104 Tage veränderte sich die Zahl der Tiere darin nicht. Dann kamen die ersten Jungen zur Welt, und die Bevölkerung verdoppelte sich zehn Monate lang alle 55 Tage. Dann flachte der Zuwachs ab. 560 Tage nach Beginn das Experiments lebten 2200 Mäuse in Calhouns Paradies. Obwohl es Nahrung für mindestens 6000 Mäuse gegeben hätte, wuchs ihre Zahl nicht mehr. Am 1. März 1970 wurde die letzte Maus geboren. Bei der letzten Zählung, zweieinhalb Jahre später, gab es gerade noch 27 Mäuse, und die schienen nicht an ihrer Fortpflanzung interessiert. Anders als in der Natur stellte sich kein Gleichgewicht zwischen Geburten und Todesfällen ein. Die Frage war bloss, warum? Den Mäusen fehlte es doch an nichts.
An nichts ausser an Platz. Das zunehmende Gedränge wirkte sich dramatisch auf das Verhalten der Tiere aus. Männchen, die den Kampf um ihr Territorium verloren, zogen sich zurück und wurden apathisch. Jene, die gewannen, zermürbten die ewigen Kämpfe. Die Territorien wurden kleiner, bis ihre Verteidigung ganz aufgegeben wurde.
Das liess die Weibchen mit den Jungtieren schutzlos zurück, was wiederum deren Aggressivität steigerte. Zudem vergassen die Mütter zunehmend einige ihrer Jungen, wenn sie von einem alten Nistplatz an einen neuen zogen. Generell verliessen die Jungtiere ihre Mütter, bevor sie reif waren. Diese Verhaltensweisen führten zum Zusammenbruch der sozialen Organisation und hatten die fatale Folge, dass sich die Tiere auch nicht mehr fortpflanzten. Die Bewohner von «Universum 25» waren zum Aussterben verurteilt.
Während die meisten Wissenschafter davon abraten, Resultate aus Tierversuchen einfach so auf Menschen zu übertragen, lud Calhoun dazu ein. Den 1972 erschienenen Fachartikel über «Universum 25» begann er mit dem Satz: «Ich werde vor allem von Mäusen sprechen, aber meine Gedanken sind beim Menschen.» Auch die Wortwahl im Artikel liess keine Zweifel offen, wer mit den Mäusen gemeint war. Er nannte die Nistboxen «Hochhauswohnungen», die Futterstellen «Cafeterias».
Calhouns Käfige wurden zum Sinnbild für die dichtbesiedelten Innenstädte. Man wertete die Versuche als wissenschaftlichen Beweis für die schrecklichen Folgen des Stadtlebens, für das der Mensch biologisch nicht geschaffen sei. «Universum 25» diente auch als Grundlage vieler Science-Fiction-Werke über den Untergang der Menschheit. Calhouns Bereitschaft, seine Resultate auf menschliche Gesellschaften anzuwenden, bescherte ihm in der Presse grosse Popularität. Unter Fachleuten war die Interpretation seiner Versuche umstritten.
Zwar kann das Zusammenleben auf engem Raum für Menschen tatsächlich belastend sein, doch die düstere Botschaft, die aus Calhouns Experimenten gelesen wurde, trifft so nicht zu. Im Gegensatz zu anderen Tieren hat der Mensch nämlich ein ausserordentliches Talent, friedlich in riesigen Gruppen zusammenzuleben.
In späteren Versuchen gelang es Calhoun, den Stress unter den Mäusen mit anders gestalteten Käfigen zu verringern. Architekten zogen daraus den Schluss, dass sich die Gestaltung einer Umgebung direkt auf das Verhalten ihrer Bewohner auswirke. Für die breite Masse blieb Calhoun aber bis zu seinem Tod im Jahr 1995 der Endzeitprophet der Bevölkerungsexplosion.
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