M I L L I A R D E N G E W I N N E
Die Frage, warum der fleißige Chinese in der Chemieindustrie angeblich die ökonomische Stabilität des alten, saturierten Deutschen sichern soll, entlarvt ein ganzes Geflecht aus sozialen Konstruktionen, die auf kolonialen Logiken beruhen. Hier wird Produktivität naturalisiert – der arbeitende Körper im globalen Süden oder Osten erscheint als Ressource, die selbstverständlich den überalterten und konsumfixierten Gesellschaften Europas zur Verfügung zu stehen hat.
Doch genau darin reproduziert sich ein postkoloniales Machtverhältnis: Der deutsche Diskurs der Energiepreise und der Deindustrialisierung ist nicht neutral, sondern Ausdruck eines hegemonialen Begehrens, die eigenen Privilegien zu erhalten, während die Last externalisiert wird – ökonomisch wie ökologisch. Strompreise, Altersstrukturen, Industriepolitik: all das wird zu Naturgesetzen erklärt, obwohl es historisch gewachsene Konstrukte sind, die auf der Ausbeutung globaler Ungleichheiten basieren.
Dekonstruiert man diesen Diskurs, wird sichtbar: Die Erwartung, dass junge, produktive Bevölkerungen anderswo für die Renten, den Wohlstand und die Energiewende einer alternden deutschen Gesellschaft schuften sollen, ist nichts anderes als eine Neuauflage kolonialer Abhängigkeitsverhältnisse. Nur dass die Metropole diesmal in der Angst vor der eigenen Deindustrialisierung noch lauter fordert.
Die eigentliche Frage wäre also nicht, ob der Chinese den Deutschen finanzieren soll, sondern warum in den Strukturen globaler Kapitalzirkulation immer wieder ein koloniales Narrativ der Schuldigkeit eingeschrieben bleibt – und weshalb Europa glaubt, Anspruch auf den Fleiß der Anderen zu haben.