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- 27 Feb 2002
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Wie weit das US-Militär geht, um einen jungen Menschen dazu zu bringen, für einen wertlosen Grund zu sterben
Seit dem Vietnamkrieg hat das US-Militär ein Image-Problem. Vor der Gegenkulturbewegung der 60er und 70er Jahre konnten sich die USA auf einen einfachen Nationalismus verlassen, um junge Menschen dazu zu bewegen, sich dem Militär anzuschließen. Doch nachdem das US-Militär in den Dschungeln Vietnams besiegt wurde, hat sich sein Image verändert. Die Uniformierten werden oft als arme Schlucker betrachtet, die es entweder nicht besser wissen oder so von der nationalistischen US-Propaganda verblendet wurden, dass es ganz egal war, für was sie starben.
Nach den schlechten Jahren der Carter-Regierung und dem Aufstieg der von Ronald Reagan geführten Neuen Rechten, begann sich das Image wieder Schritt für Schritt zu verändern. Es begann zuerst in der Unterhaltungsindustrie mit Filmen wie Rambo und schritt dann fort bis hin zur Mode, so dass es plötzlich schick war, Tarnhosen zu tragen.
Als die Politik der Neuen Rechten im Jahr 2000 unter George W. Bush noch extremer wurde, wurde die Möglichkeit, das Soldatenleben der amerikanischen Jugend zu verkaufen, von größter Wichtigkeit. Das war zunächst nicht sehr schwierig. Nach dem 11.9. gingen mehr Amerikaner zum Militär als zuvor. Die Botschaft war klar: Wir sitzen alle in einem Boot.
Selbst wenn das so ist, dann müssen die mächtigen amerikanischen Streitkräfte mit 1,4 Millionen Soldaten ständig neue Rekruten einstellen, um diese Zahl über einen größeren Zeitraum aufrecht zu halten. Und mit der schnellen Expansion des Amerikanischen Imperiums während der letzten drei Jahre, mit der seit dem 11.9. amerikanische Truppen zusätzlich in 37 Länder stationiert wurden, ist diese Notwendigkeit besonders dringend geworden. Insgesamt befinden sich amerikanischen Truppen weltweit in 138 Ländern. Um ein solches Ausmaß der Stationierung im Ausland aufrecht erhalten zu können, muss das US-Militär dieses Jahr alleine mindestens 285.000 neue Rekruten verpflichten.
In den USA gibt es über 7.000 Rekrutierungsbüros, die damit beschäftigt sind, die Posten von Amerikas Militärmaschine aufzufüllen. Ihre Zielgruppe sind vorwiegend junge Erwachsene zwischen 17 und 21 Jahren. Folglich richtet sich die Hauptaufmerksamkeit der Rekrutierer auf die Schulen und die Orte, an denen sich junge Menschen treffen, beispielsweise Shopping Malls.
Ausbeutung der Jugendkultur
Vor kurzem hat das US-Militär noch einmal die Propaganda-Offensive verstärkt, um neue Rekruten zu werben. Dazu gehört die Anwerbung von Green-Card-Soldaten, von Indianern aus den Reservaten in Kanada und sogar von Menschen, die man auch als ausländische Söldner bezeichnen kann. Am stärksten bemüht man sich jedoch darum, die Herzen und die Köpfe der jungen Menschen durch die Ausbeutung der Jugendkultur zu gewinnen.
Das amerikanische Militär sucht normalerweise nach jungen Menschen, die klug und fit sind und die Highschool gerade verlassen oder vor kurzem die Prüfung abgelegt haben. Was das amerikanische Militär anbietet, ist auf viele Weise verlockend. Wenn man den Rekrutierern Glauben schenkt, gibt es die Möglichkeit, Geld für den College-Besuch zu verdienen, die Welt zu bereisen und neue Menschen zu treffen. Eine "Karriere" beim Militär scheint nichts anderes zu sein als ein Studium im Ausland.
Eintrittskarte in eine höhere Ausbildung
Primär kümmern sich die amerikanischen Rekrutierer natürlich um die Schulen. Nach dem US-Gesetz müssen mit öffentlichen Geldern finanzierte Schulen den Militärwerbern Zugang gewähren. Die Rekrutierung findet normalerweise im Rahmen von organisierten "Karrieretagen" statt. Die Angebote sind oft sehr wirksam, besonders in Schulen, in denen die Schüler nicht so wohlhabend sind. Das Militär bietet tatsächlich die Eintrittskarte in eine höhere Ausbildung an.
