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Auszug aus 86. Jahrgang Nr. 5
Wir haben es immer gewußt und auch schon oft dargelegt, daß die Schröder-Fischer-Regierung ausschließlich die Interessen der Konzerne, die Interessen des Finanzkapitals vertritt. Aber nicht zu allen Zeiten war es uns möglich, das richtig Erkannte mit aktuellen Dokumenten hieb- und stichfest zu erhärten. Heute haben wir jedoch wieder eine solche Möglichkeit, die auch die hartnäckigsten Zweifler an unseren Erkenntnissen zumindest zum Nachdenken anregen sollte. Worum geht es? Der ,,Europäische Runde Tisch (ERT) hat im Februar d.J. in einem längeren Brief an den amtierenden Ratsvorsitzenden Ahern (Irland) mit allem Nachdruck gefordert, daß ,,die Europäische Union die Wettbewerbsbedingungen der europäischen Großunternehmen unverzüglich zu verbessern hat und ihre An-strenungen mit größerer Entschiedenheit darauf konzentrieren muß, um aus Europa einen attraktiveren Platz für die Wirtschaft zu machen.
Das klingt zunächst gar nicht so schlecht. Was damit konkret gemeint ist, werden wir sofort darlegen. Beantworten wir aber zunächst die Frage, wer im ,,Europäischen Runden Tisch (ERT) vertreten ist und wer demzufolge die Briefschreiber sind. Der ERT ist ein exklusives Gremium, dem die Chefs der 45 führenden europäischen Großkonzerne, von FIAT und EON über Nestle, Unilever und Vivendi bis Hoffmann-LaRoche, VW, Renault, Nokia und Siemens angehören. Der derzeitige Vorsitzende dieses Gremiums ist der deutsche Thyssen-Chefmanager G. Cromme, der durch sein Maximalprofitstreben mittels rigoroser Arbeitsplatzvernich-tungspolitik in Deutschland anrüchig geworden ist. Wir kommen auf diese Person an anderer Stelle nochmals zurück.
In dem Brief werden nun die Ansichten und Forderungen dieser Konzern-Allianz ausführlich aufgelistet. Wörtlich heißt es dazu: ,,Neu aufkommende Wirtschaftsregionen außerhalb der EU bieten mit hochgebildeten Arbeitskräften und attraktiven neuen Märkten bedeutend günstigere Möglichkeiten als im EU-Raum, in dem die Arbeitskosten nach wie vor zu hoch sind.
So lägen die Gesamtarbeitskosten pro Stunde für einen Industriearbeiter in Indien bei nur 0,40 US-Dollar, in China bei 0,60 US-Dollar und in Estland bei 1,60 US-Dollar. Dagegen lägen diese Kosten in den USA bei 21,20 und in Deutschland bei 24,10 US-Dollar. Und dann schlägt der ERT Maßnahmen zum rigorosen Sozialabbau, vor allem zur Senkung der Löhne und Gehälter, der Arbeitskosten und der Steuern vor. Auch das ist für uns Marxisten-Leninisten keine Überraschung, denn wir kennen ja die Profitgier dieser Herrschaften.
Die Überraschung besteht vielmehr darin, daß Bundeskanzler Schröder große Teile der Forderungen des ERT fast wörtlich in seine Regierungserklärung vom 25. März aufgenommen hat. Er macht damit die Forderungen der EU-Konzerne zum eigenen Regierungsprogramm! Das ist ein einmaliger Vorgang. Bislang wurden die Forderungen des Finanzkapitals wenigstens noch in ,,eigenerSprache wieder gegeben.
Das ist diesmal nicht so, was aufhorchen lassen sollte. Läßt Schröder jetzt die bisherige Tarnung fallen oder ist es die Nachlässigkeit seiner Referatsschreiber? Wir wissen es nicht und das ist hier auch belanglos. Belanglos aber ist nicht, daß der Brief des ERT und die besagte Regierungserklärung von Schrö-der sehr konkrete Beweise dafür sind, daß die Regierungen der imperialistischen Staaten die Geschäftsführungen der ökonomisch stärksten Kräfte des Landes sind und nichts anderes darstellen.
Dieser Brief und seine Umsetzung in Regierungspolitik stellen erneut klar, daß die Schröder-Regierung die Politik der EU-Konzerne betreibt, daß sie im Interesse des europäischen Finanzkapitals deren Klassenkampf gegen die Werktätigen unter sozialdemokratischer Flagge besorgt und sich dabei zu einem Weltmeister der Heuchelei und Tatsachenverdreher (gleich hinter den Bush-Anhängern) entwickelt hat.
