Ingrid König leitet eine Grundschule in Frankfurt am Main. Inzwischen haben fast alle Kinder Migrationshintergrund. Unterricht ist kaum möglich, von der Kommunalpolitik wurde sie aufgegeben. Ein Erfahrungsbericht.
Der Frankfurter Stadtteil Griesheim ist sozialer Brennpunkt, seit ich mich erinnern kann. Zwischen S-Bahn, Ausfallstraße und Gewerbegebiet verkommen hier langsam die ehemaligen Werkswohnungen der kleinen Bahnbeamten. Unser Schulgebäude, die Berthold-Otto-Grundschule, verfällt mit ihnen. In unseren Klassen haben wir 90 bis 100 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund. Das Deutsch dieser Kinder reicht meist kaum für ein vernünftiges Unterrichtsgespräch.
Zu den Sprachschwierigkeiten kommen schlimmste soziale Verhältnisse, Eltern mit psychischen Störungen, Alkoholiker, Leute die morgens einfach nicht aufstehen. Menschen auch, die trotz Arbeit bitterarm sind. Viele Schülerinnen und Schüler sind auf die Hilfe der „Arche“ angewiesen, eines Vereins, der in der Schule Frühstück und Frühbetreuung, einen warmen Mittagstisch, Unterstützung bei den Hausaufgaben und Spenden aus der Kleiderkammer anbietet.
Menschen mit Migrationshintergrund hat es hier immer gegeben, zuerst Gastarbeiter aus der Türkei und aus Jugoslawien, dann Aussiedler aus Polen, Rumänien und Russland. Jetzt sind auch noch Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan dazugekommen. Jede Zuwanderer-Generation hatte ihre Schwierigkeiten, aber damit konnte man schon fertig werden. Meine Kollegen und ich beobachten allerdings, wie Lern- und Leistungsbereitschaft stetig abnehmen: Was ich vor 20 Jahren mit Zweitklässlern machen konnte, das schaffen heute die Viertklässler kaum.
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Abschottung gegenüber unserer Gesellschaft“
Und meiner Meinung nach haben diese Entwicklungen schon etwas mit der Radikalisierung des Islam zu tun, mit einer Abschottung gegenüber unserer Gesellschaft. Wir müssen vollverschleierte Mütter daran hindern, auf dem Schulhof fremde Kinder zu agitieren. Viele Kinder werden von zu Hause weder zum Lernen angehalten noch dazu, den Lehrer zu respektieren, der der Klasse etwas zu erklären versucht.
Gruppenarbeit, individualisiertes Lernen – das können Sie unter solchen Bedingungen vergessen. Wir müssen hier ganz eng geführten Unterricht machen. Das ist wahnsinnig anstrengend, aber anders geht es nicht. Und gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass uns die Begabten, die Willigen nicht aus dem Blick geraten. Fünf, sechs Kinder, mit denen ich arbeite, haben eine echte Chance, das Gymnasium zu schaffen; bei vielen anderen bedarf es der weiteren Förderung, dass sie für die Realschule vorbereitet sind. Die dürfen nicht untergehen.
Die Kommunalpolitik hat uns irgendwann aufgegeben. Das Gebäude ist schon seit Jahren immer noch nicht verwahrlost genug für eine Renovierung. Die Stadt tut so, als seien wir selbst Schuld am Vandalismus – aber einen Zaun dürfen wir nicht ums Schulgelände ziehen. Und unser Klientel war lange Jahre offenbar nicht benachteiligt genug, dass wir Ganztagsschule hätten werden können.
Bei uns kann man die Herausforderungen des Bildungssystems sozusagen unter dem Brennglas betrachten: die unterschiedlichen bürokratischen Zuständigkeiten, die uns an allen Ecken und Enden belasten, Kinder, die ganz viel Stabilität, Zuwendung und Führung brauchen, der politische Wille, notwendige Regelungen zu treffen, statt uns vor Ort die Probleme austragen zu lassen. Und schließlich ein gigantisches Integrationsproblem, das viel zu lange ignoriert worden ist und gewaltigen Personal- und Mitteleinsatz erfordert, wenn es überwunden werden soll.