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Patrick Kaczmarczyk ist Berater bei der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) und Ökonom an der Uni Mannheim. Von 2018 bis 2019 arbeitete er an einem Forschungsprojekt für das Palestine Economic Policy Research Institute (MAS) über Maßnahmen zur Stabilisierung der Kapitalmärkte in Palästina und die Schaffung ökonomischer Grundlagen für eine Zweistaatenlösung.
Schon vor dem Krieg herrschte Armut
Um den Einbruch einzuordnen, muss beachtet werden, dass die Lage im Gazastreifen bereits vor Israels militärischer Antwort auf den Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 – bei dem mehr als 1.200 Menschen getötet und zahlreiche Geiseln genommen wurden – nach 57 Jahren Besatzung und 17 Jahren Blockade katastrophal war. In den vergangenen 30 Jahren halbierte sich das reale Pro-Kopf-Einkommen nahezu – von 2.328 US-Dollar im Jahr 1994 auf 1.257 US-Dollar im Jahr 2022. Damit lag das Einkommensniveau in Gaza unter dem von Regionen wie dem subsaharischen Afrika, wo das Pro-Kopf-Einkommen 2022 im Durchschnitt 1.644 US-Dollar betrug.
Die Arbeitslosigkeit in Gaza stieg seit Mitte der 1990er-Jahre von 29 Prozent auf 45 Prozent im Jahr 2022 – was einer der höchsten Raten der Welt entspricht. Zwei Drittel der Bevölkerung lebten in Armut, 80 Prozent waren auf internationale Hilfslieferungen angewiesen, da die Blockade den Zugang zu wesentlichen Dienstleistungen und Gütern erheblich einschränkte. Kurz: Ein Leben in Gaza war schon vor dem Krieg geprägt von Armut.
Mit dem Krieg hat sich diese Situation verschärft. Nach den zuletzt verfügbaren Zahlen aus dem August 2024 wurden bei den israelischen Militäroperationen in Gaza bisher mindestens 40.000 Menschen getötet und mehr als 92.000 verletzt. Mehrere Tausend werden noch vermisst. Das, was an Strukturen für die Wirtschaft und Gesellschaft noch übrig geblieben ist, sind Ruinen.
Das BIP ist Anfang 2024 um 86 Prozent eingebrochen
Vor dem Hintergrund der prekären materiellen Lage erscheinen die jüngsten Zahlen zum ökonomischen Kollaps im Gazastreifen alarmierend. Schätzungen der Weltbank zufolge brach Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Gaza Anfang 2024 um 86 Prozent ein, was von UNCTAD vor Kurzem in ähnlicher Größenordnung bestätigt wurde. Sektorale Daten zeigen das Ausmaß des Zusammenbruchs über alle Bereiche hinweg: Der Bausektor verzeichnete einen Rückgang von 96 Prozent, die Landwirtschaft um 93 Prozent, die Industrie um 92 Prozent und selbst der Dienstleistungssektor schrumpfte um 76 Prozent. Damit kam die ohnehin fragile Wirtschaft des Gazastreifens nahezu vollständig zum Stillstand.
Das Pro-Kopf-Einkommen könnte bis Ende des Jahres auf nur noch 225 US-Dollar pro Jahr fallen – das wären lediglich 18 Prozent des bereits niedrigen Niveaus von 2022. Die ILO rechnet sogar mit einem Rückgang auf 181 US-Dollar. Damit würde die Bevölkerung des Gazastreifens zu den ärmsten der Welt gehören und das Niveau von Burundi unterbieten, wo das Pro-Kopf-Einkommen 2023 bei 273 US-Dollar lag.
Die Arbeitslosenquote beträgt infolge der Zerstörungen mittlerweile 82 Prozent, mit weiter steigender Tendenz. Fast die gesamte Bevölkerung lebt in Armut, und 96 Prozent der Menschen – 2,15 Millionen Personen – leiden unter akuter Ernährungsunsicherheit, wobei 22 Prozent (etwa eine halbe Million Menschen) bereits die schwerste Stufe der Ernährungsunsicherheit erreicht haben. Im Norden Gazas betrug die tägliche Kalorienzufuhr bereits im April 2024 lediglich 245 Kalorien pro Person, was dem Nährwert einer Dose Bohnen entspricht.