In einer mehrseitigen Anlage zu dem ERT-Brief wird behauptet, daß ,,das Fehlen von wettbewerbsorientierten Investitionsbedin-gungen dazu geführt habe, daß EU-Unternehmen ihre Forschungsbudgets in Europa verringern und sich statt dessen solchen Ländern wie Indien, China, Japan und ähnlichen Regionen zuwenden werden. Denn diese Standorte würden nicht nur niedrige Arbeitskosten pro Stunde, sondern auch Technologiezentren eigenen Rechts anbieten. Zugleich erhebt der Brief des ERT eine Reihe von Forderungen, die vor allem auf einen rigorosen Sozial- und Demokratie-Abbau, auf eine erhebliche Förderung von staatlichen Investitionen in Forschung und Innovationsobjekte und auf eine Verlängerung der Arbeitszeit gerichtet sind. Es sei nicht mehr länger für die EU-Konzerne hinnehmbar, so wird in dem Brief gestöhnt, daß die Gesamtkosten pro Stunde z.B. für einen Software-Ingenieur in Indien nur 6,70 Euro, in China knapp 14 Euro, in Deutschland jedoch 54,10 Euro betragen.
Nach solchen sehr dürftigen Vergleichen (die ständig und bewußt die sehr unterschiedlichen Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft ausklammern, die in Deutschland um ein vielfaches höher liegen, als im Weltdurchschnitt) fordert das Konzern-Gremium dann, daß ,,in der künftigen EU-Politik die entschiedene Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen mittels der Senkung der Lohnkosten die absolute Priorität haben muß. Mit der neuen EU-Kommission, die nach den EU-Parlamentswahlen im Herbst ihr Amt antreten werde, müsse ,,eine dramatische Kehrtwendung in der wirtschaftlichen Leitungstätigkeit der EU vollzogen werden. Aus diesem Grunde befürwortet der ERT auch die Ernennung eines ,,Senior-Kommissars, der für den gesamten Bereich der Wirtschaftspolitik zuständig ist. Die EU-,,Reform der Strukturen und Entscheidungsbefugnisse müsse vor allem eine ,,schnellere und effektivere Beschlußfassung in allen Bereichen der Wirtschaftstätigkeit sichern und gewährleisten, daß die Wirtschaftswelt vor jeder Entscheidung konsultiert wird.
Der aufmerksame Leser des Zentralorgans des ZK der KPD erinnert sich sicherlich an jene Veröffentlichungen in ,,Die Rote Fahne, die über die Brün-ningschen Notverordnungen berichteten. Die Sprache, die jetzt die Konzerne in diesem Brief anschlagen, gleicht der Sprache des deutschen Monopolkapitals am Ende der Weimarer Republik. Es bewahrheitet sich erneut, daß die Europäische Union ein durch und durch reaktionäres Machtgebilde darstellt, in dem die mächtigsten Konzerne das Sagen haben und die jetzt die Zeit für gekommen halten, um den Völkern ihre Forderungen zu diktieren.
Die ,,dramatische Kehrtwendung, die im Brief des ERT gefordert wird, ist eindeutig. Sie soll nach den EU-Wahlen durchgesetzt werden und besteht darin, daß die gesamte Wirtschaftpolitik der EU den Profitinteressen der EU-Konzerne unterzuordnen ist.
Es geht um eine Kehrtwendung weg von den erkämpften sozialen Leistungen und demokratischen Errungenschaften hin zu einer noch unverschämteren Ausbeutung des Menschen durch das Kapital. Es geht in der Schröderschen Agenda 2010 also nicht schlechthin um eine Sparpolitik, weil die Staatskasse leer ist. Es sollen die ärmsten Schichten der Gesellschaft regelrecht abgezockt werden, damit über die Erlangung von Extraprofiten der Reichtum einer völlig überflüssigen Kaste in der Gesellschaft vermehrt werden kann.
Betrachtet man diese Vorgänge mit nüchternder Gründlichkeit, dann zeigt sich, daß sich in der EU ein reaktionäres Dreigestirn heraus gebildet hat, (die BRD, Frankreich und England, vertreten durch G. Schröder, T. Blaer und J. Chirac) daß die nationalen Interessen der Völker dieses Kontinents restlos über Bord wirft und sich in ihrer Strategie ausschließlich an den Interessen der EU-Konzerne orientiert.
Dieses Dreigestirn, das sich immer öfter zu geheimnisvollen Beratungen zusammen findet, prägt auch immer nachhaltiger den reaktionären Charakter der Europäischen Union.
