Dann muss man akzeptieren, dass der Holocaust in der Erinnerungskultur von Menschen, die nach 1945 nach Europa gekommen sind, eine andere Rolle spielt als in der deutschen Mehrheitsbevölkerung. Ich fände es problematisch, wenn Deutsche mit Nazivergangenheit vor diesem Museum demonstrieren würden. Sie haben einfach ein anderes Verhältnis zum Holocaust als andere. Für die Palästinenser ist der Holocaust auch ein Menschheitsverbrechen, aber ein Verbrechen neben anderen. Man kann nichts für den Holocaust und man hat seine eigene Erinnerungskultur, und da spielt der Holocaust einfach eine andere Rolle. Familiär ist man einfach durch die Nakbar geprägt. Bei den Armeniern ist es ähnlich. In deren Geschichtsbewusstsein steht nicht der Holocaust im Vordergrund, sondern der Völkermord an den Armeniern.
Du argumentierst hier also aus einer deutschen Perspektive und damit emotional. Sonst wärst du auch inhaltlich auf meine Frage eingegangen und hättest mir klar benennen können, was an der Demo antisemitisch war. Wäre die Demo deiner Meinung nach nicht antisemitisch gewesen, wenn es keinen zivilen Ungehorsam gegenüber der Polizei gegeben hätte? Hat es nur daran gelegen?
Außerdem tritt Herzog hier nicht als Repräsentant der Jüdinnen und Juden der Welt auf, sondern als Repräsentant des Staates Israel. Deshalb muss er hier keine Schonfrist erwarten. Der Krieg in Gaza findet gerade jetzt statt. Die Hungerkatastrophe findet gerade jetzt statt. Es ist der Beginn des Ramadan, des heiligen Monats der Muslime und der wird gerade in Gaza von niemandem respektiert, schon gar nicht von Herzog. Im Gegenteil, Netanyahu hat gerade seine Rafah-Offensive angekündigt. Wie kann man erwarten, dass Herzog jetzt respektiert wird, wenn er die andere Seite nicht respektiert? Warum werden an Herzog andere Maßstäbe angelegt als an die Demonstranten? Museumseröffnung hin oder her. Meine israelischen Freunde haben hier keinen Antisemitismus gesehen und es sogar begrüßt, dass gegen Herzog demonstriert wurde.
Aber ich gehe jetzt mal einen Schritt auf dich zu, denn ich bin nicht so der Fan von absoluten Positionen. Man kann die Demonstration in der Nähe des Museums taktlos finden. Als Deutscher hätte ich dort nicht demonstriert. Aber ich würde generell auch an keiner Demonstration teilnehmen, weder an einer pro-israelischen noch an einer pro-palästinensischen. Aber taktlos zu sein, heißt noch lange nicht, antisemitisch zu sein. Das sind zwei Paar Schuhe. Und am Ende muss man als Deutscher akzeptieren, dass es in anderen Ländern eine andere Sensibilität für den Holocaust.
Aber aus einer anderen Perspektive kann man Herzogs Besuch wiederum auch als taktlos empfinden. Hätte man nicht jemand anderen für die Eröffnung des Museums finden können? War es denn nötig, dass ein Museum, das an eines der größten Verbrechen der Menschheit erinnern soll, vom obersten Repräsentanten eines Staates eröffnet wird, das selbst Kriegsverbrechen begeht? Gab es keine anderen jüdischen Würdenträger auf der Welt? Keinen, der etwas weniger umstritten gewesen wäre? Erweist man den Opfern des Holocaust wirklich Respekt, wenn man die Gedenkstätte von einer solchen Person eröffnen lässt?
Und man darf hier auch nicht Minderheiten gegeneinander ausspielen. Ja, es gab viele antisemitische Vorfälle und die empfinde ich als zutiefst beschämend. Aber glaub mir, es ist gerade in Deutschland nicht angenehm jüdisch oder muslimisch zu sein, und das ist ein Zustand, den man nicht akzeptieren darf. Aber in deinem Narrativ können Muslime nur Täter sein und Juden nur wehrlose Opfer, die dringend von den Deutschen beschützt werden müssen. Ich sage dir, Jüdinnen und Juden brauchen die Deutschen und ihre Bevormundung nicht und können sich selbst schützen. Ich finde es absurd, dass viele Israel-Unterstützer in Deutschland selbst antisemitisch agieren. 30 Prozent der von Kulturstiftungen und Behörden abgesagten propalästinensischen Veranstaltungen in Deutschland hatten jüdische Organisatoren. Jüdische Demonstranten wurden von deutschen Polizisten auf propalästinensische Demonstranten geprügelt und festgenommen. Der israelische Regisseur, der, ob legitim oder illegitim, Israel als Apartheidstaat bezeichnete, erhielt auch von deutschen nichtjüdischen Israel-Unterstützern Beleidigungen und Morddrohungen. Berlins CDU-Oberbürgermeister Kai Wegner bezeichnete den jüdischen Israeli sogar als Antisemiten. Es geht vielen Deutschen also weniger um Antisemitismus als um sich selbst. Es geht um deutsche Befindlichkeiten! Das ist deutsche Identitätspolitik, und die meisten haben das noch gar nicht gemerkt. Deswegen glaube ich, dass der Begriff im Moment sehr stark instrumentalisiert wird und dadurch leider sehr viel Schaden nimmt. Wenn das so weitergeht, wird in Zukunft niemand mehr diesen Begriff ernst nehmen und dann haben wir ein echtes Problem.
@Naru
Gemeint sind wohl die Golfstaaten und wahrscheinlich auch Ägypten. Wenn das stimmt, dann sind die arabischen Staaten mitschuldig an Gaza und können sich ihre Krokodilstränen sparen. Aber Israel zeigt damit, was es letztlich ist: Ein Staat, der innen- und außenpolitisch nach