1. Die Informationslage zur Hungerkrise ist aktuell sehr unübersichtlich und es ist irgendwie noch schwerer als sonst, verlässliche Quellen zu finden, die sich nicht widersprechen. Die Situation ist aber offenkundig ernst. Der jüngste
IPC-Bericht vom 25.07. sieht eine sich anbahnende Hungersnot mit einem realistischen Risiko, dass die drei kritischen Schwellenwerte für Lebensmittelknappheit, Unterernährung und Mortalität bis Ende September in ganz Gaza überschritten werden. Solche Warnungen haut das IPC zwar seit über einem Jahr in Gaza raus ohne dass sich das Risiko materialisiert hätte. Diesmal scheint die Dynamik aber eine andere zu sein: Inzwischen sind knapp über 20% der Haushalte in dem meisten Gebieten von extremer Lebensmittelknappheit betroffen (Schwellenwert=20%). 8% der unter 5-jährigen Kinder leiden an akuter Mangelernährung (Schwellenwert=15%). Besonders prekär ist die Lage in Gaza-City mit 80% Knappheit und 16% akuter Mangelernährung. Sollte sich die Entwicklung weiter ungebremst so fortsetzen, ist es nur noch eine Frage der Zeit bis wir auch die hungersnottypischen Mortalitätsraten haben.
2. Ein großes Problem bleibt der Zugang bzw. die Verteilung: Die GHF kann nicht ganz Gaza versorgen, und die Lieferungen der UN kommen überwiegend nicht ans designierte Ziel. Israel ist deshalb gut beraten, so viel wie möglich Lebensmittel durchzulassen und die UN wiederum mit der IDF zu kooperieren. Letzteres lehnt die UN mit der Begründung ab, weil das gegen das humanitäre Prinzip der Unparteilichkeit verstößt. Sie lehnt Begleitschutz für Hilfslieferungen ab um sich anschließend darüber zu beschweren, dass die IDF nicht einschreitet wenn die Lieferungen geplündert werden. Prinzipientreue ist wichtig, verkommt so aber zu Prinzipienreiterei.
3. Wer für die ausufernden Plünderungen zu welchem Anteil verantwortlich ist, lässt sich nicht seriös beantworten. Ich deute sie neben Hunger auch als Symptom für einen inneren Machtkampf. Wer die Nahrungsmittelversorgung in Gaza kontrolliert, hat bei bestehender Knappheit nicht nur einen vollen Magen sondern auch politische Macht. Weil er Menschen von sich abhängig machen kann, Kämpfer versorgen, bezahlen und damit auch rekrutieren kann. Die Hamas hatte es bislang nicht nötig, Hilfslieferungen offen zu plündern. Sie hat Hilfen während des Krieges auf subtilere, verdeckte Art und Weise monetarisiert indem sie eine Art
mafiöses Abzweigsystem aufgebaut hat (Die Israelis gehen aufgrund sichergestellter Hamas-Dokumente davon aus, dass 15-25% der Hilfslieferungen abgezweigt wurden). Dieses System ist jedoch auf eine gewisse Kontrolle über die öffentliche Ordnung angewiesen, welche der Hamas zunehmend entgleitet. Und natürlich darauf, dass es keinen anderen großen Player gibt, der kostenlos Lebensmittel an diesem System vorbei verteilt.
4. Zu glauben, die Hamas würde nicht auf die ein oder andere Art und Weise in bedeutsamen Umfang systematisch UN-Hilfe abzweigen ist nicht nur politisch naiv, sondern ein Affront gegen den gesunden Menschenverstand. Das weiß selbstverständlich auch die UN. Sie kann das aber kaum offen einräumen, da sie damit ihren Status der Unparteilichkeit kompromittieren und damit politische und finanzielle Unterstützung riskieren würde. Sie nimmt es daher stillschweigend hin. Tatsächlich bleibt der UN auch nicht viel anderes übrig. Sie musste mit der Hamas kooperieren um überhaupt Hilfe leisten zu können. Ob notgedrungen oder (auch) aus Sympathie sei mal dahingestellt. Fakt ist: Wenn sie heute wollte, könnte sie das auch mit der IDF. Will sie halt nicht..
5. Es wurde die Behauptung aufgestellt, dass es täglich mind. 500-600 LKWs brauche um die Bevölkerung mit Nahrung zu versorgen. Diese Zahl stammt von der UN-Offiziellen und ist maßlos überzogen. Was jeder mit einem Taschenrechner leicht selbst nachprüfen kann. Um den täglichen Mindestbedarf von durchschnittlich 2.100 kcal zu decken, benötigt man je nach kalorischer Dichte zwischen 1.300 und 1.500t Lebensmittel täglich. Bei einer durchschnittl. LKW-Ladung von 11-15t entspricht das etwa 100-120 LKWs täglich. Der IPC-Bericht selbst kalkuliert mind. 62.000t monatlich. Das wären 2.066t bzw. 160 LKWs täglich.