Von Reformen und Unternehmensgewinnen

  • Thread-Ersteller Thread-Ersteller /ajk
  • Erstellungsdatum Erstellungsdatum

/ajk

L16: Sensei
Thread-Ersteller
Seit
13 Mai 2002
Beiträge
10.841
Wieder ein interessanter Bericht von der Seite Freace.de

http://www.freace.de/artikel/200407/160704b.html

--
Von Reformen und Unternehmensgewinnen
16.07.2004 Ekkehard Vagt

In dem Artikel "BDI Präsident fordert Urlaubsverzicht" des Höchster Kreisblatts vom 9. Juli dieses Jahres heißt es im zweiten Absatz wörtlich: "Rogowski begründete seinen Vorstoß für eine drastische Urlaubskürzung damit, daß die deutsche Industrie wegen relativ hoher Lohnkosten - unklar ist, ob er da eher die 2,60 Euro Stundenlohn einer Friseuse in Erfurt, wie im Spiegel online kürzlich zu lesen war oder die 11 Millionen Euro Jahreseinkommen des "Wertbringers für Deutschland" (Josef Ackermann über Josef Ackermann) meinte - und niedriger Umsatzrendite "praktisch nichts verdient" habe".

Da ich mir einbilde, aus Sicht der Medien vielleicht leider, zu den Lesern zu gehören, die über das, was sie lesen, auch mal nachdenken, wurde ich stutzig. Aus Berichten über Jahresbilanzpressekonferenzen der "deutschen Industrie" 2003 hatte ich das etwas anders in Erinnerung und wollte deshalb den Wert von "fast nichts" genauer verifizieren.

Nach einer Suche im Internet und einigen Mausklicks wurde ich fündig. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen, einschließlich des Bundesamts für Statistik, betrugen die Unternehmensgewinne in Deutschland, zu denen in erheblichen Maße die Industrie gehört im Jahre 2002 441 Milliarden Euro und in 2003 438 Milliarden Euro, und damit 58 Milliarden € mehr als 1997. Das heißt im Klartext, für den Präsidenten des deutschen Unternehmerverbandes sind 438 Milliarden Euro, um fairerweise den niedrigeren Wert des "Krisenjahres" 2003 zu nehmen fast nichts. Das finde ich irgendwie beeindruckend.

Ich erinnere mich dunkel, daß vor einigen Jahren Hilmar Kopper, seinerzeit Vorstandssprecher der Deutschen Bank, berühmt oder besser gesagt berüchtigt wurde, als er äußerte, daß 240 Millionen Deutsche Mark als Verlust aus der Schneider-Affäre Peanuts für die Deutsche Bank seien. Da halte ich es doch für angemessen, daß dem Präsidenten des Unternehmerverbandes für seine qualifizierte Feststellung eine mindestens ebenso angemessenen Würdigung zuteil wird, denn gegen "fast nichts" im Werte von 438 Milliarden Euro - oder für Nostalgiker 875.967.540.000 DM - sind doch Peanuts im Wert von 240.000.000 DM wirklich nur Peanuts.

Mit einigen weiteren Mausklicks kann man diese recht abstrakte Summe auch noch weiter differenzieren. Z.B. Siemens, das ja so notleidend ist, daß es seinen Arbeitnehmern in zwei Betrieben leider gerade erst ca. 30 Prozent ihres Nettolohnes abknöpfen mußte, hat in 2003 seinen Gewinn um 47,2 Prozent gesteigert, obwohl der Umsatz um 11,6 Prozent eingebrochen ist. Oder nehmen wir BASF, eines unserer notleidenden Chemieunternehmen. Die BASF hat trotz aufwendiger einmaliger Kosten in 2003 ihren Gewinn um 3,9 Prozent gesteigert und ihren Aktionären in die Hand versprochen, daß der Gewinn 2004 noch weiter steigen wird.

Apropos Zahlen. Warum liest man denn eigentlich - zumindest in den "Mainstream-Medien" - so wenig darüber, daß sich das private Geldvermögen in Deutschland von 1991 bis 2003 auf 3,9 Billionen oder 3.900 Milliarden Euro fast verdoppelt hat? Dabei befinden sich nach Untersuchungen von Merrill Lynch 60 Prozent dieses Vermögens in der Hand von einem Prozent der Bevölkerung. Dabei sind die steuersicher im Ausland geparkten mehrstelligen Milliardenbeträge noch nicht einmal berücksichtigt.

