie saßen in einem Livestream und erzählten, dass sie den tollsten Job der Welt haben – immerhin arbeiten sie ja bei Microsoft, also dort, wo spielerische Träume in Erfüllung gehen. "Wir haben heute so viele tolle Spiele gesehen", rief einer dieser glückseligen Menschen aus der Microsoft-Traumfabrik kürzlich in sein Mikrofon, während die Zuschauer im Kommentarbereich mit virtuellen Tomaten um sich warfen.
Auch eine Woche, nachdem sich Microsoft mit einem Livestream zur kommenden Spielekonsole Xbox Series X in die Nesseln gesetzt hat,
wird das Online-Event in den sozialen Medien und Spieleforen diskutiert: Echtes Gameplay-Material von der kommenden Xbox Series X hatte Microsoft versprochen. Zu sehen gab es stattdessen vor allem in der Engine gerenderte Hochglanz-Trailer zu halbinteressanten Videospielen, die eher nebenbei auch für die kommende Konsolengeneration portiert werden.
Gerade der Trailer zu "Assassin’s Creed: Valhalla", der ausschließlich aus Zwischensequenzen und Kamerafahrten bestand,
frustrierte die Zuschauer. Solche gestellten, nachbearbeiteten Szenen darf man nicht als Gameplay bezeichnen, meinen viele, und kritisieren neben Microsoft auch Entwickler Ubisoft. Doch das Problem ist kein einmaliges Missverständnis, sondern die dahinter verborgene Geringschätzung der Gamer-Kundschaft.
Hype trifft auf Realität
Während sich die Live-Chats mit Empörung füllten, klopften sich Microsoft-Mitarbeiter im Stream unbekümmert auf die Schulter – und offenbarten damit, wie sie ihre Zuschauer unterschätzen: Die Fanboys werden schon Party machen, solange das Logo in der Ecke Xbox-grün und nicht Playstation-blau ist, dachte sich Microsoft wohl. Hauptsache, wir grinsen selbstbewusst. Bei uns ist alles toll!
Dass das nicht reicht, zeigen die
negativen Reaktionen auf den Livestream. Die sture Lässigkeit, mit der Tech-Unternehmen über Kontroversen, Enttäuschungen und gebrochene Versprechen hinwegbügeln, macht irgendwann selbst die größten Fans zu Kritikern. Blöd genug, um sich realitätsfernen Marketing-Quatsch mit dem Trichter einflößen zu lassen, sind Spieler dann eben doch nicht.
Es ist aber nicht so, als stünde Microsoft mit dieser Taktik alleine da: Google versucht in seinen Stadia-Livestreams immer noch, den Cloud-Gaming-Dienst als triumphalen Paradigmenwechsel zu verkaufen, während der sich nur schleppend von seinem Desaster-Start erholt. Und Sony hat sich mit einem Stream zur Playstation 5 verschätzt, der hoffnungsfrohe Zuschauer mit einem wenig aussagekräftigen Technik-Monolog abspeiste – von der
ulkigen Logo-Enthüllung auf der CESganz zu schweigen.
Erwartbare Reaktionen
"Ganz offensichtlich haben wir falsche Erwartungen geweckt", schrieb Xbox-Marketingchef Aaron Greenberg im Nachgang des Xbox-Livestreams auf Twitter. "Das ist unsere Schuld". Er hat recht: Zwar hatte Microsoft im Voraus zumindest vermeldet, in dem Stream keine eigenen Spiele vorstellen zu wollen – wer seine Veranstaltung aber auf allen Kanälen zum Riesenevent aufbauscht, kann sich im Nachhinein nicht mit einem derartigen Hinweis im Kleingedruckten herausreden. Microsoft, Sony und Co. sollten wissen, welche Aufregung mit solchen Online-Veranstaltungen einhergeht.
Der Hype um die Xbox Series X und die Playstation 5 überlebt solche Fehltritte natürlich. Irgendwann werden sich die Spielefans aber nicht mehr brav vor den Bildschirm hocken und von einer weiteren Show beschallen lassen, über deren Inhalte sie wegen eines künstlichen Spannungsbogens im Dunkeln gelassen werden. Greenberg schreibt, er habe aus der Erfahrung gelernt. Vielleicht sollte er es in Zukunft mit ein bisschen mehr Ehrlichkeit versuchen. (
dahe)