Die Völker müssen ein anderes Europa erzwingen
Es liegt im ureigensten Interesse aller friedliebenden und demokratischen Kräfte auch unseres Landes, wenn sie mit verstärkter Kraft gegen eine Europäische Union der Konzerne aktiv werden. Denn mit der wirtschaftlichen Expansion der EU-Konzerne geht Hand in Hand der Ausbau der EU zu einer aggressiven Militärmacht nach dem Beispiel der USA. Davon zeugt der Aufbau einer eigenständigen EU-Militärmacht, die die Schaffung einer ,,schnellen Eingreiftruppe mit einem eigenständigen EU-Oberkommando für Einsätze bis 4000 Kilometer außerhalb der EU beinhaltet. Diese Militärmacht, deren waffentechnische Ausrüstung dem Steuerzahler Mrd. Euro kostet und der Rüstungs-Mafia enorme Extraprofite sichert, soll jeden Widerstand gegen die ökonomische Expansion der Konzerne im Keime ersticken. Ein solcher völlig berechtigter Widerstandskampf der Völker wird dann von den Ideologen des Imperialismus zum internationalen Terrorismus umgelogen und mit allen Mitteln bekämpft.
Der Freiheitskampf der Völker gegen die imperialistische Knechtschaft und der internationaler Terrorismus sind zwei völlig verschiedene Dinge. Das Anwachsen des Terrorismus hat seine entscheidenden Ursachen in der imperialistischen Unterdrückung der Völker, in der neokolonia-listischen Politik der imperialistischen Staaten, in der Ausplünderung der Völker durch das internationale Finanzkapital. Wer also den internationalen Terrorismus ernsthaft bekämpfen will, der muß mit der Ausplünderung der Völker durch das Finanzkapital brechen, der muß für eine ehrliche Gleichberechtigung aller Staaten und Nationen eintreten. Davon ist aber in dem Brief der europäischen Konzern-Allianz nicht die Rede, was auch kein Marxist erwartet hat.
Im Zusammenhang mit der strategischen Grundlinie der EU-Konzerne wird auch die BRD zu einem Polizei- und Überwachungs-Staat weiter ausgebaut, werden die demokratischen Grundrechte der Bürger Schritt für Schritt beschnitten. Es ist nicht mehr übersehbar, daß sich die BRD unter sozialdemokratischer Führung auf dem Weg zu einer demokratisch verbrämten Diktatur der EU-Konzerne und der EU-Generalität befindet. Die Folgen einer solchen Entwicklung sind bereits erkennbar. Sie bedeuten rigorosen Demokratie- und Sozialabbau und führen die Völker des Kontinents von Aggression zu Aggression. Die Kriege auf dem Balkan, gegen Afghanistan und gegen den Irak beweisen es. Im Zusammenhang damit nimmt die Militarisierung der Außenpolitik der EU immer stärker zu, erfolgt eine regelrechte Desinformation der Bevölkerung durch die konzerngesteuerten Medien, wird in der Politik getrickst und geheuchelt und alles vermieden, was der Aufdeckung der tatsächlichen Vorgänge dienlich sein könnte. Die Geheimnisse des ,,Rates der Götter sollen geheim bleiben.
Es ist wohl auch ein gut gehütetes Geheimnis, daß jene Regierungen, die starke Einwände gegen den EU-Verfassungsentwurf erhoben hatten, nach dem Terroranschlag vom 11.März 2004 in Madrid sich zum Rückzug gezwungen sahen. Ähnlich wie beim Terroranschlag vom 11. September 2001 in den USA wollen die Geheimdienste auch diesmal keine ,,verwertbaren Erkenntnisse von irgendwelchen Vorbereitungen des Anschlages gehabt haben. Die spanische konservative Regierung hielt aus wahltaktischen Gründen wichtige Informationen vor der Öffentlichkeit geheim und betrog diese tagelang mit der Behauptung, daß der Anschlag von der baskischen Untergrundorganisation ETA ausgegangen sei. Wie die Rücktritte der Regierungen in Warschau und Madrid im Einzelnen auch immer zustande gekommen sein mögen, die EU-Konzerne haben dadurch das bekommen, was sie haben wollten: die gewünschte EU-Verfassung.
Mit diesem erzreaktionären Dokument, das in den Massenmedien der Konzerne keine sachliche Beurteilung erfahren hat, werden mit einem Schlage die nationalen Verfassungen der Mitgliedsländer der EU im Interesse der Konzerne weiter ausgehebelt und bedeutsame Souveränitätsrechte dieser Länder an die EU übergehen.
Es traf genau das ein, was ,,Die Rote Fahne in ihrer Ausgabe vom Februar d.J. zu den Vorgängen in der EU geschrieben hatte: ,,daß imperialistische Politik entsprechend den realen Machtverhältnissen entworfen und durchgesetzt wird. Aus alledem ergibt sich, daß in das Europa-Parlament, daß nach dem vorliegenden Verfas-sungsentwurf noch weniger Rechte als bisher erhält, weder die Parteien der Regierungskoalition noch die Parteien der Opposition gewählt werden sollten. Denn auch mit einem Müntefering an der Spitze wird die SPD nicht sozialdemokratischer, sondern nur noch reaktionärer. Dafür wird dieser ungehobelte Spitzendemagoge der SPD schon sorgen.