Außerhalb der Schulen sind die Shopping Malls ein bevorzugter Jagdplatz der Rekrutierer. Der Begriff, den Rekrutierer für die Suche nach ihrer Beute benutzen, ist "prospecting" (Suche nach Bodenschätzen, schürfen). Das schließt nicht nur diejenigen ein, die in sich in den Malls aufhalten, sondern auch diejenigen, die hier bei Fast-Food-Restaurants wie McDonalds arbeiten.
Rekrutierer weigern sich oft, ein Nein als Antwort zu akzeptieren. Die meisten arbeiten unter einem Quotensystem, nach dem sie die Vorgabe haben, eine bestimmte Zahl von neuen Rekruten jeden Monat werben zu müssen. Der Druck ist so groß, dass viele Rekrutierer die Trennung zwischen ihrem Privat- und Arbeitsleben aufgeben, da der Forschritt ihrer Karriere von der Erfüllung ihrer Quote abhängt. Ein Rekrutierer ging so weit, den Cousin seiner Frau beim Begräbnis ihrer Großmutter zu werben.
Aufgrund des Drucks ist die von den Rekrutierern gegebene Information oft voller Halbwahrheiten. Es werden Jobs versprochen, von denen die Rekrutierer wissen, dass es sie niemals geben wird. Auf der Suche nach Erfüllung ihrer Quoten gehen sie überdies oft extrem weit und geben beispielsweise auf den Antragsformularen der neuen Rekruten deren Drogenmissbrauch nicht wahrheitsgemäß an. Dabei werden auch verschleiernde Substanzen bei den Urintests verwendet, die Namen wie "Eistee", "der Milchshake" oder einfach "die Pillen" tragen.
Wegen dieser Täuschungspraktiken ist eine Bewegung entstanden, die gegen die Arbeit der Rekrutierer vorgeht. Es kämpft also nicht nur das Militär um die Herzen und Köpfe der beeindruckbaren jungen Menschen, auch ein organisiertes Team von Anti-Rekrutierern besucht die Schulen und geht in die Malls. Viele sind Veteranen, die versuchen, ein anderes Bild von dem darzustellen, was das militärische Leben wirklich mit sich bringt. Sie wollen die Tatsachen vermitteln, die oft nicht erwähnt werden. So kann beispielsweise die angebotene Ausbildungsunterstützung nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Rekrut bei keinem Kurs scheitert. Wenn sie durchfallen oder schlechte Ergebnisse haben, dann müssen sie die erhaltenen Stipendien wieder zurückzahlen. Rekrutierer erwähnen dieses kleine Detail aus offensichtlichen Gründen nicht, sondern rechtfertigen ihr Schweigen mit der Begründung, dass diejenigen, die sich eingeschrieben haben, das selbst herausfinden sollen.
Das Militär ist ein unverfrorener Spammer
Natürlich leugnet das amerikanische Militär, dass Derartiges vorkommt. "Rekrutierungsverstöße", wie das Militär dies nennt, kämen außerordentlich selten vor, behauptet das Pentagon. Auch wenn hin und wieder etwas bekannt wird, so seien das Einzelfälle. Das Militär gibt vor, dass die Rekrutierung ein ehrbarer Beruf ist, der von anständigen Menschen ausgeübt wird. Aber allein schon die Tatsache, dass das amerikanische Militär Spam in Form von Briefen und Emails verschickt, zeigt, wie wenig ehrbar diese Beruf geworden ist. Das Militär ist ein unverfrorener Spammer. Privatwohnungen bieten keinen Schutz. Die Verzweiflung ist so groß, dass ihre Spam-Taktiken oft ziemlich aggressiv sind. Selbst wenn darum gebeten wurde, in Ruhe gelassen zu werden und die Privatsphäre zu beachten, bleiben die Häuser und Wohnungen, in denen 17- bis 21-Jährige wohnen, ein Ziel. Wenn eine Person 17 Jahre alt wird, verhält sich das Militär auf eine Weise, die man sonst als Belästigung (stalking) bezeichnen würde. Sie rufen an, verfolgen einen persönlich und setzen einem durch Emails und in Chaträume, in Computerspielen und anderen Unterhaltungsangeboten nach.
