Assassin's Creed Syndicate: Im zweiten Anlauf klappt's auch mit der Next-Gen
Frisches Blut für ein besseres Assassin's Creed.
Von Robert Hähnel
Mit frischem Blut geht es wieder. Beim neuen Assassin's Creed Syndicate darf das Team von Ubisoft Montréal mal eine Pause machen und lässt die Kollegen aus Quebec ran, die - wen wundert es - aber auch das Rad nicht neuerfinden.
Assassin's Creed ist immer noch Assassin's Creed. Und wer etwas anderes erwartet, ist mittlerweile vielleicht auch einfach selber Schuld. Assassin's Creed ist eigentlich wie FIFA oder Call of Duty. Nur eben mit weniger Bällen und Schusswaffen.
London ist der Star
Dafür aber mit dem viktorianischen London, das - und endlich sagen es die Entwickler auch mal selber - der eigentliche Star des Spiels ist. Und auch wenn ich das vielleicht über viele der Orte sagen würde, an die uns die Reihe schon gebracht hat, so trifft es auf die britische Hauptstadt am Ende der industriellen Revolution doch erst recht zu.
Die Moderne steht Assassin's Creed gut und vielleicht strecken die Entwickler langsam aber sicher ihre Fühler aus, wie kompatibel die Idee von Assassin's Creed mit einer Welt ist, in der mehr als nur Fußgängerverkehr herrscht. Bei Assassin's Creed sind es zwar noch nur Kutschen und Züge, aber sie sorgen schon dafür, dass sich London anders anfühlt als seine Vorgänger und vor allem auch anders als das Paris der französischen Revolution. Das London von Syndicate ist urbaner, mit einem größeren sozialen Gefälle zwischen den Bezirken, die alle einen ganz eigenen Charakter bekommen und sich deutlich voneinander unterscheiden sollen – angefangen bei der Architektur, über ihre Bewohner, bis hin zur Musik.
Es mag daran liegen, dass Ubisoft gerade erst angekündigt hat, dass Austin Wintory den Soundtrack von Syndicate komponieren wird, aber das letzte Mal, dass die Musik bei Assassin's Creed sich so sehr in den Vordergrund gespielt hat, waren es die Seemanslieder bei Black Flag. Wintory und die Entwickler scheinen keine Angst davor zu haben, die Kammermusik teilweise sehr selbstbewusst aufspielen zu lassen und auch andere Elemente wie die Gespräche der Menschen auf den Straßen und die Geräusche der Stadt etwas in den Hintergrund zu stellen.
Das in Kombination mit der Skyline von London schafft ein unglaublich gutes Bewusstsein für Raum und Zeit von Assassin's Creed Syndicate. Ein Umstand, der vielleicht nur noch durch das Gefühl von Bekanntheitheit unterstrichen wird. Je weiter Assassin's Creed sich in die Nähe der Gegenwart wagt, desto mehr steigt der Wiedererkennungsgrad der Städte. Das fällt gerade beim industrialisierten London von Syndicate ins Auge, einer Stadt, deren Architektur sich im Laufe der folgenden Jahre zwar verändert hat, aber trotzdem finden sich immer wieder Ecken, bei denen sich nicht viel getan hat – abgesehen von den Ampeln, Touristen und Autos vielleicht.
Syndicate schaltet einen Gang höher
Zusammen mit der Beschleunigung der Welt, hat auch Assassin's Creed Syndicate an manchen Stellen das Tempo angezogen, ganz besonders, wenn es um die Bewegung durch die Stadt geht. Wenn es nicht gerade mal wieder die leider immer noch üblichen Hänger bei den Kletter- und Sprinteinlagen gibt, macht der Spurt über die Dächer immer noch eine Menge Spaß. Auch weil Syndicate die Unterscheidung zwischen Auf- und Abwärts-Parcours von Unity beibehalten hat, die die Bewegung etwas anspruchsvoller macht.