Wenn man sich so vorstellt, das 1 Prozent der Deutschen mit etwa der Hälfte ihres Vermögens die gesamten Schulden der Bundesrepublik tilgen könnten und dann immer noch alle Multimillionäre wären, kommt man ins Grübeln über die aktuellen "alternativlosen" Reformen. Übrigens sind es genau die erwähnten ein Prozent der Deutschen, die dank der Steuerreform um mehrstellige Millionenbeträge entlastet wurden, sich also noch weniger an der Finanzierung des Staates beteiligen, den sie aber sonderbarerweise immer dann brauchen, wenn bei ihren atemberaubenden Spekulationen etwas schiefgelaufen ist.

Apropos Steuern. Warum liest man in den "Mainstream-Medien" ständig über die erdrückenden Steuerlasten der Unternehmen in Deutschland, während das Statistikbüro der EU für 2002 ausweist, daß Deutschland nach Griechenland den mit Abstand niedrigsten Unternehmenssteuersatz in der Europäischen Union hat?

Ist eigentlich schon aufgefallen, daß zwischen den von Unternehmern und Politikern ständig im Munde geführten angeblich exorbitanten nominellen Sätzen der Unternehmenssteuern und den wirklich gezahlten Steuern erhebliche Lücken klaffen? Die Kapitalgesellschaften haben in 2003 zum Beispiel für Ihre 220 Milliarden Euro Gewinn (ihr Anteil an den gesamten Unternehmensgewinnen) ganze 25 Milliarden Euro, also ganze 11 Prozent, Steuern gezahlt. Personengesellschaften und Selbständige 13,1 Prozent und Kapital-Eigner ganze 4,1 Prozent. Dabei gehen renommierte Steuerexperten davon aus, daß "nur etwas mehr als ein Viertel des ökonomischen Gewinns als zu versteuerndes Einkommen in die Steuererklärung der Kapitalgesellschaften eingeht". Der Rest bleibt steuerfrei, dank legaler Zaubertricks, die man in anderen Ländern nicht kennt.

Interessant sind auch die Zahlen, daß der Bruttolohn deutscher Arbeitnehmer von 1991 - 2002 um 30 Prozent gestiegen ist, was dank des sonstigen finanziellen Umfeldes einen Reallohnverlust von 4 Prozent bedeutet, während die Bezüge der Vorstände der 30 Dax-Unternehmen im gleichen Zeitraum - ohne Aktienoptionen - um 148 Prozent gestiegen sind. Da wir ja, wie Politiker und Unternehmer nicht müde werden zu betonen, eine Leistungsgesellschaft sind, ist das natürlich angesichts solcher unternehmerischer Glanzleistungen wie überteuerter Firmenzukäufe zu Milliardenpreisen, sinnloser Anti-Übernahme-Schlachten im Milliardenwert, Finanzproblemen bei Versicherungen und Banken auf Grund von Fehlspekulationen mit Aktien und faulen Krediten, Halbierung des Marktwertes von Unternehmens wie Daimler, Toll Collect und so weiter natürlich voll gerechtfertigt.

Es ist schon interessant, daß sich Unternehmen und Aktionäre Millionengehälter und Abfindungen für ihre Genies (oder doch Nieten?) in Nadelstreifen leisten, sich aber außerstande sehen, über Jahre hinweg auch nur einen Cent zum Gemeinwohl in Form von Steuern (wie beispielsweise jahrelang Daimler-Chrysler) beizutragen.

Bei Recherchen im Internet - neben intensiven Pressestudien - ist mir übrigens aufgefallen, daß es sehr schwer ist - im Gegensatz zu den USA, wo es übrigens seit Jahr und Tag eine nicht unerhebliche Vermögenssteuer gibt, ohne daß die Kapital-Eigner verhungern - Daten über das Einkommen und das Vermögen von Top-Managern, Aufsichtsräten, Bundespolitikern und ähnlichen Leistungsträgern sowie ihre tatsächlichen Vermögensverhältnisse zu bekommen, während andererseits ein Langzeitarbeitsloser zwecks Erhalt des Almosen- pardon Arbeitslosengeldes II noch den letzten Spargroschen seiner Oma nachweisen und seine mühsam angesparte private Altersvorsorge aufbrauchen muß.

Bei einem Spaziergang durch unseren schönen Ort ist mir - das paßt so gut zum Thema - auf den Aushängen der bei uns zahlreich vertretenen Banken aufgefallen, das diese für Geld, das ihnen der Kunde leiht (Sparbuch, drei Monate Kündigungsfrist) großzügige 0,5 Prozent Zinsen gewähren, während sie für Geld, das sie dem Kunden leihen (Überziehung Dispo-Kredit) nur schlappe 18 Prozent Zinsen haben wollen. Also im Klartext, wollen sie für das Geld, was sie verleihen 36 mal so viel Zinsen haben wie sie bereit sind, für ihnen geliehenes Geld zu geben. Interessante Geschäftsidee. Erinnert mich irgendwie an den Ausspruch Bertold Brechts "Was ist der Überfall auf eine Bank gegen die Gründung einer Bank". Im frühen Mittelalter hatte die katholische Kirche selbiges Wucher genannt und allen Christen bei Strafe für Leib und Leben verboten.

