Wenn es nie anders wäre, gäbe es sowas wie Fortschritt und Rückschritt nicht.
Wir werden alle alt. Und natürlich ändert sich die Perspektive mit zunehmender Erfahrung. Aber lass es mich am folgenden Beispiel aufzeigen, es ist wie gesagt nur ein Beispiel und muss nicht alle Bereiche repräsentieren.
Job
Als wir Ende der 80er Jahre nach Deutschland als Spätaussiedler kamen, war die Gesellschaft eine andere. Die Ausbildung/Studium meiner Eltern wurde damals nicht akzeptiert, beide nahmen daher einfache Jobs in der Logistik an. Meine Mutter hatte sich irgendwann bis zum Ruhestand selbstständig gemacht mit einem Kiosk + Postannahmestelle, während mein Vater bis zur Rente in einer Firma verbleiben konnte. Beide hatten nie die Angst vor Jobverlust. Ich bin Anfang 40 und habe nach dem Studium insgesamt schon 8 Arbeitgeber gesehen. Das liegt nicht daran, dass ich entlassen wurde sondern daran dass absehbar war, dass die Firmen, wo man beschäftigt war in absehbarer Zeit liquidiert werden oder weil man sich weiterentwickeln/umorientieren muss (Neudeutsch -> lebenslanges Lernen). Das heißt, man lebt seit ca. 15 Jahren durchgehend mit dem Gedanken ewig der Wanderer zu sein.
Schulbildung
Ich kann mich gut an die holprige Anfangszeit in der Schule erinnern. In der ersten Klasse kein deutsch gesprochen und als Ausländer tatsächlich zur Minderheit gehörend war es wichtig sich schnell zu integrieren. Dazu gehörte schnell die Sprache zu lernen und sich den Normen und Werten anzupassen. Heute werden Normen und Werte eher gefühlt an die angepasst, die von außen kommen oder um niemanden auf dem Weg zu verlieren, werden Leistungsansprüche gemildert. Wer zwei Sätze geradaus auf Hochdeutsch ohne Dialekt sprechen kann, gehört inzwischen zur Minderheit, so meine Wahrnehmung. Ich will nicht sagen, dass das Multikulturelle falsch ist, nein im Gegenteil, es kann eine Gesellschaft weiterbringen - insbesondere interkulturell - nur auch hier gilt, dass die Menge das Gift macht. Ich muss mir von der Klassenlehrerin meines Kindes anhören, dass es zu stressig für Kinder ist bereits in der ersten Klasse mit grammatikalisch korrektem Lesen anzufangen. Auch die erweiterte lateinische Ausgangsschrift ist viel zu schwierig, deswegen wurde sie aus dem Lehrplan gestrichen. Und ich denke mir, hey für mich und die anderen Migrantenkinder vor über 35 Jahren war es nicht zu schwierig, wir habe es irgendwie geschafft. Ich bin mir sicher, dass die Kinder von heute clever genug sind das auch zu schaffen. Aber offensichtlich will die Gesellschaft das nicht.
Medizinische Versorgung
Wenn ich heute Glück habe, dann kriege ich beim Facharzt - abhängig was für eine Fachrichtung - in sechs Monaten einen Termin. Ging früher deutlich schneller. Bsp. 2008 brauchte ich einen Termin beim HNO Arzt. Den hatte ich bekommen und zwar gleich nächste Woche. Letztes Jahr hatte ich im September angefragt und erst im März einen bekommen, musste aber dafür in eine andere Stadt ca. 40km entfernt hinfahren. Meine Frau ist selbst Fachärztin und sie sagt inzwischen ist die Wartezeit bei Ihr in der Praxis bei 7+ Monaten.
Generelle Dienstleistungen
Noch vor 10 Jahren konnte ich beim Friseur - ich meine jetzt nicht die Billiganbieter, sondern gehobener Salon - anrufen und 1-3 Tage später hatte ich einen neuen Haarschnitt. Heute muss ich bei meinem Friseur im Juni Termine ausmachen damit ich bis Dezember im Abstand von 6 Wochen einen sicheren Termin habe. Ähnlich bei meiner Autowerkstatt. Ich bringe den Wagen heute zur Werkstatt wegen eines Defekts an der Kühlmittelleitung und werde schon einmal vorgewarnt, dass der Wagen erst in einer Woche fertig wird wegen den noch immer gestörten Lieferketen bei Ersatzteilen und wegen Personalmangel. Auch das ist nicht mehr vergleichbar wie noch vor einigen Jahren.
Klar kann man jetzt argumentieren ich sei selbst schuld weil ich mir diesen Weg selbst ausgesucht habe. Da ist ein Stück Wahrheit dran aber man ist gegenwärtig deutlich abhängiger von externen Effekten insbesondere von nicht vorhersehbaren Ereignissen bzw. Randbedingungen für die man selbst nichts kann. Außerdem kann man nicht mit dem riesen Ego durch die Gesellschaft laufen und nach außen suggerieren es wäre einem eh alles egal und alles ist tutti. Nein, das ist es nicht. Sieht man u.a. an der innenpolitischen Situation und generell dem Weltgeschehen. Ein wenig Demut, Disziplin und Zurückhaltung täte der Gesellschaft als Ganzes ganz gut.
@Pongler
Bitte nicht falsch verstehen, ich meine das nicht böswillig auch wenn man inzwischen im Internet mit Böswilligkeit, Anfeindungen und Provokationen an jeder Ecke rechnen kann. Mir war die Aussage a la "Früher war alles Besser ... Nein war es nicht, du bist nur alt geworden" einfach zu banal.