Mehr Abwechslung kommt durch den Rope Launcher ins Spiel, der mich auf den ersten Metern aber auch ein kleines Bisschen enttäuscht hat. Das aber nicht, weil er nicht funktionieren würde: Ob horizontal oder vertikal, auf- oder abwärts - solange ihr einen Punkt habt, an den ihr "andocken" könnt, schwingen sich Evie und Jacob problemlos durch die Lüfte. Im Moment hat sich das ganze aber manchmal noch etwas unbeholfen angefühlt. Wenn ich mich mit dem Rope Launcher über einen Abgrund geschwungen habe und auf dem nächsten Dach gelandet bin, ging es nie so richtig flüssig weiter voran, denn die Assassinenen haben immer kleinere "Animationspausen" eingelegt.
Trotzdem tut die Inspiration durch die Arkham-Reihe Assassin's Creed Syndicate nur gut, denn der Rope Launcher ist gerade auch immer dann praktisch, wenn man mal wieder eine Schleicheinlage versemmelt und keine Lust auf die Kämpfe von Syndicate hat. Die orientieren sich immer noch am Vorbild von Unity und sind, gerade gegen etwas stärkere Gegner in Überzahl eine angenehme Herausforderung des eigenen Timings. Mit dem Rope Launcher aber steht euch nun eben ein weiteres Mittel zur Verfügung, euch so einer Situation zu entziehen. Statt einfach die Beine in die Hand zu nehmen, zieht ihr euch mit dem Rope Launcher auf ein Dach, umrundet die Gegner, bis sie eure Spur verloren haben und setzt zu einem weiteren Schleich-Versuch an.
Der Rope Launcher, in Verbindung mit den Stealth-Mechaniken, die schon bei Unity verfeinert wurden, macht Assassin's Creed Syndicate zu einem etwas dynamischeren Spiel, das es schafft die immer gleichen Gameplay-Rhythmen der Vorgänger weiter aufzubrechen.
Dasselbe tun auch die anderen Fortbewegungsmittel im Spiel – allem voran die Kutschen. Die sind vor allem dann hilfreich, wenn es gilt, größere Distanzen schnell zu überwinden, obwohl sie gleichzeitig auch der Grund dafür sind, dass Syndicate immer wieder mit der mühsam aufgebauten Atmosphäre bricht, wenn ihr euer Pferd durch die Straßen treibt und – wegen fehlender Übung – durch Bäume, Laternen und in den entgegenkommenden Verkehr rast, ohne dass es wirklich ernsthafte Konsequenzen gibt. Gestört hat das aber nicht, denn für etwas mehr Abwechslung darf es ruhig auch mal etwas Arcade-Feeling geben.
Das ist sowieso vergessen, wenn ihr auf der Spitze des Elisabeth Towers steht, euch über die Dächer des Parlaments schwingt und versucht die Themse, die als eigener Bezirk gilt, auf den vorbeifahrenden Schiffen zu überqueren. Dann ist Syndicate wieder ein Assassin's Creed, wie wir es kennen und wie manche es mit Sicherheit immer noch lieben.
Da war noch was: Die Technik
Nach dem Fehlstart von Assassin's Creed Unity auf der aktuellen Konsolengeneration dürfte das Team von Ubisoft Quebec ein ganz besonderes Augenmerk darauf gelegt haben, dass Syndicate vor allem in technischer Hinsicht zu überzeugen weiß.
Und in gewisser Hinsicht tut es das auch, denn auf grobe Probleme bei der Bildrate bin ich in meiner Zeit in London nicht gestoßen. Dafür allerdings war es auffällig, dass nicht alle Kanten so richtig glatt und nicht alle Texturen richtig scharf waren. Hat das gestört? Mich zumindest überhaupt nicht, denn wenn ich bei Assassin's Creed zwischen realistisch wallender Haarpracht der Protagonisten und einem flüssigeren Gameplay entscheiden müsste, nehme ich immer das Gameplay.
Und genau da konnte Assassin's Creed Syndicate überzeugen, auch wenn es vielleicht keine riesigen Sprünge gemacht hat.
Aber wenn Syndicate am Ende auch "nur" der gelungene, zweite Anlauf auf den aktuellen Konsolen ist, der mit ein paar Neuerungen beim Gameplay und vor allem dem großartigen gelungenen London aufwartet und am Ende das sauberere "Next-Gen Assassin's Creed ist", dann würde mir das schon reichen.