Warum sagt eigentlich keiner ehrlich, daß es bei den ganzen aktuellen alternativlosen Reformen einzig und allein darum geht, daß - seien wir großzügig - 90 Prozent der Deutschen mehr oder weniger stark zur Kasse gebeten werden - komischerweise die, die am wenigsten haben, am meisten - damit es 10 Prozent der Deutschen noch besser geht und ihr Vermögen noch schneller wächst? Oder kann mir jemand sagen, welche persönlichen Einschnitte die Herren Ackermann, Esser, von Pierer, Koch, Kohl, Schröder und so weiter bei den aktuellen Reformen hinnehmen müssen im Vergleich zu Arbeitern der Siemens Werke, Rentnern oder Arbeitslosen? Dabei hat doch unser aller neuer Bundespräsident so hinreißend von Einschnitten für alle gesprochen....
--

Eine Billiarden DM Gewinn.. Das ist ja mal was. :)
Und den Deutschen geht es soo schlecht, wir sind fast ruiniert..

Da ist doch etwas seltsam oder nicht? Kann es sein das da jemand zu gierig wird...


/ajk
 
hmm dann hauen die reichen Unternehmer halt die in die Länder ab wo sie mehr kassieren. Würde ick och machen. Was kann man dagegen tun ? Ganz einfach: Sie auch hier reicher werden lassen .....
 
Nun, sie machen Gewinn.. Ohne Ende. Sie wollen mehr.

/ajk
 
Klar ist das krass, aber dem Staat sind da die Hände gebunden. Sie ist wie eine Hurre der Unternehmen. Sollte man dem Intressen der Unternehmen/Unternehmer nicht nachkommen, wäre sie komplett weg aus Deutschland. Also, was ist besser?

Jetzt stellt sich für jeden von uns die Frage: Würden wir, wenn wir beispielsweise 1 Millionen Euro im Jahr verdienen, dem Staat einfach die Hälfte abgeben? Würdet ihr das Fair finden?

Meine Meinung: Das wären immerhin 500.000 Euro. Eine Summe mit der jeder Mensch bestens, ja sogar im Luxus leben kann. Ich kann mir aber auch gut vorstellen bzw nachvollziehen, dass man bei zuviel Geld durchdreht. Die Angst es zu verlieren, oder das der Staat einen abzocken will...ich weiß ehrlich nicht, ob ich auch so wäre.

"Der Rest bleibt steuerfrei, dank legaler Zaubertricks, die man in anderen Ländern nicht kennt." :D uuuiiii ich bin verzaubert. :D
 
Jo du willst mehr. Wovon? Geld?

Die wirtschafter haben schon sehr viel Geld. Deutschland ist Exportweltmeister. Sie verdienen schon massig Geld. :) Noch mehr? Dann wird langsam etwa zusammenkrachen.. Was wollen sie dann?

Die Politik ist bezahlt von den großen Wirtschaftsfirmen. Sonst nix.
Die meisten Arbeitsplätze werden von den kleinen Firmen gestellt, nicht von Siemens und IBM und BMW. Und die meisten Steuern zahlen auch die kleinen Firmen..

Man sollte Deus Ex durchspielen..

/ajk
 
Willkommen in der freien Marktwirtschaft.
Was wollt ihr dagegen machen, die Staatsform dem Kommunismus annähern? :P

Ist ist nunmal leider so, das die wenigen, die viel Geld haben hier die Investitionen machen und die meisten von ihnen für Arbeitsplätze ich Deutschland sorgen. Wenn man die für sie "günstigere Länder" vergrault, was hat man davon?

Ob der Artikel oben auch so glaubwürdig ist? "Ich habe mal recherchiert" oder "ich habe mal im Internet nachgeschaut" klingt für mich nicht sehr überzeugend.

Fakt ist das die Reichen einen sehr großen Einfluss haben, das war immer so und wird immer so bleiben in einer freien Marktwirtschaft.
 
Junge Junge da haut aber mal wieder einer mit Zahlen rum und weis eigentlich gar nicht so recht was die alle bedeuten.
Hohe Gewinne? Ja hohe Kapitalgewinne aber davon gehen erstmal massig Fremdkapitalkosten ab und dann auch noch höhere Eigenkapitalkosten (Dividende an die Aktionäre) und was da dann übrig bleibt das hat das Unternehmen dann noch übrig um zu Forschen, neue Märkte zu erschließen usw. Und da schauts dann schon nicht mehr so toll aus bei den dt. Unternehmen!
 
Zurück
Top Bottom