Auf ins Abenteuer
Seine schwarzen, halblangen Haare, die wild aber dennoch elegant gewachsen waren, wehten sanft in der abendlichen Brise, während er seinen Kameraden diese Geschichte erzählte. Dramatisch funkelten dabei seine Augen im Licht des knisternden Lagerfeuers.
Geschichten erzählen und sein Publikum dabei an seine Lippen zu fesseln, das beherrschte Zarkier wie kaum kein anderer. Aber dies war bei weitem nicht seine einzige herausstechende Fähigkeit. Nicht umsonst galt er als der unausgesprochene Anführer der vierköpfigen Abenteurergruppe.
„Aber wenn unsere Informationen und Berechnungen alle stimmen, stehen wir heute eben genau hier! Am Fuße des Berges Vilatio auf dem Sephiroth der Legende nach seinen letzten Kampf gefochten hat! Morgen früh brechen wir auf und begeben uns auf geschichtliche Spurensuche. Die gleiche Luft atmen, den gleichen, beschwerlichen Weg hinter uns bringen, wie der legendäre Held! Das Ende seiner Geschichte soll den Anfang der unseren ebnen!“
Zarkiers Stimme war durchtränkt von Ehrfurcht, Entschlossenheit, aber auch von bestimmter Gewissheit. Er wusste genau, was er wollte und man kam gar nicht auf den Gedanken zu hinterfragen, ob er auch nur einen Hauch von Zweifel daran hegte, dass seine Visionen für die Zukunft nicht wahr werden würden.
„Oh Mann, jetzt komm mal wieder runter von deinem Höhenflug.“ Stichelte Jakor, der andere junge Mann in der Gruppe, schmunzelnd in Zarkiers Richtung. Obwohl die beiden sich schon seit ihrer Kindheit kannten und sich als beste Freunde sahen, herrschte seit jeher auch ein gewisses Maß an Konkurrenzverhalten zwischen den beiden, welches hauptsächlich aber nicht ausschließlich auf die kämpferischen Fähigkeiten zurückzuführen war. Dennoch übte Zarkier, aufgrund seines etwas höheren Alters und außerdem überdurchschnittlichen Reife, eine gewisse Vorbildfunktion für Jakor aus. So hätten Außenstehende ihr Verhältnis leicht als zwiespältig abtun können. Eines jedoch war so sicher, wie die immer wieder aufgehende Morgensonne: Kam es hart auf hart standen sich die beiden zu Seite, wie sonst niemand anderes.
„Fängt das schon wieder an? Lass ihn doch einfach in Ruhe, oder hast du jetzt plötzlich Bammel vor dem, was morgen ansteht?“ Zischte Dryna in Jakors Richtung. Abgesehen davon, dass diese zarte, hellbraune lange Haare tragende Schönheit mit Zarkier liiert war und sich darum immer wieder genötigt fühlte ihn gegen die spielerischen Anfeindungen von Jakor abzuschirmen, war das Verhältnis zwischen ihr und dem dunkelbraunen Heißsporn ohnehin von eher leicht kindisch wirkender, zänkischer Natur. Wären beide nicht so eng mit Zarkier verbunden gewesen, wären sie wohl unterschiedliche Wege im Leben gegangen.
„Pfft! Angst? Dass ich nicht lache. Erzähl mir auch nur von einem einzigen Mal an dem ICH Angst gehabt habe!“
„HA! Das ist eine mehr als leichte Aufgabe und ich muss dabei nicht einmal weit zurückgehen. Wie war das noch vor knapp einer Woche in diesem ominösen ‚verwunschenen‘ Wald in der Nähe des Dorfes Trekor?“
Jakor hielt ein und blickte grimmig in Drynas Richtung, ohne dabei den Mut zu haben ihre Ausführungen zu unterbrechen.
„Ach ja, stimmt genau! Wir hatten uns aus den Augen verloren in den Wirren des Waldes und irgendwann hörten wir nur einen schrillen Hilferuf von dir, weil du angeblich den bedrohlichen Hüter des Waldes gesehen und dabei nicht mal den Mumm hattest dich ihm allein zu stellen! Mal abgesehen davon, dass absolut nichts von dem Ding zu sehen war, als wir dich erreichten. Nicht mal der Hauch einer Spur, dass IRGENDETWAS dort war.“
Es brodelte innerlich in Jakor.