Gerade im Bereich der Computerspiele und der Unterhaltung hat die Rekrutierung ihre größten Einfallschneisen geschaffen. Das US-Militär hat sich ganz geschickt der neuen Medientechnologien bedient. Sie verherrlichen alles durch Rockmusik, während sie Menschen zeigen, die Spaß haben und Dinge machen wie Skifahren oder Fallschirmspringen. Demnach hat das Militär nichts mehr mit Kamp zu tun, sondern es gleicht eher Extremsportarten. In den Fernsehwerbungen des Militärs werden Prominente vorgeführt. Ihre Botschaft ist klar: Gegenwärtig ist es cool, ein Soldat zu sein.
Nur noch einen Klick entfernt
Das beste Beispiel dafür ist vielleicht das Online-Spiel "America's Army", das vom amerikanischen Militär entwickelt und betrieben wird. Sein einziger Zweck ist, die Computerspielgeneration zu überzeugen, dass das militärische Leben cool ist: coole Chancen, coole Karrieren, cooles Können und cooles Training. Die Spieler können einander bekämpfen oder sie können ihre Fertigkeiten in Trainingssimulationen testen. Offensichtlich ist das Spiel sehr beliebt. Es gibt bislang um die 2,6 Millionen registrierte User. Es ist kostenlos und kann von der Website heruntergeladen oder von einem Rekrutierer erhalten werden. Das Rekrutieren ist Teil des Plans. Wenn man einmal die Lust am Spiel befriedigt hat, ist ein Rekrutierer nur noch einen Klick entfernt.
Letztlich scheint sich dieses Werbebombardement für das Militär in den Schulen, in den Malls und Zuhause, aber auch in der Werbung, in Filmen und Spielen auszuzahlen. Schon haben sich 98.000 neue Rekruten gemeldet. Wenn diese Erfolgsrate gehalten werden kann, wird das US-Militär keine Probleme haben, sein Ziel, bis zum Jahresende 285.000 neue Rekruten einzustellen, zu erreichen oder sogar zu überschreiten.
Aber das ist noch lange nicht sicher. Alles könnte noch über den Köpfen von George W. Bush und seinen Gefolgsleuten zusammenstürzen und schließlich zu großen Antikriegsprotesten wie in den 60er und 70er Jahren führen. Wenn sich die Lage im Irak nicht drastisch verändert, ist es gut möglich, dass die Menge an Lügen und Halbwahrheiten bekannt werden - selbst in den USA. Schon jetzt vermehren sich die Zweifel in den USA. Nach einer kürzlich veröffentlichten CBS News-Umfrage, denken jetzt 50 Prozent der Amerikaner, dass der Krieg den Verlust an Menschenleben und die anderen Kosten nicht wert ist.
Die schärfsten Kritiken kommen unter anderem aus unerwarteten Richtungen: von US-Soldaten, die sagen, dass dies nicht der Grund war, warum sie in den Militärdienst eingetreten sind. Viele betrachten sich nun selbst als Besatzer und nicht als Befreier, und sie werden zunehmend unsicherer, warum sie dort sind. Manche sind bereits AWOL (Absent Without Leave) gegangen. Kürzlich desertierte ein Soldat von der 82nd Airborne Division und floh nach Kanada. Ursprünglich war er bei den Streitkräften, weil er, wie so viele andere, eine romantische Vorstellung davon hatte, was das sei. Die "sozialistische" Struktur des Militärs zog ihn an und ihm gefiel, dass Wohnen und Essens subventioniert werden und dass er zum Dienstende Geld fürs College haben würde. Zu diesem Zeitpunkt sah es wie eine kluge finanzielle Entscheidung aus.
"AWOL gehen"
Aber aus Romantik wurde schnell Horror. Was ihn am meisten entsetzte, war die Entmenschlichung des Feindes. Seit Beginn der Grundausbildung sangen sie bei ihren Märschen Lieder von Blut und Tod und schossen auf gesichtslose Ziele. "AWOL gehen" kann einen Soldaten viel kosten. Die Strafen sind hart: Ein Soldat kann als Deserteur angeklagt werden und dafür, dass er eine Truppenbewegung versäumt hat, was zwei verschiedene Anklagepunkte sind, die ihn für fünf bis zehn Jahre ins Gefängnis bringen können. Außerdem kann er unehrenhaft entlassen werden, was ein sofortiges Ende aller Bezüge bedeutet und in manchen Staaten sogar das Recht zu wählen beschneidet.
Die meisten Soldaten, welche "AWOL gehen", fliehen nach Kanada. Während des Vietnamkrieges suchten geschätzte 30 000 Amerikaner Unterschlupf in Kanada, um dem obligatorischen Militärdienst zu entgehen.
