Volker Beck in seinem Beitrag “Das Strafrecht ändern?: Plädoyer für eine realistische Neuorientierung der Sexualpolitik” in: Angelo Leopardi (Hg.): Der pädosexuelle Komplex, Foerster, Berlin 1988). Beck ist heute rechtspolitischer Sprecher der Partei Bündnis 90/Grüne:
“Als Etappenziel kann hier nur eine Versachlichung der Diskussion um das Problem der Pädosexualität vorgeschlagen werden. Als strafrechtliche Perspektive wäre hier z.B. eine Novellierung ins Auge zu fassen, die einerseits das jetzige “Schutzalter” von 14 Jahren zur Disposition stellt [...] oder auch eine Strafabsehensklausel. [...]
Eine Strafabsehensklausel, wäre sie durchgesetzt, würde eine tatsächliche Auseinandersetzung vor Gericht, und, wenn die Bewegung stark genug ist, in der Öffentlichkeit um die Frage einer eventuellen Schädigung eines Kindes durch sexuelle Kontakte mit einem Erwachsenen ermöglichen. [...] Wer für die Lebenssituation der pädophilen Menschen etwas erreichen will, muß diese Diskussion mit Aufklärung und Entmythologisierung vorbereiten [...] Eine Entkriminalisierung der Pädosexualität ist angesichts des jetzigen Zustandes ihrer globalen Kriminalisierung dringend erforderlich [...] Allein eine Mobilisierung der Schwulenbewegung für die rechtlich im Gegensatz zur Pädosexualität völlig unproblematische Gleichstellung von Homo- und Heterosexualität [...] wird das Zementieren eines sexual-repressiven Klimas verhindern können – eine Voraussetzung, um eines Tages den Kampf für die zumindest teilweise Entkriminalisierung der Pädosexualität aufnehmen zu können.”
1985: Grüne brechen Tabu sexueller Kontakte mit Kindern
Traditionelle Moralvorstellungen sollen verschwinden. Die Gesetze zum Schutz Minderjähriger §§ 175 und §§ 182 Strafgesetzbuch sollen gestrichen werden. In einem Gesetzentwurf behaupten die Grünen, diese Paragraphen “bedrohen einvernehmliche sexuelle Kontakte mit Strafe und dienen damit nicht dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Sie behindern die freie Entfaltung der Persönlichkeit …”
(Bundestagsdrucksache 10 / 2832 vom 4. Februar 1985).
Hierzu gehört insbesondere die Abschaffung des Schutzes minderjähriger Jungen vor homosexuellen Handlungen:
“Die Strafdrohung belastet das konfliktfreie sexuelle Erleben derjenigen Jugendlichen, die sich ihrer homosexuellen Orientierung bereits gewiss sind.
Die Strafandrohung, der sich ein zufällig über 18 Jahre alter Partner ausgesetzt sieht, vermittelt eine negative Bewertung der gesamten Beziehung …”
(Bundesdrucksache 10 / 2832 vom 4. Februar 1985).
Hierzu gehört auch die Abschaffung des Schutzes minderjähriger Mädchen vor sexuellem Missbrauch – weil – so der Grüne Gesetzentwurf: “Schutzgüter wie Virginität, Geschlechtsehre und ähnliches sind nur scheinbar individuelle und gehen auf ältere Vorstellungen von ‘Marktwert’ und ‘Heiratschancen’ des Mädchens zurück (…) Mädchen wird die Fähigkeit zur Entscheidung über ihre sexuellen Interaktionen abgesprochen, das Vorhandensein einer eigenständigen und selbstbestimmten Sexualität von Mädchen wird geleugnet.”
(Bundesdrucksache 10/ 2832 vom 4. Februar 1985).
Auf ihrer Landeskonferenz in Lüdenscheid (März 1985) fordern die Grünen in NRW, dass “gewaltfreie Sexualität” zwischen Kindern und Erwachsenen niemals Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung sein dürfe. Sie sei “im Gegenteil von allen Restriktionen zu befreien, die ihr in dieser Gesellschaft auferlegt sind”.
Der mit Mehrheit verabschiedete Programmteil attestiert zum Thema Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern denjenigen eine “gesellschaftliche Unterdrückung, die gewaltfreie Sexualität mit Kindern wollen, dazu fähig sind und deren gesamte Existenz von einem Tag auf den anderen vernichtet wird, wenn bekannt wird, dass sie Beziehungen eingegangen sind, die wir alle als für beide Teile angenehm, produktiv, entwicklungsfördernd, kurz: positiv ansehen müssen”.
(…) “gewaltfreie Sexualität muss frei sein für jeden Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht oder anderen Merkmalen (…) Daher sind alle Straftatbestände zu streichen, die gewaltfreie Sexualität mit Strafe bedrohen”. (dpa 10.3.1985, Bild, 11.3. 1985, FAZ, 16.3. 1985, Die Welt, 20.3.1985).
Wegen der öffentlichen Empörung zogen die NRW-Grünen im beginnenden Landtagswahlkampf diesen Teil ihres Wahlprogramms zurück.
Nicht aber Die Grünen in Bonn!
Im April 1985 betreiben auch die Grünen in Baden-Württemberg eine Lockerung des Sexualstrafrechts.
“Einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern müssen straffrei sein. Kinder gehören sich selber.”
Ferner ist zu lesen: “Da Kinder Menschen sind, hat niemand das Recht, sich unter welchem Vorwand auch immer über ihr Recht auf Selbstbestimmung und persönliches Glück hinwegzusetzen”.
Im Jahr 1987 fordern die Grünen:
“Kinder und Jugendliche müssen ihre Sexualität frei von Angst entwickeln können. In der öffentlichen Erziehung dürfen abweichende Formen der Sexualität nicht länger diskriminiert werden. Lesbische und schwule Emanzipationsgruppen müssen gefördert werden.”
(Alles verändert sich, wenn Du es veränderst; Broschüre zur Jugendpolitik der Grünen 1987).
“Schon in Kindertagesstätten oder Kinderläden ist eine gleichwertige Darstellung lesbisch/schwuler Lebensformen einschließlich der Sexualität erforderlich. Eine von Anfang an offene und hemmungslose Auseinandersetzung mit Sexualität macht eine sogenannte Aufklärung überflüssig.”
“Die problematische Sozialstruktur unserer Stadt macht ein breites, aus öffentlichen Mitteln gefördertes Angebot
für die 10-14-jährigen Kinder notwendig. Wir setzen uns ein für (…) eine freie Entfaltung der Sexualität.”
“Es ist unmenschlich, Sexualität nur einer bestimmten Altersstufe und unter bestimmten Bedingungen zuzubilligen. Wenn Jugendliche den Wunsch haben, mit gleichaltrigen oder älteren außerhalb der Familie zusammenzuleben, sei es, weil ihre Homosexualität von ihren Eltern nicht akzeptiert wird,
sei es, weil sie pädosexuelle Neigungen haben, sei es aus anderen Gründen, muss ihnen die Möglichkeit dazu eingeräumt werden.”
Auszüge aus dem Wahlprogramm der Alternativen Liste Berlin, 1985).
Das Programm der Grünen zur Bundestagswahl 1987 fordert die Herabsetzung des Schutzalters gegen sexuellen Missbrauch auf 14 Jahre.