„So ein Schwachsinn! Erstens: Habe ich wirklich ein bedrohliches Wesen gesehen, ob das nun mit dem Wald zu tun hatte, oder nicht. Was weiß ich, warum es davon keine Spuren mehr gab, als ihr ankamt! War höchstwahrscheinlich ein magisches Wesen. Und zweitens: Ich habe nicht schrill nach Hilfe gerufen oder Angst gehabt! Ich bin mannsgenug, um mir einzugestehen, wenn ich einem möglicher Weise überlegenden Feind gegenüber stehe und habe daher um Verstärkung von meinen Kameraden gebeten. Nicht mehr und nicht weniger! Und wow… das Ding hatte eine wirklich bedrohliche Aura… so was hab ich bisher noch nie wahrgenommen…“ sein Blick verfinsterte sich, während er die letzten Worte sprach, sodass man förmlich die dunkle Präsenz des beschriebenen Wesens selbst wahrnehmen konnte. Dryna ließ sich das allerdings nicht anmerken und fuhr fort:
„Pah alles Ausreden! Außerdem…“
„Genug!“ rief Zarkier, während er sich zwischen die beiden Streitenden stellte und mit einer durchdringenden Geste die Hände in beide Richtungen hob.
„…“ die vierte Person im Bunde, die Halbelfin L’Orel beobachtete das Treiben, wie immer wenn sich Dryna und Jakor gegenseitig verbal die Köpfe einschlugen, schweigend, während sie wahlweise oder abwechselnd den Kopf schüttelte und die Augen verdrehte. Ihre glatten, bis kurz unter die Schulter langen, laubgrünen, leichten Haare, wehten dabei anmutig umher. Auch wenn sie mit ihren 17 Jahren die Jüngste im Bunde war, lag es doch in ihrer elfischen Natur Streitereien als unnötiges und unreifes Mittel anzusehen und wollte damit so wenig wie möglich zu tun haben.
„Sollten wir nicht langsam darüber nachdenken schlafen zu gehen, um morgen früh fit genug für den Aufstieg zu sein, Leute?“ gab L’Orel ruhig, aber bestimmt zu bedenken.
„Die Stimme der Vernunft, vielen Dank.“ Erwiderte Zarkier.
„Ja, passt schon… das hier führt ja doch zu nichts. Morgen früh in aller Stärke rauf auf den Berg!“ schoss es aus Jakor heraus.
„Man sagt in aller Frische…“
„Ja, vielen Dank Dryna, das ist mir schon klar. Aber bei uns Männern liegt der Fokus da ganz klar auf anderen Dingen! Stimmt’s Zarkier?“
„Moment, stopp. Halte mich bitte aus euren Disputen heraus.“ Zarkier schützend die Hände und ging einen Schritt zurück.
„Aber wie L’Orel schon sagte, wir sollten uns langsam hinlegen. Ich wünsche uns eine erholsame und ruhige Nacht. Morgen früh werden wir ein neues Kapitel aufschlagen, meine Freunde! Die Zukunft gehört uns!“ Mit diesen Worten ballte Zarkier eine Faust und streckte sie gerade von seinem Körper weg. Kurz darauf positionierten sich die anderen drei vor ihm und taten es ihm gleich.
„Die Zukunft gehört uns!“ riefen sie alle gemeinsam aus.
Dieses kleine Ritual reichte meistens schon aus, damit Zarkier die Gruppe wieder beruhigen und zusammenbringen konnte.
Kurz darauf bereiteten die vier ihren Schlafplatz vor. Die Nacht war inzwischen in voller Blüte erwacht und der Sternenhimmel funkelte klar und majestätisch. Ein laues Lüftchen wehte vom Norden her und sorgte für einiges Rascheln in den Baumkronen und Büschen herum um das kleine Lager. Die Glut des Feuers war fast erloschen und knisterte leise vor sich hin.