Die Chancen als Flüchtling anerkannt zu werden sind jedoch sehr gering: Laut Kanadas Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde wurde keiner der 268 Anwärter des letzten Jahres akzeptiert. Dennoch dürfen jene, denen der Flüchtlingsstatus verweigert wird, gewöhnlich unter anderen Voraussetzungen in Kanada bleiben.
Zur Zeit besteht das Militär auf dem Standpunkt, dass Desertion kein Thema sei. Von den 40 000 Soldaten, die für Urlaub in die USA zurückkamen, versäumten es weniger als ein Prozent, sich für den Dienst zurückzumelden. Das Pentagon geht so weit, dies als eine "gute Newsstory" zu bezeichnen. Obwohl ein Prozent immerhin bedeutet, dass 400 amerikanische Soldaten nicht zurück gegangen sind.
Die militäreigene Zeitung gibt zu, dass Moral ein Problem ist. In einer letzten Herbst durchgeführten Umfrage, kam "Stars und Stripes" zu dem Ergebnis, dass knapp ein Drittel der US-Truppen im Irak den Krieg für fast oder ganz sinn- und wertlos hielten. Die "War Resisters League" hat eine Hotline für GIs eingerichtet, die von einer Allianz von Friedensgruppen aus den USA unterhalten wird. Dort gehen monatlich Tausende von Anrufen ein, immer mehr kommen von Soldaten, die sich darüber informieren wollen, wie sie aus dem Dienst austreten könnten.
Noch scheint das Pentagon nicht übermäßig beunruhigt darüber. Sein Standpunkt ist, dass Soldaten naturgemäß neugierig sind. Wenn sie aber erführen, was ihre Optionen sind, würden sie entscheiden, dass "going AWOL" nicht für sie in Frage komme.
Aber es ist dennoch relativ klar, dass die meisten Soldaten in Afghanistan und Irak ihre Zeit vor allem damit verbringen, dass sie hoffen, lebendig zu bleiben. Bei der ersten Gelegenheit würden sie gehen und nicht mehr zurück blicken. Dies ist definitiv die Hauptsorge des Pentagon, welches stark von Wochenendsoldaten abhängig ist. Bald werden etwa 40 Prozent der in Irak stationierten US-Truppen entweder zur "National Guard" gehören oder Reservisten sein.
Das Ausmaß der Zensur bei Berichten über die Lebensumstände der US-Truppen in Afghanistan und Irak ist überwältigend. Die US-Medien sind vollkommen blind für die Realität. Anti-Kriegs-Aktivisten werden als Untergrundgruppe hingestellt und bekommen keine Aufmerksamkeit von den Medien, während Kanada, Frankreich, Japan und einige andere Länder stark Anteil nehmen am Elend der Soldaten in Afghanistan und Irak. Die einzige Ausnahme sind zentral und osteuropäische Länder wie Ungarn, die selbst Truppen dort stationiert haben.
Wie das Pentagon bisher die amerikanischen Medien in die Tasche gesteckt hat, das war einer seiner größten Erfolge während dieses Krieges. "Eingebettete Reporter" brachten ausgewählte Berichte über die Invasion. Verstörende Bilder von toten oder verwundeten GIs wurden schnell aus dem Verkehr gezogen. Tatsächlich hat das Pentagon Bilder von toten Soldaten, die zeremoniell nach Hause gebracht werden, nicht zeigen lassen; in früheren Kriegen war dagegen die Zeremonie des gefallenen Soldaten, der als Held wieder zurückgebracht wird, ein fester Bestandteil der Kriege und ihrer Darstellung.
Es ist offensichtlich, dass das Pentagon versucht herunterzuspielen, was laut Analysten sein größtes Problem ist: Das Unterdrücken von Wahrheiten. Es ist fast sicher, dass jene Soldaten, die sich jetzt in einer Truppenrotation befinden, innerhalb eines Jahres wieder zurück nach Afghanistan oder Irak müssen, um erneut dort zu dienen. Da jedoch mehr und mehr dieser Truppen nach Hause kommen und von ihren Erfahrungen berichten, wird das Thema von Soldaten, die im Ausland dienen vielleicht doch noch seinen Weg in die Medien finden. Dann werden die Menschen in den USA mehr darüber erfahren, was in Wahrheit dort geschieht. Und dann wird das Anwerben von Soldaten vielleicht nicht mehr so glatt gehen.
www.heise.de
Tja..., die Bürger des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten und Freiheit zahlen einen verdammt hohen Preis für diese scheinbaren Werte...
