Gelegenheitsprofis
Zwischen Casual und Core Gamer gibt es viele Abstufungen. Aber keine davon beschreibt die bislang von Herstellern und Spieleheften kaum beachteten Gelegenheitsprofis.
Die klassische Einteilung der Computer- und Videospieler erfolgt so: “Gelegenheitsspieler, Profis oder irgendwo dazwischen”. Doch nicht jeder Games-Interessierte sitzt auf einer geraden Skala, die von Moorhuhn bis Morrowind reicht. Es gibt noch ein anderes Publikum, das für einen merklichen Teil der Verkaufszahlen verantwortlich ist. Diesen Spielertyp könnte man “Gelegenheitsprofi” nennen, weil er Merkmale von sowohl Gelegenheitspielern als auch Profizockern aufweist, aber trotzdem ganz anders tickt.
Der Casual Gamer
Es gibt wohl niemanden in der Games-Branche, der nachts nicht von den Gelegenheitsspielern träumt. Spielepreis multipliziert mit 15 Millionen Multimedia-PC-Haushalten, das wären einmal Umsätze! Doch der typische Casual Gamer ist ebendies: ein eher zufälliger Spieler, der meist mit Solitaire und bunter Freeware zufrieden ist. Allenfalls eine Filmumsetzung landet manchmal auf seiner Festplatte, und alle paar Jahre mal Die Sims. Ein Computerspiel stellt für den Casual Gamer eine Zwischendurch-Beschäftigung dar — er will eine Illustrierte, keinen ausgewachsenen Roman. Deshalb zielen die meisten Vollpreistitel an ihm vorbei, sie sind zu komplex und (mit einer zumeist zweistelligen Stunden-Spieldauer) zu lang.
Der Core Gamer
In Wahrheit lebt die Spielebranche vor allem vom Core Gamer. Der kennt sich in seinem Hauptgenre perfekt aus und in anderen immer noch ganz gut. Er surft regelmäßig bei Online-Magazinen vorbei. Oft liest der Core Gamer Spielehefte, von denen übrigens ausnahmslos alle für Fortgeschrittene und Profis gemacht sind, auch eine CBS. Kurzum: Computerspiele sind mit sein liebstes Gesprächsthema.
Etwa 5 Millionen Core Gamer gibt es in Deutschland. Sie sind tendentiell eher jünger, im Schnitt unter 20 Jahren. Tendentiell raubkopieren sie viel — aufgrund von Sammelsucht, aus Überblicksgründen, wegen Geldmangel. Dennoch erzeugt diese Zielgruppe einen großen Teil der Verkaufszahlen: Spiele, die es aus ihrer Sicht wert sind, wollen sie als Packung besitzen und ins heimische Regal stellen. Wenn die Core Gamer aber älter werden, ins Berufsleben einsteigen, Familien gründen, wird es schwer, den bisherigen Spiele-Durchsatz aufrechtzuerhalten. Spiele werden zu einem Hobby unter vielen, oft zu einem eher nachrangigen.
Der Gelegenheitsprofi
Zum Glück (für die Spielehersteller) werden viele ehemalige Core Gamer zur dritten erwähnten Zielgruppe, eben den Gelegenheitsprofis. Von diesen profitieren viele Hersteller, ohne dass sie es so recht wissen. Gelegenheitsprofis können aber nicht nur gereifte Core Gamer sein. Sondern auch fortgeschrittene Einsteiger oder monothematisch Interessierte. Sportler, die im Sommer auf den Fußballplatz gehen und im Winter an den PC. Leute, die sich für die Napoleonischen Kriege interessieren, in Buchform und als Hexfeld-Taktik, aber niemals ein Command&Conquer anfassen würden.
Gelegenheitsprofis spielen wie Casual Gamer nur wenige Titel pro Jahr. Doch es sind zumeist Vollpreistitel, und sie beschäftigen sich viel länger damit. Sie würden sich nie (oder nicht mehr) als “Spielefreak” bezeichnen, kennen sich jedoch mit ihrer Lieblingsserie besser aus als jeder Fachredakteur. Gelegenheitsprofis sind treue Kunden, die Programme fast immer kaufen, anstatt sie illegal zu tauschen. Und sie spielen die Titel noch, wenn diese längst aus den Hitparaden verschwunden sind.
Die Lieblingsgenres
Was mögen Gelegenheitsprofis? Zum Beispiel Age of Empires 3. Oder World of Warcraft. Auch Pro Evolution Soccer. Moment mal, Pro Evolution Soccer? Konamis Hardcore-Fußballsimulation mit der steilen Lernkurve? “Pro Evo kommt sehr nahe an die Wirklichkeit ran, darum gefällt es mir so”, verrät uns Frank Maier. Der 36jährige leitet den Onlinebereich des PC-Spielehefts GameStar, ist aber privat ein typischer Gelegenheitsprofi. “Die Fifa-Reihe hat mich nie tangiert, weil ich sehr auf realistische Bewegungen und realistisches Ballverhalten achte. Vorher habe ich jahrelang fast nur EAs NHL-Serie gespielt, weil sie grafisch und als Simulation sehr detailreich ist.”
