Iskander oder Chronik einer Konfrontation
(Ilja Kramnik, RIA Novosti). Dass Russland vor der Aufstellung des US-Raketenschildes in Osteuropa nicht die Augen verschließen will, war schon seit langem klar.
In seiner ersten Ansprache zur Lage der Nation nannte Präsident Dmitri Medwedew an diesem Mittwoch konkrete Gegenmaßnahmen.
Demnach können zur Neutralisierung des amerikanischen Raketenabwehr-Systems in der westlichen Exklave Russlands Kaliningrad hochpräzise Kurzstreckenraketen Iskander stationiert werden. Außerdem sollen die geplanten amerikanischen Abfangraketen in Polen und die Radaranlage in Tschechien von Kaliningrad aus mit funkelektronischen Mitteln eingedämmt werden.
Eine dermaßen rigorose Reaktion ist leicht erklärbar: Das amerikanische Raketenabwehr-System in Osteuropa beeinträchtigt im Kriegsfall das Potential der russischen Atomraketen. Die zehn GBI-Raketen, die in Polen in Stellung gehen sollen, wären natürlich nicht in der Lage (auch 50 nicht), einen massiven Atomschlag der russischen Raketentruppen und U-Boote abzuwehren.
Wenn aber die USA Russland als erste angreifen würden, würde die Bedeutung dieser Abfangraketen wesentlich zunehmen. Denn in diesem Fall würden sie es mit einer geringen Anzahl feindlicher Raketen zu tun haben, die bei dem Erstschlag unversehrt bleiben würden. Die USA bekämen damit erstmals seit 50 Jahren eine Chance, als Sieger aus einem Atomkrieg hervorzugehen.
Das Iskander-Raketensystem wird bereits seit langem als mögliche Antwort auf die amerikanischen ABM-Pläne in Betracht gezogen. Seine jetzige Reichweite von 300 Kilometern kann laut Spezialisten leicht auf 500 Kilometer ausgeweitet werden, wenn Russland den Vertrag über die Vernichtung von Mittel- und Kurzstreckenraketen (INF) aus dem Jahr 1987 kündigen würde.
Neben den ballistischen Raketen kann dieses System auch die Flügelraketen R-500 mit einer Reichweite von mehr als 2000 Kilometern abfeuern und damit das gesamte Westeuropa abdecken.
Mobile Startrampen Iskander, wenn sie in Kaliningrad oder etwa Weißrussland stationiert würden, würden selbst in der Basisausstattung den überwiegenden Teil des polnischen Territoriums in der ständigen Gefahr eines atomaren Überraschungsschlags halten.
Bei Iskander handelt es sich um eine Präzisionsrakete, die nur wenige Minuten braucht, um in Kampfstellung zu gehen. Die ortsfesten GBI-Raketenstellungen in Polen wären für sie deshalb ein leichtes Ziel.
Die USA werden die Aufstellung von Iskander und funkelekttronischen Störmitteln in Kaliningrad offensichtlich nicht ohne Antwort lassen. Als erste Reaktion werden sie Polen 96 Patriot-Raketen zur Verfügung stellen, was bereits vereinbart worden ist. Doch die Patriot wären nicht fähig, die GBI-Abfangraketen sicher zu schützen. Deshalb könnten die USA die polnische Luftwaffe mit modernen Angriffsflugzeugen verstärken, um die russischen Iskander-Raketen noch vor deren Start zu zerstören. Auch eine Verlegung von amerikanischen Luftwaffen-Einheiten nach Polen wäre nicht auszuschließen.
Ein solches Szenario wird auch in Russland nicht ausgeschlossen. Deshalb wäre zu erwarten, dass neben den Iskander-Raketen zusätzliche Luftwaffen- und Luftabwehr-Verbände nach Kaliningrad verlegt werden.
Eine solche Eskalation würde Osteuropa wieder zu einem Spannungsherd machen. Dort wird faktisch schon jetzt die Konstellation des Kalten Krieges wiederhergestellt, dessen Front aber mehrere hundert Kilometer nach Osten verschoben ist.