Seit dem Vietnamkrieg hat das US-Militär ein Image-Problem. Vor der Gegenkulturbewegung der 60er und 70er Jahre konnten sich die USA auf einen einfachen Nationalismus verlassen, um junge Menschen dazu zu bewegen, sich dem Militär anzuschließen. Doch nachdem das US-Militär in den Dschungeln Vietnams besiegt wurde, hat sich sein Image verändert. Die Uniformierten werden oft als arme Schlucker betrachtet, die es entweder nicht besser wissen oder so von der nationalistischen US-Propaganda verblendet wurden, dass es ganz egal war, für was sie starben.
Nach den schlechten Jahren der Carter-Regierung und dem Aufstieg der von Ronald Reagan geführten Neuen Rechten, begann sich das Image wieder Schritt für Schritt zu verändern. Es begann zuerst in der Unterhaltungsindustrie mit Filmen wie Rambo und schritt dann fort bis hin zur Mode, so dass es plötzlich schick war, Tarnhosen zu tragen.
Als die Politik der Neuen Rechten im Jahr 2000 unter George W. Bush noch extremer wurde, wurde die Möglichkeit, das Soldatenleben der amerikanischen Jugend zu verkaufen, von größter Wichtigkeit. Das war zunächst nicht sehr schwierig. Nach dem 11.9. gingen mehr Amerikaner zum Militär als zuvor. Die Botschaft war klar: Wir sitzen alle in einem Boot.
Selbst wenn das so ist, dann müssen die mächtigen amerikanischen Streitkräfte mit 1,4 Millionen Soldaten ständig neue Rekruten einstellen, um diese Zahl über einen größeren Zeitraum aufrecht zu halten. Und mit der schnellen Expansion des Amerikanischen Imperiums während der letzten drei Jahre, mit der seit dem 11.9. amerikanische Truppen zusätzlich in 37 Länder stationiert wurden, ist diese Notwendigkeit besonders dringend geworden. Insgesamt befinden sich amerikanischen Truppen weltweit in 138 Ländern. Um ein solches Ausmaß der Stationierung im Ausland aufrecht erhalten zu können, muss das US-Militär dieses Jahr alleine mindestens 285.000 neue Rekruten verpflichten.
In den USA gibt es über 7.000 Rekrutierungsbüros, die damit beschäftigt sind, die Posten von Amerikas Militärmaschine aufzufüllen. Ihre Zielgruppe sind vorwiegend junge Erwachsene zwischen 17 und 21 Jahren. Folglich richtet sich die Hauptaufmerksamkeit der Rekrutierer auf die Schulen und die Orte, an denen sich junge Menschen treffen, beispielsweise Shopping Malls.
Ausbeutung der Jugendkultur
Vor kurzem hat das US-Militär noch einmal die Propaganda-Offensive verstärkt, um neue Rekruten zu werben. Dazu gehört die Anwerbung von Green-Card-Soldaten, von Indianern aus den Reservaten in Kanada und sogar von Menschen, die man auch als ausländische Söldner bezeichnen kann. Am stärksten bemüht man sich jedoch darum, die Herzen und die Köpfe der jungen Menschen durch die Ausbeutung der Jugendkultur zu gewinnen.
Das amerikanische Militär sucht normalerweise nach jungen Menschen, die klug und fit sind und die Highschool gerade verlassen oder vor kurzem die Prüfung abgelegt haben. Was das amerikanische Militär anbietet, ist auf viele Weise verlockend. Wenn man den Rekrutierern Glauben schenkt, gibt es die Möglichkeit, Geld für den College-Besuch zu verdienen, die Welt zu bereisen und neue Menschen zu treffen. Eine "Karriere" beim Militär scheint nichts anderes zu sein als ein Studium im Ausland.
Eintrittskarte in eine höhere Ausbildung
Primär kümmern sich die amerikanischen Rekrutierer natürlich um die Schulen. Nach dem US-Gesetz müssen mit öffentlichen Geldern finanzierte Schulen den Militärwerbern Zugang gewähren. Die Rekrutierung findet normalerweise im Rahmen von organisierten "Karrieretagen" statt. Die Angebote sind oft sehr wirksam, besonders in Schulen, in denen die Schüler nicht so wohlhabend sind. Das Militär bietet tatsächlich die Eintrittskarte in eine höhere Ausbildung an.