Im Westjordanland ist das BIP um 25 Prozent eingebrochen
Auch das Ausmaß der Zerstörung der Infrastruktur ist verheerend und wird die wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig beeinträchtigen. Die Weltbank berichtete im September, dass nahezu 95 Prozent der Grund-, Sekundar- und Hochschuleinrichtungen beschädigt oder vollständig zerstört wurden. Von den 36 Krankenhäusern mit stationärer Kapazität waren nur noch 17 teilweise funktionsfähig, während die Bettenauslastung bei alarmierenden 300 Prozent lag. UNCTAD-Analysen zufolge wurden über 62 Prozent der Wohngebäude beschädigt oder zerstört, und 59 Prozent der Wasser-, Sanitär- und Hygieneinfrastruktur erlitten schwerwiegende Schäden, was den Zugang zu grundlegenden Versorgungsdiensten erheblich einschränkt.
Die grundlegenden Säulen einer funktionsfähigen Wirtschaft wurden im Gazastreifen vollständig zerstört. Doch auch im Westjordanland sind die Auswirkungen des Krieges und der Gewalt israelischer Siedler spürbar. Das Bruttoinlandsprodukt brach um 25 Prozent ein, und 87 Prozent der Beschäftigten melden Einkommensverluste. Die Armutsquote hat sich mehr als verdoppelt – von 12 Prozent auf 28 Prozent –, während die Arbeitslosenquote mit 35 Prozent einen historischen Höchststand erreicht hat. Zum Vergleich: In Deutschland lag die Arbeitslosenquote während der Großen Depression 1932 bei knapp 30 Prozent.
Die finanzielle Situation der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA) ist ebenfalls dramatisch. Für 2024 wird ein Haushaltsdefizit von 1,86 bis zwei Milliarden US-Dollar prognostiziert, das vorwiegend durch Kredite des ohnehin belasteten palästinensischen Bankensektors sowie durch Zahlungsrückstände gegenüber dem Privatsektor und der Rentenkasse gedeckt werden soll.
2059 auf dem Stand von 1994 – unter guten Bedingungen
Solange die Gewalt dominiert, steigen die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten unaufhaltsam. Die Perspektiven für Gaza wirken jedoch bereits jetzt nahezu aussichtslos. Berechnungen der UNCTAD zeigen, dass es selbst unter dem düsteren Szenario einer Rückkehr zum prekären Vorkriegszustand bei den Wachstumstrends der Jahre 2007 bis 2022 unglaubliche 350 Jahre dauern würde, bis die Region wieder auf dieses Niveau gelangt.
Selbst unter optimistischeren Bedingungen – keine weiteren militärischen Auseinandersetzungen, freier Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen, hohe Investitionen sowie moderates Bevölkerungswachstum – wäre erst im Jahr 2050 das Pro-Kopf-Einkommen von 2022 erreicht, bis 2057 das Niveau von 2006, und erst bis 2059 wäre der Stand von 1994 wiederhergestellt.
Dass es in Gaza und auch im Westjordanland überhaupt wieder bergauf geht, setzt zwingend eine politische Lösung voraus, die auch der langfristigen Sicherheit Israels weit mehr dienlich wäre als die gegenwärtige Kriegsführung. Eine solche Lösung müsste zwangsläufig einen umfassenden New Deal für Palästina beinhalten, der die wirtschaftliche Basis stärkt und über Jahrzehnte hinweg durch gesicherte Investitionen gestützt wird. Andernfalls führen die bestehenden wirtschaftlichen Ungleichheiten – die sich durch die jüngsten Entwicklungen noch weiter verschärft haben – zu einer dauerhaften Reproduktion der Abhängigkeit der palästinensischen Wirtschaft von der israelischen.
Die UN ist nicht unparteiisch, von daher komplett irrelevant was die finden.UN-Sonderausschuss findet Israels Kriegsmethoden in Gaza im Einklang mit Völkermord, einschließlich des Einsatzes von Hunger als Kriegswaffe