Ein Rennspiel-MMO wurde schon oft versprochen, nur mit der Umsetzung hapert es immer wieder. Die Studios Ivory Tower und Reflections versuchen es noch einmal mit dem Ziel, alle bisherigen Anläufe in den Schatten zu stellen.
Rennspiele und Massive-Multiplayer-Events kennen nur eine kleine gemeinsame Schnittmenge. Das Problem liegt in den Autos selbst. Sie bewegen sich schnell und brauchen daher einen zuverlässigen Datenstrom zum Server. Das saugt weit mehr Bandbreite als bei einem Rollenspielrecken. Gleichzeitig definiert die verwendete Hardware einige Grenzen. Ab einer bestimmten Anzahl an Fahrzeugen auf einer Straße sind Slowdowns unvermeidbar, schließlich sollen Karossen fein ausmodelliert sein, im Sonnenlicht funkeln und möglichst Schäden visualisieren.
Frühere Genrevertreter wie Test Drive Unlimited kamen deswegen mit einigen Kompromissen auf den Markt. Gegnerische Fahrzeuge waren nur in einem vorbestimmten Radius sichtbar oder wurden in instanzierten Veranstaltungen zusammengetrommelt. Obendrein zierte ein leichtes Ruckeln alle Rundfahrten auf der relativ klein gehaltenen tropischen Insel.
Ubisofts „The Crew“ dürfte einige dieser Kompromisse nicht komplett ausbügeln, aber dank der Power der nächsten Hardware-Generation wird der MMO-Ausflug wahrscheinlich erheblich vielseitiger. Kleine Insel? Von wegen! Der komplette US-amerikanische Staat (Ausnahmen sind Hawaii und Alaska) steht zur Erkundung bereit, inklusive unverwechselbarer Städte wie New York, Miami, Chicago und L.A. Allein New York soll bereits eine ähnlich große Fläche abdecken wie Liberty City in GTA 4. Das ist doch mal eine Ansage.
Abwechslung verspricht die variantenreiche Topografie der USA. Weite Prärie in Oklahoma, glühend heiße Wüste in Nevada, tropische Sümpfe in Florida, verschneite Bergkappen in den Rockys, scharfe Buchten in Kalifornien... Alles garniert mit Tag-Nacht-Zyklen und einem Wettersystem.
Das Wetter wird jedoch auf dafür typische Gebiete eingegrenzt und ist keinesfalls dynamisch angelegt. Trotzdem dient es nicht nur dem Ambiente. Schnee und Nässe haben Einfluss auf die Fahreigenschaften der Flitzer, ohne größere Simulationsansprüche zu hegen. Es geht um einen ambitionierten Arcade-Flitzer und keineswegs um eine Simulation, wie bereits der optionale Einsatz von Nitro-Zündern verrät.
Selbstverständlich wurden nicht alle realen Straßen eins zu eins nachgebaut, sonst würde eine Überlandfahrt von Küste zu Küste mehrere Tage dauern. In einem Sportflitzer über Highways düsend ist die Distanz laut der Entwickler in 90 Minuten schaffbar. Querfeldein mit einem Allrad-Gefährt könnt ihr noch eine weitere Stunde draufpacken.
Wobei das nicht das Ziel der Veranstaltung ist. Vielmehr geht es um kleine und große Einzelmissionen. Eine etwa zwanzigstündige Kampagne gibt auf einer Reise quer durch die Vereinigten Staaten erste Aufgaben vor und dient vornehmlich als Vorbereitung für den MMO-Anteil, in dem mehrere Fahrer aus freien Stücken eine „Crew“ bilden. Kann man sich wie eine Gilde bei einem Rollenspiel vorstellen.
Im Verbund gilt es, anderen Crews in Wettrennen, Crash-Events und weiteren Veranstaltungen die Leviten zu lesen, wovon alle Mitglieder profitieren. Etwa durch rollenspieltypische Rangaufstiege und Bauteile zum Aufmöbeln eines Flitzers. Um den Sportsgeist weiterhin zu fördern, fallen die Belohnungen für absolvierte Missionen jedoch unterschiedlich wertvoll aus. Wer am meisten für die eigene Crew schuftet, bekommt die dickste Scheibe ab.
Rempelduelle auf der Interstate
Damit der Online-Alltag nicht in einem reinen “Jeder gegen Jeden“ endet, geben fünf Fraktionen mögliche Identifizierungsmerkmale vor, wobei die Wagenklasse ebenfalls eine Rolle spielt. So treten etwa Sportflitzer gegen Muscle-Cars an oder Alltagswagen gegen Offroad-Schlitten.