Außerhalb der Schulen sind die Shopping Malls ein bevorzugter Jagdplatz der Rekrutierer. Der Begriff, den Rekrutierer für die Suche nach ihrer Beute benutzen, ist "prospecting" (Suche nach Bodenschätzen, schürfen). Das schließt nicht nur diejenigen ein, die in sich in den Malls aufhalten, sondern auch diejenigen, die hier bei Fast-Food-Restaurants wie McDonalds arbeiten.
Rekrutierer weigern sich oft, ein Nein als Antwort zu akzeptieren. Die meisten arbeiten unter einem Quotensystem, nach dem sie die Vorgabe haben, eine bestimmte Zahl von neuen Rekruten jeden Monat werben zu müssen. Der Druck ist so groß, dass viele Rekrutierer die Trennung zwischen ihrem Privat- und Arbeitsleben aufgeben, da der Forschritt ihrer Karriere von der Erfüllung ihrer Quote abhängt. Ein Rekrutierer ging so weit, den Cousin seiner Frau beim Begräbnis ihrer Großmutter zu werben.
Aufgrund des Drucks ist die von den Rekrutierern gegebene Information oft voller Halbwahrheiten. Es werden Jobs versprochen, von denen die Rekrutierer wissen, dass es sie niemals geben wird. Auf der Suche nach Erfüllung ihrer Quoten gehen sie überdies oft extrem weit und geben beispielsweise auf den Antragsformularen der neuen Rekruten deren Drogenmissbrauch nicht wahrheitsgemäß an. Dabei werden auch verschleiernde Substanzen bei den Urintests verwendet, die Namen wie "Eistee", "der Milchshake" oder einfach "die Pillen" tragen.
Wegen dieser Täuschungspraktiken ist eine Bewegung entstanden, die gegen die Arbeit der Rekrutierer vorgeht. Es kämpft also nicht nur das Militär um die Herzen und Köpfe der beeindruckbaren jungen Menschen, auch ein organisiertes Team von Anti-Rekrutierern besucht die Schulen und geht in die Malls. Viele sind Veteranen, die versuchen, ein anderes Bild von dem darzustellen, was das militärische Leben wirklich mit sich bringt. Sie wollen die Tatsachen vermitteln, die oft nicht erwähnt werden. So kann beispielsweise die angebotene Ausbildungsunterstützung nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Rekrut bei keinem Kurs scheitert. Wenn sie durchfallen oder schlechte Ergebnisse haben, dann müssen sie die erhaltenen Stipendien wieder zurückzahlen. Rekrutierer erwähnen dieses kleine Detail aus offensichtlichen Gründen nicht, sondern rechtfertigen ihr Schweigen mit der Begründung, dass diejenigen, die sich eingeschrieben haben, das selbst herausfinden sollen.
Das Militär ist ein unverfrorener Spammer
Natürlich leugnet das amerikanische Militär, dass Derartiges vorkommt. "Rekrutierungsverstöße", wie das Militär dies nennt, kämen außerordentlich selten vor, behauptet das Pentagon. Auch wenn hin und wieder etwas bekannt wird, so seien das Einzelfälle. Das Militär gibt vor, dass die Rekrutierung ein ehrbarer Beruf ist, der von anständigen Menschen ausgeübt wird. Aber allein schon die Tatsache, dass das amerikanische Militär Spam in Form von Briefen und Emails verschickt, zeigt, wie wenig ehrbar diese Beruf geworden ist. Das Militär ist ein unverfrorener Spammer. Privatwohnungen bieten keinen Schutz. Die Verzweiflung ist so groß, dass ihre Spam-Taktiken oft ziemlich aggressiv sind. Selbst wenn darum gebeten wurde, in Ruhe gelassen zu werden und die Privatsphäre zu beachten, bleiben die Häuser und Wohnungen, in denen 17- bis 21-Jährige wohnen, ein Ziel. Wenn eine Person 17 Jahre alt wird, verhält sich das Militär auf eine Weise, die man sonst als Belästigung (stalking) bezeichnen würde. Sie rufen an, verfolgen einen persönlich und setzen einem durch Emails und in Chaträume, in Computerspielen und anderen Unterhaltungsangeboten nach.
