Heute vor 33 Jahren – Die Nacht von Hamburg
Glanz über dem Volksparkstadion beim 5:1-Sieg über Real Madrid.
Große Vereine haben große Tage und Nächte, Abende des Zaubers und der Fußballgeschichte. So auch der Hamburger Sportverein. Worte, wie „unvergessen“ und „legendär“ müssen dann her, um die Erinnerung zu beleben. Die dabei waren, sind oft schon um einiges älter als das Ereignis noch immer frisch. So einen Abend, der vom Hamburger Volksparkstadion über ganz Fußballeuropa strahlte, war der 23. April 1980. Es stand an, das Rückspiel im Europapokal-Halbfinale der Landesmeister gegen Real Madrid. Das Ziel für beide Team war klar, Finale der Königsklasse im „Estadio Santiago Bernabéu“, eben jener Heimstatt des Gegners Real, aus dem der HSV eine 0:2-Hinspielniederlage mitgebracht hatte. Real und ganz Madrid wollte dieses Endspiel vor 110.000 Madrilenen um jeden Preis, für die Spanier ein Spiel des Jahrhunderts und fest eingeplanter Triumph. Den Grundstein hatten sie gelegt. In den Augen der europäischen Fußballexperten würde es auch so kommen, dem HSV wurden eher kärgliche Außenseiterchancen eingeräumt.
Ausverkauft. Was sonst? 62.000 Zuschauer erwarten Real Madrid, wollen ihren HSV antreiben. Vielleicht geht ja doch noch was. Aber es ist das große Real. Die Aufstellung der Madrilenen verrät pure Fußballklasse. Die legendären Pirri und Benito, bis heute die einzigen Träger der „Laureada“, höchste Ehre und Auszeichnung, mit der Real Madrid besondere Opferbereitschaft würdigt. Dann der ewig agile Santillana, um einiges kleiner als Horst Hrubesch aber ebenfalls enorm kopfballstark, an der Seite sein Sturmpartner Cunningham – Publikumsliebling von Real, von den Fans nur „Schwarzer Blitz“ genannt. Der deutsche Nationalspieler Uli Stielike – wieder zum besten Ausländer der Primera División gewählt, zog die Fäden im Mittelfeld. In der Abwehr mit Camacho einer der besten Verteidiger der Welt, so auch sein Vormann im defensiven Mittelfeld, Vicente del Bosque, beide Jahre später spanische Nationaltrainer. Und im Angriff der berühmt wie berüchtigte Juanito, Idol aller Real-Fans – immer gefährlich, niemals aufgebend. Diesem Starensemble stellte HSV-Trainer Branco Zebec folgende Männer entgegen: Kargus – Kaltz, Buljan, Nogly, Hidien, Jakobs – Magath, Memering – Reimann, Hrubesch, Keegan. Die Kapitäne Felix Magath und Pirri zeigen ein strahlendes Lächeln, gaben sich einen festen Händedruck. Der Tanz konnte beginnen.
Die Geschichte des Spieles ist schnell erzählt. Im Angriffswirbel des HSV – von Branco Zebec diszipliniert und auf unbedingten Offensivmodus eingestellt – gehen die Madrilenen unter wie einst die Spanische Armada in den Fluten des Ärmelkanals. Dem Anrennen und unbedingten Siegeswillen der Hamburger hat das hochgelobte Weltklasse-Ensemble nichts entgegenzusetzen, der HSV nimmt Real Madrid auseinander. Manfred Kaltz besorgt nach einem Foul an Kevin Keegan in Minute zehn per Strafstoß die Führung. Horst Hrubesch tut was er immer tat, köpfte den Ball nach einer Hereingabe durch Willi Reimann aus sieben Metern Entfernung unhaltbar ins Tor der Madrilenen. In Spielminute 17 war damit die Hinspielscharte bereits ausgewetzt, im Hamburger Volksparkstadion eine Stimmung wie im Maracanã zu Rio. Die Spanier trauten ihren Augen und Ohren nicht, schafften es aber zurück ins Spiel. In der 31. Spielminute macht Cunningham das 1:2. Nach einem Fehler von Torwart Kargus befördert er den Ball mit schönem Schlenzer ins leere Tor. Nur noch 2:1, damit wäre der HSV ausgeschieden. Den Hamburger SV dieses Abends kann aber nichts erschüttern, auch nicht der unglückliche Anschlusstreffer. Schon in der 40. Spielminute gibt Manfred Kaltz den Spaniern eine Antwort, knallt den Ball aus 25 Metern ins Tor. Nur fünf Minuten später schubst der HSV – in Person von Horst Hrubesch – die Spanier wieder von der Siegerstraße, macht noch vor dem Halbzeitpfiff das 4:1, in der 45. Minute. Der HSV wäre damit im Finale.
Der erste Finaleinzug des HSV in ein Endspiel der Champions League wurde noch Stunden nach dem Spiel von den Hamburger Fans mit südländisch anmutendem Enthusiasmus gefeiert. Wer dabei war wird diesen Abend nicht mehr vergessen. Man hatte das legendäre Real Madrid nach allen Regeln der Fußballkunst verprügelt. Auch neutrale Beobachter attestierten dem HSV einen „Fußball vom anderen Stern“. Die Männer von Branco Zebec ließen ganz Fußballeuropa aufhorchen. Für HSV-Manager Günter Netzer war es „das Tollste und Beste, was ich je vom HSV gesehen habe“. Nach Spielende traf beim HSV ein knappes wie kurzes und doch sehr stolzes Glückwunsch-Telegramm ein: „Ihr treuer Anhänger, Helmut Schmidt, Bundeskanzler“. Hamburg erlebte ein Fußballwunder, ermöglicht durch eine entfesselt aufspielende HSV-Mannschaft. Wirklich ein Spiel für Geschichtsbücher. Für viele Menschen und Fans in Hamburg bis zum heutigen Tag das größte HSV-Spiel aller Zeiten. So jung, als wäre es gestern gewesen.
Hamburger SV – Real Madrid 5:1 (4:1)
Zuschauer: 62.000
HSV: Kargus – Kaltz, Buljan, Nogly, Hidien, Jakobs – Magath, Memering – Reimann, Hrubesch, Keegan
Trainer: Branco Zebec
Real: Remon (32. Angel) – Perez Carcia, Pirri, Benito, Camacho – del Bosque, Stielike, Angel, Juanito (87. Martinez) – Santillana, Cunningham
Trainer: Vujadin Boškov
Tore: 1:0 Kaltz (10./Foulelfmeter), 2:0 Hrubesch (17.), 2:1 Cunningham (31.), 3:1 Kaltz (41.), 4:1 Hrubesch (45.), 5:1 Memering (90.)