Die Grenzen zischen den Klassen verlaufen bis zu einem gewissen Grad fließend, denn das Sammeln neuer Wagenteile und Konfigurieren der Spritschlucker gehört zu den zentralen Spielmotiven in The Crew. Ohne Modifikation sind manche Veranstaltungen nicht zugänglich. Oder sie werden enorm schwer. So braucht ein waschechter Rennwagen unbedingt Asphalt unter den Rädern, sonst kommt er nicht vorwärts. Wer damit trotzdem über Stock und Stein düst, quält Aufhängung, Reifen und Motor.
Das entsprechende Schadensmodell verzichtet auf Totalschäden, denn selbst nach Überschlägen sieht man höchstens oberflächliche Makel wie verbogenes Blech. Was nicht für das Fahrverhalten gilt, denn das ändert sich durchaus. Darum sei ein stabileres Chassis vor einem obligatorischen Blechfressen auf den endlosen Geraden einer Interstate angeraten.
Bessere Federung und größere Schlappen erhöhen hingegen die Chance, Offroad-Veranstaltungen unbeschadet und schnell zu absolvieren. Dazu gehören nicht nur interessante Vergleiche der Marke Luftlinie vs. Asphaltstrecke, sondern auch Such- und Sammelaufgaben, die ohne lästigen Leistungsdruck vonstattengehen. Hier wird der Entdeckertrieb geweckt. Schöne Aussichten genießen, Trampelpfade durch Wälder suchen, monumentale Sehenswürdigkeiten bestaunen. Wer die Augen aufhält, erspäht unterwegs so manche Minimission (eine Challenge), die für die Erfüllung zwanzigsekündiger Sonderwünsche weitere Boni verspricht.
Bei solch idyllischen Aussichten im Erkundungsmodus kämen Horden von Kontrahenten ziemlich ungelegen. Das Problem der Überbevölkerung lösen die Entwickler durch fünf angrenzende Hauptzonen und mehrere Spielerschichten. Statt möglichst viele Spieler auf eine Schicht zu schaufeln, versuchen sie einen möglichst ausgeglichenen Verkehrsfluss zu bilden, bei dem man theoretisch nicht unterscheiden kann, ob ein Fahrzeug von der CPU oder einem Online-Teilnehmer gesteuert wird. Einige Veranstaltungen bestreitet man zudem gegen Geisterfahrzeuge, die einen harten Gegner vorgeben, ohne die Umwelt zu stören.
Der Nachteil dieser Regelung liegt auf der Hand: Ein Feiertagsgelage wie in MMO-RPGs, bei dem sich die komplette Community an schönen Plätzen trifft und einfach nur abhängt, fällt damit flach. Schade. Andererseits bleibt einem damit ein Ausflug nach Ruckelhausen erspart, was im Rennalltag viel wichtiger ist. Mal sehen, wie viele Spieler am Ende tatsächlich in eine instanzierte „Blase“ passen.
Grafisch macht The Crew schon jetzt einiges her. Selbstverständlich sollte man keine zu hohen Ansprüche stellen. Das Detailniveau eines Forza 5 liegt in weiter Ferne. Für das ambitionierte MMO-Konzept spricht aber die schiere Masse. Städte wirken dicht bebaut, Landschaften weit und offen. In der Garage zerlegt das Spiel euren Wagen bis zur letzten Schraube in seine Bestandteile. Nur ein Gimmick, aber sehr nett anzusehen. Sollten Bildrate und Latenzen im vertretbaren Rahmen bleiben, stehen die Chancen für einen Hit ziemlich gut.
Um ihn zu genießen, wird eine Next-Gen-Konsole benötigt. Oder ein High-End-PC. Los geht es im Frühjahr 2014. Ein genaues Datum für die Veröffentlichung wurde noch nicht genannt.
Fazit
Rennspiel-MMOs sind eine komplizierte Geschichte. Motivation und Spieldauer hängen stark von den Aufgaben ab, denn am Ende sitzt man doch nur in einem Wagen, der geradeaus fährt und Kurven nimmt. Im Vergleich mit einem Rollenspiel oder einem Shooter sind die Handlungsoptionen minimal.
The Crews Ansatz mitsamt seiner riesigen befahrbaren Welt, der Fraktionen und der Unterscheidung zwischen hitzigen Rennen und Forschungsrunden macht einen vielversprechenden Eindruck. Allein das Optimieren der Rennschlitten für Terrains und Sonder-Events wird einige Zeit zu beschäftigen wissen. Wenn am Ende die Technik stimmt und das Gefühl einer lebendigen Welt ansprechend rüberkommt, könnte The Crew ein Knaller werden.