Xi Jinping, Präsident von China, kommt zur Plenarsitzung des chinesischen Volkskongresses: In seiner Rede gab es keine Spur von Selbstkritik. (Quelle: dpa)
Während Politiker auf der ganzen Welt ins Homeoffice verdammt wurden, kommen Tausende Abgeordnete zum Volkskongress zusammen. Doch Corona hinterlässt auch in Peking Spuren.
Momentan tagt in Peking der Volkskongress, dieses Riesenparlament aus 3.000 Delegierten, die mit Maske dicht an dicht stehen, wie die Zinnsoldaten, die sie ja auch tatsächlich sind, der ergebene Chor zum Bejubeln der Führung, die alles richtig macht, grundsätzlich und immerdar.
Den Rechenschaftsbericht verlas Ministerpräsident
Li Keqiang. Immerhin gestand er ein, dass die Zeiten unübersichtlich sind. Damit meinte er die
Pandemie und deren Folgen für die Weltwirtschaft, weshalb die Staats- und Parteiführung auf Wachstumsziele für die kommenden Jahre verzichtet. Ein ungewöhnliches Zugeständnis.
Li ist aber nur eine Nebenfigur in diesem genau abgestimmten System. Die Sonne scheint einzig und allein auf
Xi Jinping, den zweiten Mao, für den etliche Gesetze nicht gelten, die für seine Vorgänger galten. Er will länger an der Macht bleiben als eigentlich zulässig ist. Er erhebt sich zum absoluten Herrscher in einem totalitären System und wiederholt bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass
China in den kommenden Jahrzehnten in den Rang der ersten Weltmacht aufrücken wird.
3.000 Delegierte inmitten der Corona-Krise: Corona ist, so gesehen, eine lästige Unterbrechung im Prozess der Geschichte, der auf Chinas Wiederaufstieg abzielt. (Quelle: Reuters)
China deutet die Ereignisse um
Corona ist, so gesehen, eine lästige Unterbrechung im Prozess der Geschichte, der auf Chinas Wiederaufstieg abzielt. China denkt ja wie selbstverständlich in langen Etappen und ist wie eh und je auf sich selbst zentriert. Nun ist Corona aber in China entsprungen, vielleicht schon bei den Militärweltspielen Ende Oktober, ganz sicher wenig später auf einem Wildtiermarkt in
Wuhan. Von dort ging die Pandemie aus und suchte sämtliche Kontinente heim. Im Ursprung handelt es sich um eine chinesische Krankheit, die von Tieren auf Menschen überging.
Auch darauf kam Xi auf dem Volkskongress zu sprechen, und ich war gespannt, was er sagen würde. Bei den Angehörigen des Arztes Li Wenliang, der früh vor dem Virus warnte und dafür bestraft wurde und am Ende traurigerweise an der Krankheit starb, hatte sich die regionale Führung entschuldigt. Und nun, vor den 3.000? Ein kleine Zeichen von Selbstkritik, national oder gar international?
Natürlich nicht. Xi ging es um anderes. Um Machtdemonstration. Um den Führungsanspruch der KP. Um die Umdeutung der Ereignisse. Er erzählte, wie souverän und schnell und gezielt die KP auf die Krise antwortete. Nicht zögernd, verschleiernd, unsicher. Seine Apologie gipfelte in dem dürftigen Allerweltssatz, dass Krisen große Chancen bieten.
Totalitäre Herrscher reden so nicht
Wirklich souverän wäre es gewesen, wenn Xi sich zu einem anderen Satz verstanden hätte: Tut uns leid, Welt dort draußen, dass hier bei uns diese furchtbare Pandemie zuerst ausbrach und dann sich ausbreitete, überall die Volkswirtschaft lahmlegte, die Bürger zu Hause isolierte und hiermit historisch beispiellose Konsequenzen verursachte. Wir werden die Wildtiermärkte nicht nur vorübergehend schließen, sondern für immer. Für das, was uns allen widerfuhr, übernehmen wir die Verantwortung.
Totalitäre Herrscher reden so nicht. Sie würden das Gesicht verlieren. Sie würden zugeben, dass sie sterblich sind, menschlich, dass ihnen Fehler unterlaufen, Irrtümer auch, Dummheiten, ja selbst die. Sie würden ihre Absolutheitsanspruch in Frage stellen. Und sie haben ja die Machtmittel, mit denen sich die Dinge auf den Kopf stellen lassen. Der chinesische Propaganda-Apparat läuft momentan auf Hochtouren, damit kein Zweifel an der Umsicht und dem Überblick aufkommt, den die KP angeblich jederzeit und immer wieder behält und somit die Geschicke des Volkes zu Wohlstand und Sicherheit lenkt und leitet.
Im nächsten Jahr wird die KP Chinas 100 Jahre alt, und sie wird den 23. Juli als welthistorisches Ereignis feiern und den imperialen Anspruch gegenüber dem Westen und der niedergehenden Supermacht USA untermauern. Im Jahr darauf finden die olympischen Winterspiele im Land statt. Noch eine Gelegenheit der Welt zu zeigen, was China kann, was China will.
Polizisten verhaften einen pro-demokratischen Demonstranten. (Quelle: dpa)
Was China kann, ist imposant: Fast eine Milliarde Menschen aus der Armut befreien. Was es will, ist bedrohlich:
Hongkong übernehmen, Taiwan einverleiben.
Noch aber lebt das Riesenreich im Bann von Corona wie der Rest der Welt. Erst ein Impfstoff wird das Infizieren und Sterben beenden. Erst dann verliert die Pandemie ihren Schrecken und wird Vergangenheit. Und am Vergessen hat China, das uns die Krankheit schickte, das allergrößte Interesse.