Es sei daran erinnert, dass Russland die USA seit Jahren vor der Aufstellung ihres Raketenabwehrsystems in Europa warnt. Sein Ton verschärfte sich dabei von Bedauern über den fehlenden Dialog bis hin zur konkreten Androhung, den ABM-Schild mit Waffengewalt zu neutralisieren. Die USA verteidigten ihre Pläne mit der Ausrede, dass das System in Osteuropa dem Schutz vor iranischen Raketen dienen würde. Auf die Frage, warum das System nicht in der Türkei stationiert werden könne, gaben sie bislang keine vernünftige Antwort.
Zusammengefasst sieht die folgende Entwicklung etwa so aus: Ein anti-iranischer Raketenschirm wird in den nächsten zwei bis drei Jahren in einer Region installiert, die für aktuelle wie auch künftige iranische Raketen unerreichbar, jedoch für das Abfangen von russischen Raketen am besten geeignet ist, die westlich des Ural-Gebirges stationiert sind.
Die zehn US-Abfangraketen hätten keine Chance gegen Dutzende russische Interkontinentalraketen. Doch diese Unterlegenheit existiert nur bis zum Erstschlag. Die Verführung für die USA, als erster zuzuschlagen, ist um so größer, weil sie ein System haben, das sie vor Vergeltung schützt.
Es bleibt zu hoffen, dass die neue US-Administration den Argumenten Russlands Gehör schenkt und die Notwendigkeit eines kollektiven Sicherheitsmechanismus für Europa einsieht. Geschieht das nicht, sind die Folgen kaum kalkulierbar.
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.
Fünf Einheiten an westlicher Grenze bekommen Iskander-Raketen
MOSKAU, 07. November (RIA Novosti). Kurzstreckenraketen vom Typ Iskander werden russischen Einheiten an der westlichen Grenze bereits in einigen Jahren zur Verfügung stehen, verlautete aus Militärkreisen. Das sei eine Antwort auf den US-Raketenschild.
„Iskander-Komplexen sollen bis 2015 fünf Raketenbrigaden zur Verfügung gestellt werden. In erster Linie werden unsere Einheiten an der westlichen Grenze umgerüstet, darunter im Gebiet Kaliningrad“, sagte ein Beamter des russischen Verteidigungsministeriums am Freitag zu RIA Novosti.
Eine weitere „asymmetrische“ Antwort auf die Stationierung von US-Raketenabwehranlagen in Polen und Tschechien bestehe darin, dass auch weißrussische Einheiten Iskander-Raketen bekämen: „Sie sind unsere Verbündeten. Wir müssen sie mit solchen Waffen vorrangig und unter günstigen Konditionen beliefern. Das werden wir tun“.
Präsident Dmitri Medwedew hatte am Mittwoch in seiner Rede zur Lage der Nation gesagt, auf die US-Raketenabwehr in Europa werde Russland bei Bedarf mit der Stationierung von Iskander-Raketenkomplexen in seiner Ostsee-Exklave Kaliningrad reagieren.
Vor Russland-EU-Gipfel: Medwedew schlägt neue Sicherheitsarchitektur vor
MOSKAU, 11. November (RIA Novosti). Die Außenminister der EU-Staaten haben am Montag beschlossen, die Verhandlungen mit Moskau über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen wieder aufzunehmen.
Das wird am kommenden Freitag beim Russland-EU-Gipfel in Nizza geschehen, an dem Präsident Dmitri Medwedew teilnehmen soll.
Wie die Tageszeitungen "Kommersant", "Nesawissimaja Gaseta" und "Wedomosti" am Dienstag feststellen, gilt das Hauptverdienst bei der Überwindung des Widerstands einiger EU-Länder dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Gerade Sarkozy erklärte offiziell, dass Moskau die vier EU-Hauptanforderungen bezüglich der friedlichen Regelung in Transkaukasien erfüllt habe. Insofern "hat es keinen Sinn, eine Krise in den Beziehungen zwischen Europa und Russland entstehen zu lassen".
Am Montag verkündeten zudem die Außenminister Großbritanniens und Schwedens, David Miliband und Carl Bildt, das neue Abkommen würde im Interesse der EU sein. Zugleich betonten sie aber, dass die Beziehungen mit Russland nach den Ereignissen in Georgien nicht mehr wie früher sein können.
Nach Ansicht von Wladimir Gutnik, Leiter des Zentrums für Europa-Studien des Moskauer Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen, ist die EU mehr an einer Wiederaufnahme von Kontakten interessiert als Russland: Sie braucht eine Vertragsbasis, um die für Europa wichtigsten Probleme der Energiewirtschaft, der Entwicklung des Handels und des Umweltschutzes behandeln zu können.
