Natürlich. Sie modellieren ja auch die Lebenserwartung und deren demographische Verteilung. Ändert nur alles nichts an der Tatsache, dass eine „deutlich höhere (direkte) Opferzahlen als bisher angenommen“ kein Ergebnis, sondern eine Vorannahme der Studie ist.
Die MPIDR-Studie trifft keine Vorannahme über „deutlich höhere Opferzahlen“.
Die einzige methodische Vorannahme lautet, dass Untererfassung existiert, was ja in jedem Kriegsgebiet zutrifft. Sonst wäre das Modell zur Berechnung der Untererfassung völlig sinnlos und hätte keine Daseinsberechtigung.
MPIDR übernimmt den besten verfügbaren Reporting Rate-Schätzwert und berechnet den Rest vollständig mit eigenen Modellen. Eine
plausible Begründung, warum die Reporting Rate der Lancet-Studie komplett aus der Luft gegriffen und nichts mit der Realität zu tun haben soll, bleibt aus. Was sich ebenfalls vermissen lässt ist eine
bessere, alternative Berechnung, womit eigentlich auch alles gesagt ist. Dabei sind bei dieser Erkenntnis sowohl Wyners Papier als auch die polemische Twitter-Eskalation berücksichtigt.
Es sei denn, du möchtest nochmal gesondert auf die Punkte eingehen, die valide sein sollen. Dann können wir das gerne aufbröseln. Ich kann das aber gerne auch verkürzen, und zwar indem man sich die MPIDR-Studie durchliest:
MPIDR bestätigt die qualitative Aussage der Lancet-Studie
unabhängig vom Berechnungsmodell, weil MPIDR mittels demografischer Methoden zu den Schlussfolgerungen kommt: massive Übersterblichkeit, unvollständige amtliche Todeszahlen und ein historisch einmaliger Lebenserwartungsverlust.
Sprich, selbst wenn die Kritik an der Lancet-Studie bestehen bleiben sollte (was ich größtenteils sowieso nicht sehe), ändert dies nicht die Richtung der MPIDR-Ergebnisse. Denn die Hauptaussage von MPIDR ist nicht die exakte Zahl der direkten Toten, sondern der demografische Kollaps und die strukturellen Folgen des Völkermords (die Begriffsverwendung erfolgt an dieser Stelle bewusst, siehe Auszug aus der Pressemitteilung des MPIs).
Die Studie ergab zudem, dass die Alters- und Geschlechtsverteilung der gewaltsamen Todesfälle in Gaza zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 31. Dezember 2024 den demografischen Mustern ähnelt, die bei mehreren von der Inter-Agency Group for Child Mortality Estimation (UN IGME) der Vereinten Nationen dokumentierten Völkermorden beobachtet wurden. Da es sich bei Völkermord um einen sehr spezifischen juristischen Begriff handelt, müssen bestimmte weitere Aspekte erfüllt sein, damit er angewandt werden kann. Dies war nicht Untersuchungsgegenstand dieser Studie.