Die heutige strafrechtliche Irrtumslehre geht davon aus, dass eine im Irrtum begangene Straftat nicht bestraft werden kann beziehungsweise milder bestraft wird, wenn der Irrtum hätte vermieden werden können (§§ 16, 17 StGB). Dem Täter muss bei Begehung der Tat die Einsicht fehlen, Unrecht zu tun. Bei Fehlen des Unrechtsbewusstseins liegt ein Verbotsirrtum vor. Dabei kann der Irrtum auf fehlender Gesetzeskenntnis oder zu enger Auslegung der Norm (so genannter
Subsumtionsirrtum als Unterform des Verbotsirrtums) beruhen. Dieser Irrtum muss unvermeidbar sein. Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum wird bei ungeklärten Rechtsfragen angenommen, die in der juristischen Literatur nicht einheitlich beantwortet werden, insbesondere wenn die Rechtslage insgesamt sehr unklar ist
[5] oder eine kundige Rechtsberatung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt.
[6] Ein Irrtum ist vermeidbar, wenn der Täter fahrlässig einen Tatbestand rechtswidrig verwirklicht, indem er objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt und durch diesen Pflichtverstoß eine Rechtsgutverletzung verursacht, die er nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vorhersehen konnte.
[7] Ein vermeidbarer Irrtum führt zur Strafmilderung nach
§ 49 Abs. 1 StGB. Ein Tatbestandsirrtum schließt gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Begehungsweise aus, denn Vorsatz setzt die Kenntnis aller zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände voraus.
Das Unrechtsbewusstsein ist nach der Schuldtheorie – der der BGH folgt – ein selbständiges Schuldelement.
[8] Zum Entfallen der Schuld führt gemäß § 17 Satz 1 StGB nur ein unvermeidbarer Verbotsirrtum. Dafür wird vom Täter verlangt, dass er trotz gehöriger Gewissensanstrengung die Verbotenheit seines Verhaltens nicht erkennen konnte. Bei Vermeidbarkeit steht es dem Gericht frei, ob es die Strafe mildern will (§ 17 Satz 2 StGB). Diese Bestimmung stellt die einzige Ausnahmeregelung von der alten deutschen Volksweisheit dar und kommt selten zur Anwendung. Der vom Reichsgericht übernommene Satz, der Irrtum über das Strafgesetz schließe die Strafbarkeit nicht aus, führt demnach bei unverschuldetem Verbotsirrtum zur Bestrafung, obwohl ein Schuldvorwurf gegen den Täter nicht erhoben werden kann und damit zur Verletzung des Grundsatzes allen Strafens, dass Strafe Schuld voraussetzt.
[8] Was Recht und Unrecht ist, sei nicht mehr selbstverständlich. Damit eröffne sich die Möglichkeit des Verbotsirrtums, und zwar auch des unverschuldeten.
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