Wladimir Tschischow, Russlands Vertreter bei der EU, verwies darauf, dass Medwedews Initiative zur Schaffung einer neuen euroatlantischen Sicherheitsarchitektur ein Hauptpunkt des Gipfels in Nizza zu werden verspricht. "Jedenfalls sind die einflussreichen EU-Länder auf ein substantielles Gespräch eingestellt", so der Diplomat.
Die Erörterung eines euroatlantischen Sicherheitsvertrags wäre durchaus am Platze, weil Medwedew im Anschluss an Nizza zum G20-Gipfel nach Washington reist, wo er die Gelegenheit bekommen wird, mit dem neu gewählten US-Präsidenten Barack Obama zu sprechen.
"Unsere Vertragsidee setzt die Teilnahme aller Länder des euroatlantischen Raums - Nato, GUS, Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit und Eurasischer Wirtschaftsraum - voraus", sagte Tschischow. "Der Vertrag sollte alle Spieler auf diesem Feld einbeziehen - sowohl die nationalen als auch die kollektiven - und zur Formulierung von Verhaltensprinzipien der Staaten und Organisationen im Sicherheitsbereich führen."
Brown erwartet neue Weltordnung nach Obamas Wahl und Finanzkrise
LONDON, 11. November (RIA Novosti). Nach Ansicht des britischen Premiers Gordon Brown beweist Barack Obamas Wahlsieg, dass es den "American Dream" wirklich gibt.
Wie Brown am Montag bei einem Festessen zu Ehren des neuen Bürgermeisters der Londoner City weiter sagte, ist Obamas Sieg ein "Aufblühen der Hoffnung" und eine "Inspirationsquelle" sowohl für die USA als auch für die ganze Welt.
Brown hob die Notwendigkeit einer noch engeren Zusammenarbeit Europas und speziell Großbritanniens mit den USA hervor.
"Großbritannien und die USA müssen sich eine Spitzenposition sichern, die auf die Gewährleistung einer festeren internationalen Ordnung gerichtet sein wird", hieß es.
Wie der Premier weiter ausführte, könnte die gegenwärtige Finanzkrise die Entstehung eines neuen Typs der Gesellschaft anspornen, die in ihrem Bestreben einig sein wird. Er rief alle Staatschefs der Welt auf, Grundlagen für eine "wirklich neue globale Ordnung" zu schaffen.
"Historiker werden einmal zurückschauen und sagen, dass dies keine übliche Zeit war, sondern ein entscheidender Zeitpunkt. Eine beispiellose Periode globaler Umwandlungen, eine Zeit, in der ein Kapitel zu Ende geht und ein anderes beginnt - für die Nationen und Kontinente sowie für die ganze Welt."
Dazu müsse sich aber einiges ändern, so Brown. "Die G8, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank müssen sich verändern, um fähig zu sein, der neuen Realität zu begegnen." Das G8-Format sei überholt, betonte er. "Die Zeit, wo einige Spitzenpolitiker der Welt an einem Tisch herumsitzen und globale Fragen erörtern könnten, ist vorbei."
Er rief die USA und die anderen Länder auf, auf die Protektionismus-Politik zu verzichten, die sich schlecht bewährt hat. "Die USA und die anderen Länder müssen auf den Protektionismus in der Form von Almosen verzichten, der eine Verwandlung der bisherigen Krise in tiefe Rezessionen verursacht hat", hieß es.
Die Einheit Europas, der USA und der anderen Länder ist auch bei der Gewährleistung der internationalen Sicherheit notwendig. "Für uns muss der Sicherheit eine Reduzierung und nicht eine Aufstockung von Rüstungen zu Grunde liegen", betonte er.
Als eine der größten Prüfungen der Gegenwart bezeichnete Brown die Situation in Afghanistan. "Wir können es uns nicht leisten, diese Prüfung nicht zu bestehen, und wir werden sie bestehen."
Trotz der vielen Probleme müsse man der Zukunft mit Optimismus entgegenschauen. "Dann wird 2008 nicht nur als ein Jahr der Finanzkrise in Erinnerung bleiben, sondern auch als ein Jahr des Optimismus und der richtigen Entscheidungen", betonte der britische Premier.