Christian Stilz (38, Consultant) erzählt uns: “Dass ich eher Strategie- als Actionspiele mag, hat mit meinen schlechten Reflexen zu tun. Ich möchte auch gar nicht die Zeit investieren, bis ich bei UT 2003 mit den ganzen Kids mithalten kann. In meiner Altersklasse gibt es viele wie mich. Einer meiner Freunde spielt fast ausschließlich Age of Empires.”
Wolfgang Meier ist 46 Jahre alt und stellvertretender Filialleiter einer Bank: “Ich glaube nicht, dass ich als Spielertyp in den Powerpoint-Präsentationen der Hersteller auftauche. Die scheinen vor allem für jugendliche Action- oder Sportfans zu programmieren. Ich habe aber viele Bekannte, die wie ich etwa vier bis sechs Stunden pro Woche spielen. Die wünschen sich Tiefgang über einen langen Zeitraum hinweg.”
Was Gelegenheitsprofis antreibt
Gelegenheitsprofis spielen außer Sportspielen und Simulationen gerne komplexe Strategietitel wie Civilization 4. Im Vergleich zur Gesamt-Spieldauer fällt bei ihnen eine mehrtägige Lernphase nicht sonderlich ins Gewicht. “Combat Mission 3 hat bei mir ein volles Jahr gehalten”, führt Christian Stilz aus. “Dann hat die KI keine Herausforderung mehr dargestellt.
Jetzt bin ich seit Monaten an dem Strategiespiel Hearts of Iron 2 dran. Das bietet sehr viele Planungsdetails wie Militär, Diplomatie und Forschung.”
Gelegenheitsprofis mögen Authentizität, egal ob in einem Fußballspiel oder einer Flugsimulation. Und sie wollen das Spiel
beherrschen — wie uns Frank Maier bestätigt: “Bei Pro Evo bin ich mittlerweile so gut, dass ich selbst echte Sportspiel-Cracks schlage. Die müssen sich halt mit vielen Titeln auskennen, während ich mich bei diesem einen Spiel immer weiter verbessern möchte.” So eine Einstellung führt zwar nicht zu monatlichen Spielekäufen. Aber insbesondere gut gemachte Addons und natürlich Nachfolger werden von Gelegenheitsprofis gerne erworben.
Orientierung vor dem Kauf
Während sich Casual Gamer meist spontan im Laden zu ihren seltenen Spielekäufen entschließen und Spieleprofis schon Monate vorher Geld für Stalker oder Prey zurücklegen, durchleben Gelegenheitsprofis offensichtlich eine intensive, kurze Auswahlphase. Christian Stilz dazu: “Wenn ich mit einem Spiel durch bin, recherchiere ich im Internet. Ich suche Programme, die ähnlich sind zu denen, die ich bereits kenne. Dann spiele ich möglichst die Demo. Wenn mir die gefällt, kaufe ich mir das Spiel.”
Obwohl Gelegenheitsprofis prinzipiell print-affin sind, werden ihre Bedürfnisse von den existierenden Spielemagazinen kaum befriedigt. Denn die sind zu aktuell für diese Zielgruppe, nach dem Release eines Spiels taucht es fast nur noch im Tipps-Teil auf. Auf der anderen Seite können Printhefte oft nicht den Detailhunger der Gelegenheitsprofis stillen. “Ich habe mich im Vorfeld über Pro Evo 2007 vor allem online informiert”, verrät Frank Maier. “Printmagazine hatten da einfach noch sehr wenig Infos, während in den Online-Foren längst ausgiebig über die schon erschienene japanische Version diskutiert wurde.”
Fazit
Es gibt ihn, den dritten Spielertypen. Der Gelegenheitsprofi hat weniger Zeit als der Core Gamer, nutzt sie aber bewusster. Er kennt sich viel besser mit Spielen aus als der Casual Gamer, hat aber zumeist nicht (mehr) den breiten Überblick über Spiele insgesamt, da er nicht mehr soviel selbst ausprobiert. Raubkopien sind beim Gelegenheitsprofi kein Thema, die wenigen genutzten Titel pro Jahr werden fast immer gekauft — und sehr häufig auch die Addons. Gelegenheitsprofis sind wichtig für die Spielebranche. Aber bislang werden sie von den Herstellern so gut wie nicht angesprochen. Wolfgang Maier: „Die meisten Anzeigen sind mir zu martialisch. Ich hätte gerne lustige, informative Werbung, die auch Vergleiche zu Vorgängern oder Mitbewerbern zieht.” Es kann sich lohnen, die Gelegenheitsprofis gezielt anzusprechen. Vor allem mit ausgereiften, erwachsenen Spielen, die sich nicht nur auf die Grafik als
Verkaufsargument verlassen.
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