Auch die künstlich herbei geredete Patriotimus-Debatte des Kanzlers ist kein Cent wert. Denn der Mann, dem Schröder unpatriotisches Verhalten ankreidet, ist der derzeitige Vorsitzende des ERT, der Thyssen-Chefmanger G. Cromme. Aber dieser Mann ist, wie der Kanzler auch, ein treuer Diener seiner Klasse - d.h. des Finanzkapitals. Gemeinsam führen sie den Kampf ihrer Klasse gegen das werktätige Volk, was sie nicht daran hindert, den Klassenkampf als eine böswillige Erfindung der Kommunisten auszugeben.
So aber sind nun einmal die ,,Patrioten des Kapitals, die trotz ihre Raubtierkapitalismuspolitik sich gerne als Patrioten des Volkes ausgeben möchten. Was Schröder diesem Chefmanager gelegentlich anlastet, betrifft lediglich taktische Fragen, die mit Patriotismus nicht das Geringste zu tun haben.
Auch die Partei der Frau Merkel und des Herrn Stoiber bieten für demokratische Kräfte keine wählbaren Kandidaten, weder für das EU-Parlament noch für den Bundestag. Denn sie treiben mit ihrer Politik die BRD ganz in die rechte Ecke und spekulieren darauf, daß der Wähler ihre reaktionären Ziele nicht durchschaut. Denn es sind wohl die frechsten und hinterhältigsten Lügen der Gegenwart, wenn Koalition und Opposition dem Volk einzureden versuchen, daß es ,,zur Agenda 2010 keine echte Alternative gäbe. Jeder sachkundige und nicht bestechliche Ökonom beweist das Gegenteil. Mit der im Wesen übereinstimmenden Strategie von Koalition und Opposition wird das Millionenheer der Arbeitslosen nicht verkleinert, sondern enorm weiter anwachsen. Mit dieser reaktionären Strategie wird die Kaufkraft des Volkes weiter gesenkt, was zum Rückgang der Binnennachfrage und damit zur weiteren Drosselung der Produktion führen muß. Es ist auch darum eine beispiellose Verhöhnung des Volkes, wenn Vertreter der Koalition und der Opposition erklären, daß der ,,Sozialabbau notwendig sei, um den Sozialstaat für kommende Generationen zu erhalten.
Das ist ausgemachter Betrug und die Betrüger wissen dies sehr genau.
Und wer in einer Situation, in der 6 Millionen Arbeitslose eine Arbeit suchen, eine Politik der Verlängerung der Arbeitszeit betreibt, der muß sich schon die Frage gefallen lassen: ,,Wollt ihr überhaupt die Arbeitslosigkeit beseitigen, oder soll diese bewußt zur Lohnsenkung, zum Sozialabbau oder sogar als Kanonenfutter mißbraucht werden? Wer die Politik der Koalition und der Opposition für ,,alternativlos ausgibt, der geht ganz eindeutig von den Interessen der Konzerne, von den Interessen des Finanzkapitals aus. Für diese Klasse der Großbourgeoisie ist die Profitmacherei das A und O ihres Daseins. Darin besteht ihr ,,Patriotismus. Das ist jener jämmerliche Bourgeoisie-Patriotismus, den sie mit den Parteien der Regierung und der Opposition teilen. Die Träger dieses reaktionären Bourgeoisie-Patriotismus, das deutsche Finanzkapital, haben Deutschland in zwei von ihnen entfesselten Weltkriegen immer kleiner gemacht und unbeschreibbares Leid und Elend über alle Völker und auch über unser Volk gebracht. Man sollte meinen, daß daraus alle die erforderlichen Lehren gezogen haben.
Das ist leider nicht der Fall. Denn der Widerstand der demokratischen Kräfte des Volkes gegen die Politik der Konzerne wächst besorgniserregend langsam. Die Zeit aber drängt. Mit voller Berechtigung forderte der Vorsitzender der KPD, Genosse Werner Schleese, in einem Exklusivinterview für diese Zeitung, daß der Widerstand der Arbeiterklasse und aller demokratischen Kräfte gegen die Kräfte des Krieges und des Sozialabbaus zunehmen muß. Auch darum sollten nur solche Abgeordnete in das EU-Parlament gewählt werden, die entschiedene Verteidiger des Friedens und bewährte Vertrauensmänner der Werktätigen sind, die den Mut besitzen, gegen die alten Feinde der Nation offen und leidenschaftlich zukämpfen.
Prof. Kurt Tiedke