Gerade im Bereich der Computerspiele und der Unterhaltung hat die Rekrutierung ihre größten Einfallschneisen geschaffen. Das US-Militär hat sich ganz geschickt der neuen Medientechnologien bedient. Sie verherrlichen alles durch Rockmusik, während sie Menschen zeigen, die Spaß haben und Dinge machen wie Skifahren oder Fallschirmspringen. Demnach hat das Militär nichts mehr mit Kamp zu tun, sondern es gleicht eher Extremsportarten. In den Fernsehwerbungen des Militärs werden Prominente vorgeführt. Ihre Botschaft ist klar: Gegenwärtig ist es cool, ein Soldat zu sein.
Nur noch einen Klick entfernt
Das beste Beispiel dafür ist vielleicht das Online-Spiel "America's Army", das vom amerikanischen Militär entwickelt und betrieben wird. Sein einziger Zweck ist, die Computerspielgeneration zu überzeugen, dass das militärische Leben cool ist: coole Chancen, coole Karrieren, cooles Können und cooles Training. Die Spieler können einander bekämpfen oder sie können ihre Fertigkeiten in Trainingssimulationen testen. Offensichtlich ist das Spiel sehr beliebt. Es gibt bislang um die 2,6 Millionen registrierte User. Es ist kostenlos und kann von der Website heruntergeladen oder von einem Rekrutierer erhalten werden. Das Rekrutieren ist Teil des Plans. Wenn man einmal die Lust am Spiel befriedigt hat, ist ein Rekrutierer nur noch einen Klick entfernt.
Letztlich scheint sich dieses Werbebombardement für das Militär in den Schulen, in den Malls und Zuhause, aber auch in der Werbung, in Filmen und Spielen auszuzahlen. Schon haben sich 98.000 neue Rekruten gemeldet. Wenn diese Erfolgsrate gehalten werden kann, wird das US-Militär keine Probleme haben, sein Ziel, bis zum Jahresende 285.000 neue Rekruten einzustellen, zu erreichen oder sogar zu überschreiten.
Aber das ist noch lange nicht sicher. Alles könnte noch über den Köpfen von George W. Bush und seinen Gefolgsleuten zusammenstürzen und schließlich zu großen Antikriegsprotesten wie in den 60er und 70er Jahren führen. Wenn sich die Lage im Irak nicht drastisch verändert, ist es gut möglich, dass die Menge an Lügen und Halbwahrheiten bekannt werden - selbst in den USA. Schon jetzt vermehren sich die Zweifel in den USA. Nach einer kürzlich veröffentlichten CBS News-Umfrage, denken jetzt 50 Prozent der Amerikaner, dass der Krieg den Verlust an Menschenleben und die anderen Kosten nicht wert ist.
Die schärfsten Kritiken kommen unter anderem aus unerwarteten Richtungen: von US-Soldaten, die sagen, dass dies nicht der Grund war, warum sie in den Militärdienst eingetreten sind. Viele betrachten sich nun selbst als Besatzer und nicht als Befreier, und sie werden zunehmend unsicherer, warum sie dort sind. Manche sind bereits AWOL (Absent Without Leave) gegangen. Kürzlich desertierte ein Soldat von der 82nd Airborne Division und floh nach Kanada. Ursprünglich war er bei den Streitkräften, weil er, wie so viele andere, eine romantische Vorstellung davon hatte, was das sei. Die "sozialistische" Struktur des Militärs zog ihn an und ihm gefiel, dass Wohnen und Essens subventioniert werden und dass er zum Dienstende Geld fürs College haben würde. Zu diesem Zeitpunkt sah es wie eine kluge finanzielle Entscheidung aus.
"AWOL gehen"
Aber aus Romantik wurde schnell Horror. Was ihn am meisten entsetzte, war die Entmenschlichung des Feindes. Seit Beginn der Grundausbildung sangen sie bei ihren Märschen Lieder von Blut und Tod und schossen auf gesichtslose Ziele. "AWOL gehen" kann einen Soldaten viel kosten. Die Strafen sind hart: Ein Soldat kann als Deserteur angeklagt werden und dafür, dass er eine Truppenbewegung versäumt hat, was zwei verschiedene Anklagepunkte sind, die ihn für fünf bis zehn Jahre ins Gefängnis bringen können. Außerdem kann er unehrenhaft entlassen werden, was ein sofortiges Ende aller Bezüge bedeutet und in manchen Staaten sogar das Recht zu wählen beschneidet.
Die meisten Soldaten, welche "AWOL gehen", fliehen nach Kanada. Während des Vietnamkrieges suchten geschätzte 30 000 Amerikaner Unterschlupf in Kanada, um dem obligatorischen Militärdienst zu entgehen.
