Kulturschock
Bezeichnend sind die offenen Worte eines in Österreich stationierten Leutnants der Roten Armee: Die Sowjetunion würde Europa niemals ein- und schon gar nicht überholen. Jedes Haus hier habe Strom, das werde es in Russland nie geben. In Österreich "gibt es Lüster, luxuriöse Häuser, Kleidung, während meine Familie Hunger leidet und nichts anzuziehen hat". Es war ein regelrechter Kulturschock, den die sowjetischen Soldaten beim Einfall in das Reich erlebten. Und daraus erklärt sich vieles.
Die ausufernden Plünderungen beispielsweise, die man in diesem Ausmaß in den von den Westalliierten besetzten Gebieten nicht kannte. Schlimmer als alles, das böseste Trauma, das die Kriegs- und Nachkriegsgenerationen in Deutschland und Österreich prägte, waren die Vergewaltigungen. Sobald die zweite Welle der russischen Soldaten - also nicht diejenigen, die in den vordersten Linien gekämpft hatten - ankam, wurden die furchtbarsten Albträume, die seit Stalingrad in der Bevölkerung von Hitlers untergehendem Reich geherrscht hatten, Wirklichkeit.
Die massenhafte sexuelle Gewalt gegen Frauen, die als Kriegsbeute und Freiwild angesehen wurden, kann geradezu als Signum der russischen Invasion gelten. Viele Frauen überlebten die Tortur nicht, wurden nach der Vergewaltigung ermordet, starben an deren Folgen, verübten Suizid.
Alle trugen seelische und die meisten körperliche Langzeitschäden davon. Die Rotarmisten sahen diese Schändungen als legitimen Teil der ihnen zustehenden Rache an. Ein ehemaliger Soldat erinnerte sich: "‚Frau, komm!‘ bedeutete, sich am Feind zu rächen. Abends erzählten wir uns: Ich habe mich heute dreimal gerächt, und du?"
Vergewaltigungen
Barbara Stelzl-Marx zitiert in ihrem Standardwerk "Stalins Soldaten in Österreich" einige Zahlen, die die Dimension der sexuellen Gewalt zu Kriegsende umreißen. Für Niederösterreich und Wien zusammen ist von ungefähr 240.000 Vergewaltigungen die Rede, in der Steiermark dürften ungefähr 10.000 Frauen betroffen gewesen sein und im Burgenland schätzungsweise 20.000.
Gnadenlose Rache an allen Deutschen, das hatte die sowjetische Propaganda im Laufe des Krieges von seinen Soldaten immer wieder gefordert. Als dann die Front immer näher an österreichisches Gebiet herangerückt war, hatte man die Linie in einer raschen Kehrtwendung geändert. Nun war mit einem Mal davon die Rede gewesen, die Rote Armee müsse erbarmungslos mit den "deutschen Unterjochern" abrechnen, das "friedliche österreichische Volk" hingegen sei zu schonen. Aber die einfachen Sowjetsoldaten, die nach all den Entbehrungen, Mühen und Gefahren den Lohn vor Augen hatten, dachten nicht daran, auf ihren Anteil zu verzichten. Die Gesetze des Krieges waren nicht durch ein paar Propagandafloskeln außer Kraft zu setzen.
Die willkürlichen Morde und Übergriffe, die zahllosen Verschleppungen, Zerstörungen, Plünderungen und Schändungen zu Kriegsende 1945 prägen das Bild von "den Russen" nachhaltig, im Grunde genommen bis heute. Sie trugen wesentlich dazu bei, dass die sowjetischen Soldaten - von denen doch so viele ihr Leben gegeben hatten, um Österreich vom Nationalsozialismus zu befreien - in der öffentlichen Meinung nie als Befreier wahrgenommen wurden, sondern stets nur als brutale Eroberer und räuberische Besatzer.