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L13: Maniac
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Jagd auf russische „Verräter“ : Mit dem Vorschlaghammer für Putin
Jagd auf russische „Verräter“: Mit dem Vorschlaghammer für Putin
Ein früherer „Wagner“-Söldner, der zu den Ukrainern übergelaufen ist, wird in einem Video erschlagen. Die Ukraine muss erklären, warum sie den Mann an Russland überstellt hat.
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Da fehlen einen die Worte. Mit was für einer Gewalt Russland aktuell gegen eigene Landsleute vorgeht.Russlands Suche nach und Rache an „Verrätern“ eskaliert. Besonders radikal gehen dabei Jewgenij Prigoschins Söldner vor. Am Wochenende veröffentlichte ein Telegram-Kanal, welcher der „Wagner“-Truppe des Geschäftsmanns zugerechnet wird, ein kurzes Video und nannte es „Hammer der Rache“. Man sieht darin einen früheren Sträfling namens Jewgenij Nuschin. Er wurde 1999 wegen Mordes verurteilt und saß in einem westrussischen Straflager ein.
Im Sommer nahm Nuschin ein Angebot Prigoschins an, um mit „Wagner“ an der Front in der Ukraine zu kämpfen. Das sollen schon Tausende russische Sträflinge getan haben. Nuschin wollte nach eigener Aussage von Anfang an „auf die Seite der Ukraine überlaufen und gegen Russen kämpfen“. Das erzählte der Mittfünfziger jedenfalls ukrainischen Journalisten und Bloggern, die viel beachtete Interviews mit ihm veröffentlichten. Aus der Gefangenschaft, in die sich Nuschin Anfang September begeben haben soll.
Im Video jedoch sah man ihn offenkundig wieder in „Wagners“ Gewalt. Darin ist Nuschins Kopf an einen Steinklotz fixiert. Er habe am vergangenen Freitag in Kiew einen „Schlag auf den Kopf“ bekommen und sei in „diesem Keller“ wieder zu sich gekommen, sagt Nuschin. Man habe ihm eröffnet, dass er „gerichtet“ werde. Dann erschlägt jemand in Flecktarn, dessen Gesicht man nicht sieht, Nuschin mit einem Vorschlaghammer.
Zwei Hiebe zeigt das Video. Jeder, der „annähernd im Thema“ sei, wisse, dass „Vorschlaghammer und Verräter für das ‚Orchester‘ (die Söldner, Anm. d. Red.) eng verbunden sind“, kommentierte der Telegram-Kanal. Hintergrund ist ein Video von einem mutmaßlichen „Wagner“-Foltermord in Syrien 2017, das die Zeitung „Nowaja Gaseta“ bekanntgemacht hat.
Auch an die Ukraine stellen sich Fragen
Nuschins Fall wirft Fragen an die Ukraine auf. Kiew will russische Söldner und Soldaten dazu bewegen, sich in Gefangenschaft zu begeben. „Ich will leben!“, lautet ein Programm dazu. Ein Austausch wider Willen soll ausgeschlossen sein. Doch laut russischen, in Kiew zunächst nicht kommentierten Berichten wurde Nuschin nicht, wie seine letzten Worte andeuten, in Kiew entführt, sondern am vergangenen Freitag in einem Austausch von jeweils 45 Gefangenen der russischen Seite übergeben.
Für Russland markiert der Fall eine neue Grenzüberschreitung. Im Krieg sind Strafen gegen „Verräter“ verschärft worden. So wurden im September Haftstrafen von zehn Jahren für Deserteure eingeführt. Befehlsverweigerern soll gar mit Erschießung gedroht werden. Laut dem unabhängigen Newsportal „Wjorstka“ werden in der Mobilmachung eingezogene Rekruten, die opferreiche Einsätze abbrachen, nun in „Kellern“ im Donbass festgehalten. Aber im Geheimen. Prigoschin dagegen werden ganz offene Erschießungsdrohungen an seine in Haftanstalten rekrutierten zugerechnet, für den Fall, dass sie sich Befehlen widersetzten. Darüber geht das Video mit Nuschin in furchtbarster, demonstrativer Weise hinaus.
Prigoschin kommentierte die Veröffentlichung in der für ihn typischer Weise: nicht als direktes Bekenntnis, aber als Billigung. Der Clip zeige, dass Nuschin „in der Ukraine kein Glück fand, sondern auf böse, aber gerechte Leute traf“, erklärte er. „Mir scheint, dass dieser Film ‚Ein hündischer Tod für einen Hund‘ heißt. Eine wunderbare Regiearbeit, in einem Zug anzusehen. Ich hoffe, dass bei den Dreharbeiten kein Tier zu Schaden kam.“
Auch der Sprecher von Präsident Wladimir Putin reagierte in typischer Weise: Dmitrij Peskow wollte „gar nichts“ auf die Frage sagen, ob das Video die Tötung Nuschins zeige. „Wir wissen nicht, ob das der Wirklichkeit entspricht“, sagte er, „das ist nicht unser Fall.“ Bis Montagabend interessierten sich russische Ermittlungsbehörden zumindest nicht öffentlich für den Fall. Die Söhne des Erschlagenen, Ilja und Nikita Nuschin, berichteten dem exilrussischen Rechtsschutzportal „Gulagu.net“ vielmehr, der Inlandsgeheimdienst FSB suche sie. Vermutlich, um sie zum Schweigen zu zwingen. Auch fürchten die beiden demnach, dass Prigoschins Leute direkt mit ihnen als Angehörige eines „Volksfeindes“ abrechnen könnten.
Putin wünscht härteres Vorgehen
Begriff und Praxis erinnern an Stalins Terror, in dessen Mahlstrom auch Familien von „Verrätern“ gerieten. Schon vor der Invasion der Ukraine waren Fälle von Gewalt gegen Oppositionelle und Journalisten straflos geblieben, in denen die Spuren in Prigoschins Kreise führten. Diese zählen in Russland zu den zahlreichen Akteuren, die Kritiker einschüchtern. Wladimir Putin, um dessen Gunst Prigoschin immer offensiver buhlt, signalisiert deutlich, dass er sich ein noch härteres Vorgehen wünscht.
Gerade hat der Präsident laut der Staatsnachrichtenagentur Ria selbst interveniert, um ein Gesetzesprojekt zu verschärfen. Wer die russische Staatsangehörigkeit erworben hat, soll diese wieder verlieren können, wenn er Russlands Streitkräfte „diskreditiert“ oder „Falschnachrichten“ über sie verbreitet. Als „Verräter“ gelten insbesondere „unerwünschte Organisationen“ und „ausländische Agenten“.
Auf entsprechenden Listen des Justizministeriums stehen rund 180 natürliche Personen und Dutzende Strukturen. Nun will das Ministerium von Anfang Dezember an noch viel mehr Daten der „Agenten“ veröffentlichen, etwa Geburtstage und Steuernummern, bei juristischen Personen auch Adressen. Das gibt die „Agenten“ dem Identitätsdiebstahl preis – mindestens.
Doch die Suche nach Schuldigen für Russlands missliche Lage macht auch vor den Machtvertretern nicht halt. Nach dem jüngsten Rückschlag, dem Abzug aus dem südukrainischen Cherson, gab es neue Rufe unter Radikalnationalisten, „Verräter“ zu bestrafen. Ein Ria-Kommentar schrieb mit Blick auf die Abzugsentscheidung, es sei „Verrat“ zu versuchen, „Misstrauen gegenüber denen zu schüren, die nur den Sieg anstreben“.