Die Chancen als Flüchtling anerkannt zu werden sind jedoch sehr gering: Laut Kanadas Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde wurde keiner der 268 Anwärter des letzten Jahres akzeptiert. Dennoch dürfen jene, denen der Flüchtlingsstatus verweigert wird, gewöhnlich unter anderen Voraussetzungen in Kanada bleiben.
Zur Zeit besteht das Militär auf dem Standpunkt, dass Desertion kein Thema sei. Von den 40 000 Soldaten, die für Urlaub in die USA zurückkamen, versäumten es weniger als ein Prozent, sich für den Dienst zurückzumelden. Das Pentagon geht so weit, dies als eine "gute Newsstory" zu bezeichnen. Obwohl ein Prozent immerhin bedeutet, dass 400 amerikanische Soldaten nicht zurück gegangen sind.
Die militäreigene Zeitung gibt zu, dass Moral ein Problem ist. In einer letzten Herbst durchgeführten Umfrage, kam "Stars und Stripes" zu dem Ergebnis, dass knapp ein Drittel der US-Truppen im Irak den Krieg für fast oder ganz sinn- und wertlos hielten. Die "War Resisters League" hat eine Hotline für GIs eingerichtet, die von einer Allianz von Friedensgruppen aus den USA unterhalten wird. Dort gehen monatlich Tausende von Anrufen ein, immer mehr kommen von Soldaten, die sich darüber informieren wollen, wie sie aus dem Dienst austreten könnten.
Noch scheint das Pentagon nicht übermäßig beunruhigt darüber. Sein Standpunkt ist, dass Soldaten naturgemäß neugierig sind. Wenn sie aber erführen, was ihre Optionen sind, würden sie entscheiden, dass "going AWOL" nicht für sie in Frage komme.
Aber es ist dennoch relativ klar, dass die meisten Soldaten in Afghanistan und Irak ihre Zeit vor allem damit verbringen, dass sie hoffen, lebendig zu bleiben. Bei der ersten Gelegenheit würden sie gehen und nicht mehr zurück blicken. Dies ist definitiv die Hauptsorge des Pentagon, welches stark von Wochenendsoldaten abhängig ist. Bald werden etwa 40 Prozent der in Irak stationierten US-Truppen entweder zur "National Guard" gehören oder Reservisten sein.
Das Ausmaß der Zensur bei Berichten über die Lebensumstände der US-Truppen in Afghanistan und Irak ist überwältigend. Die US-Medien sind vollkommen blind für die Realität. Anti-Kriegs-Aktivisten werden als Untergrundgruppe hingestellt und bekommen keine Aufmerksamkeit von den Medien, während Kanada, Frankreich, Japan und einige andere Länder stark Anteil nehmen am Elend der Soldaten in Afghanistan und Irak. Die einzige Ausnahme sind zentral und osteuropäische Länder wie Ungarn, die selbst Truppen dort stationiert haben.
Wie das Pentagon bisher die amerikanischen Medien in die Tasche gesteckt hat, das war einer seiner größten Erfolge während dieses Krieges. "Eingebettete Reporter" brachten ausgewählte Berichte über die Invasion. Verstörende Bilder von toten oder verwundeten GIs wurden schnell aus dem Verkehr gezogen. Tatsächlich hat das Pentagon Bilder von toten Soldaten, die zeremoniell nach Hause gebracht werden, nicht zeigen lassen; in früheren Kriegen war dagegen die Zeremonie des gefallenen Soldaten, der als Held wieder zurückgebracht wird, ein fester Bestandteil der Kriege und ihrer Darstellung.
Es ist offensichtlich, dass das Pentagon versucht herunterzuspielen, was laut Analysten sein größtes Problem ist: Das Unterdrücken von Wahrheiten. Es ist fast sicher, dass jene Soldaten, die sich jetzt in einer Truppenrotation befinden, innerhalb eines Jahres wieder zurück nach Afghanistan oder Irak müssen, um erneut dort zu dienen. Da jedoch mehr und mehr dieser Truppen nach Hause kommen und von ihren Erfahrungen berichten, wird das Thema von Soldaten, die im Ausland dienen vielleicht doch noch seinen Weg in die Medien finden. Dann werden die Menschen in den USA mehr darüber erfahren, was in Wahrheit dort geschieht. Und dann wird das Anwerben von Soldaten vielleicht nicht mehr so glatt gehen.
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Tja..., die Bürger des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten und Freiheit zahlen einen verdammt hohen Preis für diese scheinbaren Werte...